Adam Zagajewski: Lachen und Zerstörung

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Adam Zagajewski: Lachen und Zerstörung

Zagajewski/Arikha-Lachen und Zerstörung

BLITZE
Für Adam Michnik

Wenig verstehend und wissensdurstig
lebten wir. Wie Pflanzen, die nach Licht
suchen, suchten wir die Gerechtigkeit
und fanden sie nur in den Pflanzen,
in den wie die Vergessenheit großen
Kastanienblättern, in Farnkrautsträuchern, die
langsam schaukelten, ohne etwas zu verheißen.
In der Stille. In der Musik. Im Gedicht. Wie suchten
die Gerechtigkeit und verwechselten sie mit der Schönheit.
Strenge Gesetze regieren die Erregung.
Wir kehrten der Grausamkeit
und der Langeweile den Rücken. Es gibt keine Lösung, so viel
haben wir gewußt, es gibt Fragmente, und
daß wir in ganzen Sätzen sprachen, schien uns
ein seltsamer Scherz. Wie leicht es war,
einen Polizisten zu hassen. Sogar sein Gesicht war
Teil seiner Uniform. Fremde Fehler erkannten wir
gleich. Im Fluß, an hitzigen Tagen, spiegelten sich
Berge und Wolken. Das Leben war damals
rund wie ein Ballon, der aufsteigt.
Die Fichten standen reglos, voll Schatten
und die Kühe, wie die Ozeantiefe. Die grünen
Augen, deine feuchte Haut, die Eidechse.
Abends zuckten stumme Blitze
am Himmel. Es waren fremde Gedanken,
die die Runde und die Sicherheit verbrannten. Man mußte
packen und in Eile weiterfahren,
ostwärts oder westwärts, und mit dem Fluchtweg
die Landkarte markieren.

 

 

 

Adam Zagajewski

stellt in diesem Band – neben einer kleinen Auswahl bei Hanser bereits 1989 erschienenen Gedichte – neue Lyrik und Essays vor. Beide Textformen zeichnen sich durch die in der persönlichen und in der politischen Geschichte verwurzelte Weltbetrachtung aus. Sie liefern genaue und reflektierende Wahrnehmungsbeschreibungen, die ihre Zeitgenossenschaft weder verleugnen noch sich an sie verlieren.
Zagajewski verzichtet auf poetische Effekte; es ist seine tiefgründige Poesie, die das Lyrische und das Essayistische gleichermaßen bestimmt.

Rospo, Klappentext, 1996

 

Ein Schatz?

Stellen Sie sich vor, Sie finden im Alltag versunken einen kleinen grünen Schrein. Sie wundern sich. Ein Schatz? Sie öffnen in der leisen Hoffnung, auf eine Kostbarkeit gestoßen zu sein, vorsichtig den Deckel. Doch nur Scherben. Lauter Scherben. Ein Spiegel muß hier zerbrochen sein. Einstmals.
Das kleine Bändchen Lachen und Zerstörung bietet dem Leser Einblick in die Gedankenwelt von Adam Zagajewski, der irgendwo zwischen Vergangenheit, Poesie und Leiden verloren scheint und doch nicht im Meer der Einsamkeit untergeht. Seine kurzen Prosastücke sind nicht Feuilleton und die Gedichte nicht Lyrik allein: Sie sind große Erzählung und bescheidene Poesie. Sie sind das Lebenszeichen eines Mannes, der im heute ukrainischen Lemberg geboren wurde, im Polen der Nachkriegszeit aufgewachsen ist und nun in Paris lebt. In den einzelnen Fragmenten geht Zagajewski dem Wesen der Dinge, der Geschichte, den Geheimnissen nach. Er fragt nach dem Sinn einer Niederlage, sucht nach einem Bahnhof, der Ankunft bedeutet, er will schreiben als Akt von Brüderlichkeit. Doch seine Welt erschließt sich erst im Ganzen, wenn man die Blitze im Adam Michnik gewidmeten Gedicht spürt, wenn man den Studenten einer Pariser Bibliothek zuschaut, wie sie sinnlos ellenlange Zitate abschreiben und wenn man die Ruinen einer zerknüllten Streichholzschachtel erblickt hat, die am Wegesrand liegt. Dies ist der Pfad des Reisenden, der immer unterwegs ist, der nach dem Moment der Erkenntnis weiter muß. Fort.
Die Scherben in der Truhe verkünden uns nichts, sie sind nur hingeworfen, zerbrochen. Man kann sich an ihnen schneiden, aber auch ein Stück seiner selbst erblicken. Und man ahnt, daß es keine Gewissheit gibt.
Das bei Rospo erschienene Buch ist tatsächlich ein Schatz, fein gestaltet, mit zwei grünen Lesezeichen versehen, wunderbar von Henryk Bereska und Karl Dedecius übersetzt, und doch hinterläßt es graphisch einen zwiespältigen Eindruck: die Prosa klebt am äußeren Rand, die Lyrik hängt nach unten durch, gerade in der Widmung für Adam Michnik prangt ein Setzfehler. Doch jener „Mischnik“ ist auch Teil der Ironie, über die Zagajewski schreibt, sie sei gemeinsam mit der Ekstase ein Element der Poesie. Seine Ironie ist weise, und die Ekstase still. Man fragt sich, warum fast niemand Gedichte liest.

Felix Ackermann, literaria.org

 

ANSICHTSKARTE VON ADAM ZAGAJEWSKI

Ich danke Dir Adam für die Karte aus Freiburg
auf der ein Engel im Chorhemd aus Schnee
mit großer Posaune den Angriff
der scheußlichen Wohnblocks verkündet

Sie haben den Horizont durchschritten und nahen unaufhaltsam
um deine und meine Kathedrale zu stürmen

Die scheußlichen Wohnblocks aus Tschernobyl Nowa Huta Düsseldorf

Ich stelle mir vor was Du im Augenblick tust –
Du liest einer Handvoll Bekennern vor denn es gibt noch Bekenner
„Das war sehr schön, Herr Zagajewski.“ – „Wirklich sehr schön!“
„Danke.“ „Nichts zu danken.“ „Das war wirklich sehr schön!“

Na siehst Du trotz allem was der tragische Adorno erdacht

Komische Lage denn statt drzewo sagst du Baum
statt obłoki Wolken und Sonne statt słońce
das ist nötig damit das unsichere Bündnis weiter besteht
halsbrecherische Metamorphosen der Klänge um die Bilder zu retten

Also bist Du in Freiburg auch ich war einst dort
um leicht zu verdienen für Papier und für Brot
Unterm zynischen Herzen trug ich naiv die Illusion
ich sei ein Apostel auf Dienstfahrt

aaaaaDer Handvoll die uns zuhört gebührt das Schöne
aaaaaaber auch die Wahrheit
aaaaadas heißt – das Grauen
aaaaadamit sie tapfer sind
aaaaawenn der Augenblick kommt

Der Engel im Chorhemd des ersten Schnees ist wahrlich der Engel der Vernichtung
er hebt die Posaune an die Lippen und ruft das Feuer
umsonst sind unsere Beschwörungen Gebete Talismane Rosenkränze

Schon naht der endgültige Augenblick
die Elevation
das Opfer
der Augenblick der trennt

und wir betreten einzeln den geschmolzenen Himmel

Zbigniew Herbert
Übersetzung Klaus Staemmler

 

 

Daniel Henseler: Unterwegssein, Fremdheit, Heimkehren. Zur conditio des lyrischen Ichs in Adam Zagajewskis Gedichten.

Burkhard Reinartz: Versuch’s, die verstümmelte Welt zu besingen. Der polnische Schriftsteller Adam Zagajewski.

 

 

 

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Zum 100. Geburtstag des Herausgebers:

Markus Krzoska: „Es muss im Leben sterben, was Gedicht sein möchte“
dialogforum.eu, 19.5.2021

Antje Scherer: Sein Werk entstand nach Feierabend – Party für den Übersetzer Karl Dedecius in Lodz und Frankfurt (Oder)
MOZ, 19.5.2021

 

 

 

 

Internationales Symposium zum 100. Geburtstag von Karl Dedecius am 20.–21.5.2021 in Łódź. Panel 1: Karl Dedecius und Łódź

 

 

 

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Nico Bleutge: Suche nach Glanz
Neue Zürcher Zeitung, 20.6.2015

Zum 75. Geburtstag des Autors:

dpa: Promi-Geburtstag vom 21. Juni 2020: Adam Zagajewski
stern.de, 19.6.2020

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Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Adam Zagajewski

 

Adam Zagajewski liest seine Gedichte „Now that you’ve lost your memory“ und „Piano lesson“.

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