Aleš Šteger: Kaschmir

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Aleš Šteger: Kaschmir

Aleš Šteger: Kaschmir

ENTROPIE

Es war der Tag, an dem die Logik
Des Sandkorns die Oberhand über dich gewonnen
aaaaahatte.
Du fingst an zu versinken.

Manche nennen es Entropie,
Du aber wolltest lediglich dorthin, wo es
Am engsten in dir ist, in die Enge,
Durch die kein anderer kann.
Du wolltest nur du sein.

Es vergingen Minuten.
Vielleicht Jahre, wer weiß.
Im Sog
Zwischen den anderen verhassten Körnchen
Konntest du nichts erkennen.

Nichts anderes gab es.
Nur Körnerkörner ohne Zwischenraum
Und dieses kleine schwarze Loch
In der Sohle deines schwarzen Schuhs.

Es begann zu wachsen.
Es wuchs immer schneller.
Sein Sog schlang die Bahnen hinunter und von den Seiten die Leute,
Bald absorbierte es die letzten Ränder des Horizonts,
Mein Gott, dachtest du,

Ich wollte mein eigener Kristall sein, ein Granit-Ich,
Nicht aber Chaos und Verschwinden.
Worauf will ich denn ohne jemand und ohne jeden Grund stehen?

Von dort, wo es nur noch ein Nichts und Nirgends
Und ein Nirgendwohin gibt,
Stürzt es dich kopfüber nach unten
Auf die andere Seite.

Minuten? Jahre? Vielleicht ein leeres Nichts?
Manche nennen es Entropie,
Du aber wolltest nur du sein.

Obwohl das gleiche, ist es jetzt ein anderes,
Dieses Körnchen am Boden der Sanduhr.
Immer wieder rieselt es seiner Enge entgegen,
Immer wieder sinkt es, wartet auf seinen Fall
Und fällt erneut.

Du kannst es durch die Glaswände
Seiner Welt beobachten, du kannst ihm folgen.
Aber das Sandkorn kann auch dich
Auf der anderen Seite dieser Wände beobachten,
Es bemerkt die ersten deutlichen Falten um deine Augen,
Die Zahnfüllungen, den Bart,
Der dichter geworden ist um ein paar weiße Jahre.
Es sieht dein Handgelenk,
Es fühlt, wie du von Neuem das hölzerne Gehäuse
Seiner kleinen Welt mit all deiner Ungewissheit

In die Höhe nimmst,
Wie du es umdrehst.
Es ahnt deine Absicht.
Es weiß, was die Stunde geschlagen hat.

 

 

 

Štegers Gedichte

sind ungewöhnliche, nach innen gekehrte Reisetexte, in denen Kaschmir nicht als geografisches, sondern imaginäres Faktum auftritt, das eine zur Deskription des Alltags parallele, doch um nichts weniger konkrete Welt erschafft. Die Gedichte sind Topografie einer Landschaft jenseits von Raum und Zeit und der Versuch, die Schwerkraft und Gnade der Sprache zu erfassen. Kaschmir ist somit Ausdruck der unerbittlichen und paradoxen Logik einer zerklüfteten Existenz.

Edition Korrespondenzen, Ankündigung

Pressestimmen vom Verlag zusammengestellt.

 

LJUBLJANA
Für Aleš Steger

Der Name klingt nach Jubel. Eine Zunge lacht,
In ihrer Höhle aufgeweckt von den Labialen,
Die sich am Gaumen treffen hier wie nirgendwo.
Sie schmeckt die Luft, in der Illyrien schwingt.

Am Markt vorm Dom springt dich ein Himbeerrot,
Das Gelb der Pfifferlinge an, ein Steinpilzbraun.
Den Fisch verkauft man unter weißen Säulengängen.
Ein Reisigbesen stellt sich tanzend in den Weg.

Ein Dichter hat den Hauptplatz okkupiert: Er trotzt
Im bronznen Gehrock Sonnenbrand und Regen.
Man hat ihn gern mit seinem Liebeskummerblick.

Dann sind da Brücken, so absurd eng aufgerückt,
Daß man sich fragt: Ist das Spazieren hier ein Sport?
Vom Burgberg sieht man, wie die Leute um den Fluß
Ein Zickzackmuster stricken, je nach Tageszeit.

Es ist dieselbe aufgestaute Welt wie überall,
Wo Wasser Siedeln half. Nur bleibt sie hier diskret –
Bis man das Knie losläßt und nimmt die Tito-Straße
Hinaus durch den im Ostblock fröhlichsten Beton.

Durs Grünbein

 

 


 

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Aleš Šteger – Lesung an der Universität von Chicago am 31.3.2011.

 

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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Das Falkner“.

 

Gerhard Falkner liest auf dem XI. International Poetry Festival von Medellín 2001.

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