Klaus Dieter Schult: Zu Kurt Martis Gedicht „was kommt nach dem tod?“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Kurt Martis Gedicht „was kommt nach dem tod?“ aus dem Band Kurt Marti: leichenreden. –

 

 

 

 

KURT MARTI

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaJa, Tod, du bist eine eigene Sache,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaadu Tod du!
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaSchauerlich durch Rätselhaftigkeit,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaund wärst vielleicht noch schauer-
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaalicher, wenn das Rätsel gelöst wär.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaJohann Nepomuk Nestroy

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaTraue den Reden des Todes nicht!
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaSeine dir zugewandte Wahrheit ist Schweigen.

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaLudwig Strauss

was kommt nach dem tod?
aaaaaaaaaanach dem tod
aaaaaaaaaakommen die rechnungen
aaaaaaaaaafür sarg begräbnis und grab
was kommt nach dem tod?
aaaaaaaaaanach dem tod
aaaaaaaaaakommen die wohnungssucher
aaaaaaaaaaund fragen ob die wohnung erhältlich
was kommt nach dem tod?
aaaaaaaaaanach dem tod
aaaaaaaaaakommen die grabsteingeschäfte
aaaaaaaaaaund bewerben sich um den auftrag
was kommt nach dem tod?
aaaaaaaaaanach dem tod
aaaaaaaaaakommt die lebensversicherung
aaaaaaaaaaund zahlt die versicherungssumme
was kommt nach dem tod?

 

Kurt Marti: was kommt nach dem tod?

In der Schweiz wird Lyrik, ebenso wie Prosa und Dramatik, bis zum heutigen Tage zumeist von Autorinnen und Autoren verfaßt, die das Schreiben als nebenberufliche Tätigkeit betreiben. Auch Kurt Marti (geb. 1921) machte diesbezüglich keine Ausnahme. Gut einundeinhalbes Jahrzehnt wirkte er in der evangelischen Dorfgemeinde Leimiswil und ab 1961 für weitere 22 Jahre in der Berner Nydegg-Gemeinde als Pfarrer. Seine Gedichte und Erzählungen, seine Essays und Reflexionen entstanden zu dieser Zeit eher nebenbei, in Stunden und an Tagen, die nicht direkt von beruflichen Pflichten erfüllt waren. Völlig losgelöst von diesen aber entstanden sie nie.

Für mich – so Marti selbst – ist die Spannung zwischen den Bereichen Theologie und Literatur immer sehr belebend und fruchtbar gewesen. Fast glaube ich, daß ich ohne diese Spannung weder hätte Pfarrer bleiben noch hätte Schriftsteller werden können.

Kurt Martis Texte sind die eines Christen, der sich seiner Zeit zugehörig fühlt und der sich in ihr zu engagieren sucht, der vor Kritik nicht zurückscheut, weil er von seiner Hoffnung auf den besseren Menschen und eine humane Gesellschaft nicht lassen kann und will. Dankbarkeit gegenüber der Schöpfung, aber auch Trauer und Empörung, wenn die mit ihr gegebenen Möglichkeiten eines „Offenbarwerdens der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ ungenutzt bleiben oder willkürlich eingeschränkt werden, finden sich in seinen literarischen Arbeiten gleichermaßen.
Erstmals größere Beachtung erzielte Marti mit dem 1960 publizierten Band republikanische gedichte, der sich noch aus historischer Perspektive als ein bedeutendes Zeugnis für den Neuansatz der Schweizer Lyrik an der Wende zu den sechziger Jahren zu erkennen gibt. Der Band dokumentiert sowohl den gesellschafts- wie den sprachkritischen Ansatz Kurt Martis, der sich vom Schreiben auch stets die Möglichkeit einer Befreiung aus den Zwängen ritualisierter Sprachverwendung in Kirche und Gesellschaft erhoffte. Anregend wirkte in dieser Hinsicht vor allem die Beschäftigung mit Arbeiten der Konkreten Poesie, wie sie in den fünfziger Jahren vor allem der Schweizer Eugen Gomringer vorgelegt hatte. Gleich anderen Lyrikerinnen und Lyrikern bemüht sich auch Marti darum – durch das Beim-Wort-Nehmen des Wortes oder festgefügter Wendungen, durch einen spielerischen Umgang mit dem Material Sprache, durch Visualisierung der Texte – Gewohntes in Frage zu stellen und zusätzliche Aussagemöglichkeiten zu erschließen. Dieses Bemühen, das letztlich immer auf Überprüfung vorgefundener Wirklichkeit abzielt, hat Marti in gedichte am rand (1963), als Randbemerkungen zu den Evangelien geschrieben, und – nun auch die Möglichkeiten der Mundart nutzend – in rosa loui (1967) fortgesetzt. Ein Jahr zuvor war bereits der Band gedichte alfabeete & cymbalklang erschienen, mit dem das Sprachspiel bei Marti zweifellos einen Höhepunkt fand.
Die Gedichte des Bandes leichenreden (1969) – aus dem der vorliegende Text stammt – verweisen dagegen wieder in stärkerem Maße auf Martis religiöse Weltanschauung, sind gleichsam eine Fortsetzung pfarrherrlicher Tätigkeit mit den Mitteln der Literatur. Ihr auslösendes Moment ist die Begegnung mit dem Tod, ist die Todeserfahrung, die, so Martis Ansicht, wie keine andere dem Menschen seine Ohnmacht, seine Nichtigkeit vor Augen bringt. Diese „leichenreden“ stehen in der Tradition des poetischen Nekrologs – im Gegensatz zum Tradierten aber verzichtet der Autor konsequent auf jede Art von (oft geradezu schönfärberisch-schwülstiger) Feierlichkeit des Gedenkens. Sein Wort ist an die Lebenden gerichtet, an seine (Leser-)Gemeinde, die er nachträglich mit Fragen und Problemen konfrontieren möchte, die am Grabe auszusprechen ihm aus pietistischen Gründen nicht erlaubt war. Martis Gedenken gilt – auch dies eher entgegen der Tradition – den Zukurzgekommenen. Ihr ungelebtes Leben ist ihm Anlaß zu Klage und Anklage. Präzise formuliert er seine Kritik, gerichtet an eine Gesellschaft, die über dem Streben nach materiellen Gütern Glauben und Glaubwürdigkeit mehr und mehr verliert. Daneben finden sich im Band auch Gedichte, in denen sich der Autor unmittelbar mit dem Tod als existentiellem Problem befaßt.
Unter der Überschrift „Frage“ hat Marti in seinen Notizen (1979 u.d.T. Zärtlichkeit und Schmerz veröffentlicht) folgende Überlegung festgehalten:

Gott, so denkt man oft, so verkünden Eiferer lauthals, sei Antwort. Spröder sagt die Bibel, daß er Wort sei. Und wer weiß, vielleicht ist er meistens Frage: die Frage, die niemand sonst stellt.

Gott in der Frage näherzukommen, dieser Aufgabe stellt sich auch das vorliegende Gedicht. „was kommt nach dem tod?“ wird darin gefragt, fünfmal, mit wachsender Eindringlichkeit. Mit dieser Frage hebt das Gedicht an, mit dieser Frage endet es, eingeschlossen sind vier mögliche, letztlich aber doch als nicht zureichend empfundene Antworten. Als unzureichend müssen sie betrachtet werden, weil sie dem Ernst der Frage, die auf das Phänomen Tod, auf ein Sein oder Nicht-Sein danach und auf die Art und Weise unseres geistigen Umgangs mit dieser Grunderfahrung menschlichen Lebens gerichtet ist, mehr oder weniger bewußt zuwiderlaufen. Mit nüchternen Worten wird da eine Realität ins Gespräch (dem Gedicht ist ein Dialogcharakter ja durchaus eigen) gebracht, die dem Motto verpflichtet ist: ,Das Leben geht weiter.‘ In dieser Welt zählt allein das Materielle, alles Denken ist davon erfüllt. Da sind Rechnungen zu bezahlen, da ist der Verkauf der Wohnung oder der Kauf eines Grabsteins zu erwägen, da kommt, als ,Trost‘, das Geld der Lebensversicherung, da wird der Tod selbst zum Geschäft. Von Berührtsein – scheinbar – keine Spur. Aber der Schein trügt, denn in den Antworten schwingt immer auch ein Ton von Ironie mit – hier will offensichtlich jemand den Ernst der Frage nicht verstehen. Hier flüchtet sich jemand in die schnelle, vordergründige Antwort, um nicht nachdenken zu müssen, um sein Berührtsein, wohl auch seine eigene Angst vor dem Tod zu verdrängen. Dieses Verdrängen, dieses Sich-dem-Problem-nicht-stellen- Wollen jedoch ist dem Zwang unterworfen, immer neue Antworten finden zu müssen, während die Frage stets die gleiche bleiben kann. Unbeantwortet steht sie noch einmal am Ende des Gedichtes. Daß sie wohl gar nicht zu beantworten ist, darauf deuten die dem Gedicht vorangestellten Überlegungen des Österreichers Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862) und des jüdischen Autors Ludwig Strauss (1892-1953). Die von ihnen gegebenen Deutungsversuche weichen aufgrund ihres philosophischen Anspruches zwar deutlich von den im Gedicht gegebenen Antworten ab, letztlich aber führen auch sie zu keiner Klärung. Der Tod bleibt Rätsel, bleibt Mysterium; die Frage „was kommt nach dem tod?“ wird nicht verstummen, solange Menschen leben. Sie gehört zu unserm Dasein, sie durchdringt unsern Alltag, erreicht uns selbst dort, wo wir uns hinter Geschäften zu verschanzen suchen. Diesem Gedanken trägt Kurt Martis Gedicht auch von der Form, vom Visuellen her Rechnung. Einem Stachel gleich bohrt sich die Frage „was kommt nach dem tod?“ immer wieder in den Block der Antworten, sie zerreißt diesen und stellt damit zugleich den Eindruck von Sicherheit in Frage, der aus seiner unverletzten Kompaktheit erwachsen könnte.
Kurt Marti hat auch in späteren Arbeiten der Frage immer wieder Vorrang vor allen Antworten eingeräumt, hoffend auf einen daraus vielleicht erwachsenden Dialog.

Klaus-Dieter Schult, aus Peter Geist, Walfried Hartinger u.a. (Hrsg.): Vom Umgang mit Lyrik der Moderne, Volk und Wissen Verlag, 1992

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