Alexander Gumz: ausrücken mit modellen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Alexander Gumz: ausrücken mit modellen

Gumz/Töpfer-ausrücken mit modellen

AUSRÜCKEN MIT MODELLEN

doppelte dinge unter den heute untröstlichen sinnen.
aaaaaallein
das draufhalten, das anziehen von lichtschutzmasken
wird uns den abend retten. ein lautloses geschäft

in den schaltkreisen, kein pochen und knacken.
strahlen, die bei jedem versuch, den moment
zu verlängern, verbogen werden.

wir sehen unsere erschütterung im dunkeln
bunt gerändert sich auf leinwände legen. unbezahlt
natürlich. ein atemlabor geöffnet,

sobald die herrschaften aus unseren adern treten
und sich vorstellen. atomkränze, sinusanlagen,
nicht streng genug auf der innenseite ihrer gier.

galante festivitäten wie zum beispiel das ausrücken
nach unerreichbar nahen inseln.

 

 

 

nachwort

man kann mit etwas mut
die arme aus der umklammerung der luft befreien.

Diesen Dichter hörte ich zum ersten Mal auf dem Flur eines Rundfunkgebäudes. Wir hatten uns von der letzten Straßenbahnhaltestelle kilometerweit durch den Schnee bis zu einem Haus gekämpft, das im Nichts zu liegen schien. Vor Kurzem hatte es noch den Rundfunk der DDR beherbergt. Draußen war es dunkel. Wir sollten beide ein Interview geben, mussten aber noch warten. Wir lehnten an der Wand, in den Schals hing gefroren unser Atem. Wir sprachen nicht miteinander. Wir waren sehr jung. Es war für uns beide das erste Live-Interview. Es war für uns beide auch die erste öffentliche Lesung, die am selben Abend stattfinden sollte. Für mich war es die erste Begegnung mit einem Dichter aus dem Westen, für ihn wohl der erste tiefe Ausflug in den Ostteil der Stadt.
Irgendwann sagte Alexander doch etwas. Ich erinnere mich nicht genau daran, etwas über den Schnee und das Land draußen und über die Dunkelheit, und als er es sagte, waren es eher Gedankenfetzen als Sätze, er sprach sie eher in den Raum als zu mir. Sie verlangten keine Antwort. Sie waren dazu da, uns unter den hohen Fluren, in den tauenden Schals ein bisschen Gesellschaft zu verschaffen.
Erst viel später ist mir aufgefallen, dass ich immer, wenn ich seine Gedichte lese, das Gefühl habe, in Gesellschaft zu sein. Ich meine damit nicht die Gesellschaft von Menschen. Ich meine, dass sich der Raum in unserem Inneren, in dem wir gewöhnlich und letztlich allein sind, auf einmal belebt. Niemand ist da. Aber diese Bilderfolgen und Gedankengänge sprechen zu mir auf eine Weise, die mir erzählt, dass ich da bin. Die mir für Momente begreiflich macht, warum ich da bin. Es sind die kunstvolle Schlichtheit seiner Sprache, die überraschende Logik seiner Bilder und eine hoch sensible Wahrnehmung, die alltägliche Formulierungen, manchmal sogar Zeitgeistiges auf unerwartete Weise zusammenbringt in Gedichten, in denen das Sehnsüchtige neben dem Lächerlichen steht, Berührendes neben Lässigem, Schmerzliches neben Tröstendem, und mitunter schlägt das eine in das andere um.
Dann finder sich das Banale in so enger Nachbarschaft zum Grausamen, dass ich manchmal noch im leichten Rhythmus der Worte mitschwinge, wenn sie längst ihre dunkle Seite hervorgekehrt haben. Und ein andermal bin ich noch ganz im Abgründigen unterwegs, wenn der Umschwung ins Verspielte schon stattgefunden hat, wenn beispielsweise aus Luftknappheit ein Fließen wird. So entsteht eine Verrückung, in der ich Wirklichkeit erlebe.
Unsere erste Begegnung ist zwanzig Jahre her. In meinem Schrank stehen mehrere Manuskripte seiner Lyrik, die bisher nicht zu Büchern geworden sind. Darunter gibt es Gedichte, in denen Alexander von dem, was er geschrieben hatte, immer mehr wegnahm. Die Gedichte wurden so karg und abgeschliffen wie vom Meer geschältes Holz. Und wer die erste, zweite und dritte Fassung kannte, begriff, wie das Leuchten der Worte durch ihre Vereinzelung immer stärker wurde. Dann wieder wurden die Gedichte erzählender, ihr Blick war nach außen gerichtet. Das war die Zeit, in der ich Alexander davon reden hörte, dass man engagierter werden, sich empathischer der Welt zuwenden müsse.
Der vorliegende Band enthält das Engagierte, Gegenwartsgetriebene ebenso wie das verkargte, sehnsüchtige Strahlen des allerersten Beginns, das, was ich nach der Schneewanderung in den Fluren des Rundfunkgebäudes zum ersten Mal hörte. Es ist erhalten geblieben und über die Jahre eingeflossen in das sich vergrößernde Blickfeld, in den untergründigen Sound dieses Dichters. Und wenn wir Glück haben, und das hoffe ich, folgen diesem Band weitere, so dass vielleicht auch die frühen Gedichte noch ans öffentliche Licht gelangen.
Für mich sind die Gedichte von Alexander Gumz das, wonach ich greife, wenn ich in einer dieser zweiflerischen, weltverlorenen Stimmungen nach dem einen Buch suche, das mich erlöst: In der ironischen Melancholie dieser empathischen Lyrik kommt mir meine eigene Realität frappierend nah, so dass ich ausrufen könnte: Ja, so kenne ich es auch!

Antje Rávic Strubel, Nachwort

 

Noch kommt einem die Gegend vertraut vor,

aber „was ist das für ein geruch?“ Kam das Licht eben auch schon aus diesem Winkel, oder warum sind die Gesichter in so seltsame Farben getaucht? Etwas scheint nicht mehr zu stimmen. Das Heimelige kippt. Und was da aufblitzt, hat etwas Monströses. „man erkennt gerade mal, wie dünn die schatten / angezogen sind.“ Alexander Gumz erweist sich in seinem Debütband ausrücken mit modellen als Meister solcher Momente der Beunruhigung, des rätselhaft Schönen aus der Kunst eines verschobenen Blicks. Leichtfüßig inszeniert, mit Witz und treffsicher gesetzten Spots erzählen seine Gedichte von unserer durchlässigen Gegenwart, entziehen dem Bekannten den Boden. Um gleich darauf vorzuführen, wie man sich auch frei schwebend orientieren, „in der mitte des zimmers in der luft halten“ kann.

kookbooks, Klappentext, 2011

 

Wunschmaschine Sprache

– Auf die junge deutsche Lyrik blickt man gerne: Alexander Gumz und Katharina Schultens zeigen, wie radikal und sicher mit Sprache experimentiert werden kann. –

Es scheinen gute Zeiten für Lyrik zu sein. Zumindest kann man allenthalben von einer blühenden jungen Szene lesen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung widmete der „Boombranche“ kürzlich einen großen Artikel , in dem von der Lebendigkeit und Vielseitigkeit der zeitgenössischen lyrischen Stimmen geschwärmt wurde, ohne dabei die ökonomische Belanglosigkeit des Genres im Literaturbetrieb außer Acht zu lassen. Auch im Börsenblatt wurde begeistert von der „Sturm- und Drang-Phase“ der deutschsprachigen Dichtung berichtet, wie Michael Braun und Hans Thill die momentane Aufbruchsstimmung in ihrer Anthologie Lied aus reinem Nichts treffend benannt haben.
Ob die Adressaten des Artikels – die Buchhändler – allerdings massenweise neue Werke aus den einschlägigen jungen Lyrikverlagen, von kookbooks bis Luxbooks, auf ihre Präsentiertische legen werden, ist fraglich. Dabei würde es sich durchaus lohnen. Während in den größeren Verlagen der Plot dem lyrischen Wort meist vorgezogen wird und immer weniger Dichter eine Heimstatt finden, tummeln sich eben viele von ihnen in den ambitionierten, auf dem Prinzip Selbstausbeutung beruhenden Kleinstverlagen: Ob die Lyriker Hendrick Jackson oder Ron Winkler , Sabine Scho oder Martina Hefter, Monika Rinck oder Uljana Wolf , Adrian Kasnitz oder Steffen Popp, sie alle tragen bei zu der fast schon euphorischen Stimmung, die in der Lyrikszene zu spüren ist. Einige von diesen Autoren werden auch vom Feuilleton wohlwollend rezipiert, andere sind – noch – unterhalb der Wahrnehmungsschwelle angesiedelt, dabei aber nicht weniger interessant.
Zu ihnen gehört der 1974 in Berlin geborene Alexander Gumz, ein Autor, der seit Jahren in verschiedensten Zusammenhängen mitmischt, ob als Veranstalter oder Herausgeber, auch immer wieder mit eigenen Texten in Anthologien vertreten war, aber erst in diesem Frühjahr seinen ersten eigenständigen Gedichtband veröffentlicht hat. ausrücken mit modellen ist in Daniela Seels kookbooks Verlag erschienen und enthält 60 in sieben Kapitel unterteilte Gedichte. Die Schriftstellerin Antje Rávic Strubel erzählt in ihrem Nachwort, wie sie Alexander Gumz Anfang der neunziger Jahre kennengelernt hat und wie im Lauf der Zeit immer mehr seiner größtenteils unveröffentlichten Manuskripte in ihrem Buchregal gelandet sind.
Man fragt sich, ob es eine Ignoranz des Betriebs ist, dass Gumz’ erste größere Veröffentlichung so lange auf sich warten ließ? Oder doch eher eine Tugend des Autors, der seinen Gedichten Zeit gelassen hat, sich zu entwickeln, zu verändern, sich tatsächlich zu verdichten. ausrücken mit modellen wirkt tatsächlich wie ein reifes Werk. An manchen Texten lassen sich Jahresringe erahnen, sie scheinen stetig gewachsen zu sein.
Und das, obwohl Gumz’ Lyrik etwas sehr Akutes, Zeitgenössisches hat. Oft gelangt er mit einer Strophe an jenen Punkt, fängt jene Sekunde ein, in der sich Aktualität verwandelt ins Nicht-mehr-Fassbare, wo eine Kehrseite des Wahrnehmbaren aufscheint und Zeitlosigkeit entstehen kann:

in blendender bewegung eingefroren: ein loop der eigenen erfolge, der spiegelbilder, die wir nicht gewesen sind.

Die einzelnen Strophen bestehen meist nur aus zwei Zeilen, und jede einzelne trägt den Kern des ganzen Gedichts oft schon in sich. In jedem in seiner Nüchternheit oft geheimnisvoll wirkenden Bilder ist das Gesamte aufgehoben, und das kommt einem nie wie ein forcierter Akt der Zersplitterung vor, sondern mehr wie eine natürliche Konzentration auf das Wesen des Gedichts. „unsere sorgen sind bekloppte interieurs“, heißt es in „Kühle Entwicklungen“, und viel genauer lässt sich die Befindlichkeit der heute 30- bis 40-Jährigen kaum fassen.
Man könnte zahlreiche treffende, stechende Zeilen herausgreifen, würde man dadurch nicht immer auch dem ganzen Gedicht Unrecht tun. Alles ist fein gearbeitet, ineinander verwoben, manchmal freilich in einen schier hermetischen Rahmen gesetzt. Meistens aber schillernd und offen:

das ist unsere zukunft: ein remix aus versprechen, die keiner hält.

(…)

Ulrich Rüdenauer, Die Zeit, 6.7.2011

The Soundtrack To Mein Herz

so klingt Alexander Gumz Lyrik. Ein Soundtrack zu Herz, nicht kitschig zu fliegenden und blühenden Herzen, nein das ist der Titel zu meinem Lieblingsgedicht von Herrn Gumz. The Soundtrack To Mein Herz. Ein Paar am Meer, sich fragend, sich wundernd, sie sitzen dort und der Soundtrack den sie hören ist „mein herz“ sagt das lyrische Ich und beide sind sie ratlos, weil sie am Ende sogar vergessen haben, „wie man die brandung abstellt“. Wunderschön und ein, sich am Meer verlierendes Paar.
es klingt ironisch, es klingt in ausrücken mit modellen oft ironisch, aber nicht bissig, es ist die Ironie, die unseren Alltag begleitet, „Immer Ist Irgendjemand Nicht Zu Hause“, „der wahnsinn ist ein loch in der landschaft“ und „dann rutscht deine stimme weg. zwischen den lippen // ein schmales boot, überrascht vom regen.“ – wunderschöne Verse, die Bilder der Wirklichkeit spiegeln, melancholisch und oft verspielt, es ist nachdenklich und würdig, darüber nachzudenken. Diese Gedichte zeichnen nicht etwas, womit wir nicht zu tun haben, das sind Gedichte übers Leben, – aber diese Phrase muss man mir verzeihen. Ich weiß selbst als Dichter, Gedicht behandeln immer das Leben, doch diese Gedichte hinterfragen es nicht, sie zeichnen es (ab). Sie lassen einen in dem Leben des Gedichts zurück und dann ist dieser Gedichtband auch ein Soundtrack, der nachhallt; nach. Hallt.

Martin Piekar, amazon.de, 29.7.2012

 

Alexander Gumz liest bei HAM.LIT 2011 aus seinem Lyrik-Debütband: ausrücken mit modellen

Clemens-Brentano-Preis 2012 für Alexander Gumz: Vielleicht Wünsche, Sehnsüchte, Denkschablonen, die zu nichts Brauchbarem führen. Außer – wenn man Glück hat – zu einem Gedicht. Ein Gespräch mit Alexander Gumz

Porträtgespräch: Ohne ausgeschilderte Worte – Alexander Gumz

alpha-Forum: Axel Robert Müller im Gespräch mit Alexander Gumz

People: Interview mit dem Lyriker Alexander Gumz

Fakten und Vermutungen zum Autor
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Porträtgalerie: Dirk Skibas Autorenporträts

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