Alfred Kolleritsch: erinnerter zorn

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Alfred Kolleritsch: erinnerter zorn

Kolleritsch-erinnerter zorn

IV

schönheit
langsame paralyse europas

manchmal
wenn das wort am altar ist
schneuzt sich die zeit
und siehe da
das volk hat seine sänger

man nennt sie
ewigkeit in der stunde
retter der milz
und montiert sie ins soldbuch
der geläuterten jugend
zäh wie
flink wie
hart wie
der bizeps aller imperative

laut johlt das gärtnergemüt
im schrebergarten vor der mauer
des 21. jahrhunderts

 

 

 

Rede auf Alfred Kolleritsch

– Zur Verleihung des Steirischen Literaturpreises an Alfred Kolleritsch, 21. Dezember 1976. –

Sehr verehrte Anwesende, lieber Fredi,
wenn ich den natürlichen Ablauf unserer Freundschaft jetzt hier plötzlich in Form des mir ungewohnten Schemas einer Rede unterbreche, und darüber öffentlich nachdenken will, worüber ich ohne diesen Rahmen einer Preisverleihung schon nachgedacht hatte, dann führe bitte diese wenigen Minuten einer seltsamen Entspannung jener hoffnungsvoll-hoffnungslosen Form der Energie zu, die du Die grüne Seite nennst. Sei mir auch nicht böse, wenn ich gelegentlich aus der direkten Rede fallen und von einem Dichter Alfred Kolleritsch sprechen werde…
Ich habe neulich bei eisiger Kälte mehr als eine halbe Stunde auf einen verspäteten Zug gewartet. Als er dann endlich eintraf, war meine Freude gleich groß wie jetzt, da du diesen Literaturpreis kriegst. Mag sein, daß dein eklektizistisches Image, welches sich aus dem Herausgeber, dem Historiker, dem Philosophen, dem Germanisten und dem Dichter zusammensetzt, für diese Verspätung verantwortlich ist; doch obwohl du den Lohn der Angst vor oft geradezu debiler Eingeborenen-Kultur-Aggression schon längst an den Lesepulten von San Francisco bis Sarajewo geerntet hast, ist diese einheimische Ehrung von besonderer Wertigkeit, geschieht sie doch in deinem unmittelbaren Bezugsfeld, und schließt mit einem topografisch „steirisch“ zu nennenden Händedruck erst den Stromkreis deines großen Wirkungsfeldes. Und gerade hier sitzt ja die Gemeinde deiner Mitstreiter, Freunde und Schüler, in deren intellektuellem Spannungsfeld eine solche Feier sich wohl intensiver erleben läßt. Gewiß werden auch einige deiner unermüdlichen Widersacher hier sein, (so wie man einem guten Wildschweinbraten auch eine kleine Prise Zucker beigibt!), Widersacher, die diesen einheimischen Legalisierungsakt deines literarischen Schaffens nun plötzlich – gegen ihre Art – von Kitsch und Lobhudelei werden säubern müssen. Du, lieber Fredi, als Koch und auch literarischer Vertilger deiner echten und metaphysischen Speisen, wirst es verstehen, wenn sich mir bei diesem Anlaß das Bild einer festlichen Verdauung aufdrängt. Und Bilder, ganz allgemein, sind es auch, die dein Wirken markieren, Bilder, die du liebst und bekämpfst.
Um Alfred Kolleritschs Werk und Arbeitssystem näherzurücken, eignet sich vielleicht symbolisch jene Stelle in der Grünen Seite, in welcher Gottfried anläßlich seiner ersten bildlichen, photographischen Identifikation, plötzlich paralysiert, die Sprache verliert. Die Überwindung derlei paralysierender Identifikationen durchzieht Kolleritschs Leben, Denken und Schreiben und leitet immer wieder zu neuen Bildern hin, die erstarren – und nur dann eine mögliche Zukunft nicht versperren könnten, wären sie, wie es in der Grünen Seite heißt, von relativer Dauer. An anderer Stelle desselben Buches jedoch steht:

… aber im Inneren halte an der Überzeugung der gemachten Bilder fest, sie stehen, wenn du es recht bedenkst, in der Mitte zwischen den vagen Vorstellungen von Ewigkeit und Abgrund. Treten diese Bilder hinaus, vergiß nie, daß es deine Bilder sind und wenn sie noch so allgemein wie ein Besitz der ganzen Menschheit erscheinen, die Geologie unseres Wissens ist verschoben, weil wir der Gegenstand, und die die den Gegenstand anschauen, gleichzeitig sind. Unser Kopf steckt im Wasser, und wir können denken, daß er im Wasser steckt, wir sehen ihn gebrochen und meinen unter dem Wasser, daß wir ungebrochen denken.

Und mir, lieber Fredi, bleibt auch nichts anderes übrig als diese Laudatio gleichsam unter steirischem Wasser zu halten (mögen diesmal keine giftigen Abwässer hineinfließen!), und die Polarität deiner Bilderwelten auch für mein Bild von dir zu übernehmen: Alfred, der einen Fasan mit Rotkraut und Maronen zubereitet und dabei gutgelaunt über nur teilweise geglückte Operationen von Gehirntumoren plaudert, Alfred mit dem flatternden Herzen, der unter der Deckung von geradezu Orgien komödiantisch-hypochondrischer Selbstunterwerfung sich in die Herzen der hübschesten Mädchen schleicht, Alfred, der ein wirklich freier Schriftsteller ist, weil er als Schullehrer, die Spielregeln ernst nimmt, Alfred im Sommer, in seinem Heimatort Brunnsee mit seiner Familie vor dem Haus sitzend, beim Wirten nebenan einen Obstler kippend, Alfred, die treibende literarische Kraft am Beginn des Forums, der Lyriker, der Dichter der Netze und Fänge, der Erfinder der manuskripte, der Begründer der Dunkelkammer, der gefinkelte Pamphletist gegen gamsbärtlerisches Unkraut, der Förderer und Entdecker einer Reihe von Literaten, Alfred in der Buchmessekoje in Frankfurt, umringt von seinen Mittelschülern, die ihm bis dorthin gefolgt waren, Alfred als zerrissener Autor der Pfirsichtöter, einem Werk von beispielloser Neidlosigkeit, den vagen Begriff einer „Gesellschaftskritik“ zwischen einander reibenden weltanschaulichen Blöcken zerstäubend, Alfred, der sich hier wieder einen Stock tiefer, zur Literatur zwingt – auf der Suche nach der verlorenen Zeit, um sie dann in der Grünen Seite endgültig wiederzufinden und das Gedachte schreibend in Zweifel zu setzen, Alfred, der Dichter seines Meisterwerkes Die grüne Seite, der gefundenen Synthese von abstrakter Philosophie und bewegter, bebilderter, berauschender Literatur, der formale Überwinder der Langweiligkeit in der ewigen Wiederkehr der Dinge, und somit Alfred, der literarische Unterhalter.
Alfred mit weit aufgerissenen wasserblauen Augen, wie ihn einmal sein Freund Günter Waldorf treffend porträtiert hat, mit den Augen, die der Sterblichkeit des Menschen noch einen schelmisch-makabren Scherz abringen. Alfred, der es versteht, ohne die Bemühung schwerfälliger Gleichnisse, das Leben mit dem Denken zu befreunden, der das Denken wegdenkt, um das Leben zu erdenken.
Wer Kolleritschs Tagesablauf, der sich unter anderem vom Akademischen Gymnasium über das Forum Stadtpark bis durch die Gäßchen des Lendplatzes zur Grazer Druckerei hin erstreckt, und daneben seine manisch-heitere Gier nach menschlichen Beiläufigkeiten, scheinbar unwichtigen Intimitäten kennt, wie eine Krake, die Hand auf dem schalkhaft zuckenden Herzen, gesprochene und gelebte Information aufsaugend, der wird folgenden Absatz aus der Grünen Seite sehr gut verstehen können:

Ich habe Lasten in mich hineingenommen, die stärker sind als ich. Ich habe mich gewehrt, habe verloren und dann versucht, dem Hineingenommenen das Fremde zu nehmen. Aber es ist immer fremder geworden. Ich wollte mein Denken und Fühlen auf einen Ausgang zusteuern, hinaustreiben aus den Schatten der drei Wände. Ich lief nur gegen Vertrautes. Dieses Fremde ist ja das Vertrauteste. Es ist die Brücke, auf der wir hin- und hergehen, das, woran wir uns erinnern, unser Ich, die gleichmachende Angst.

So zwangsläufig pessimistisch, so nahe den Würmern unter der Erde sich und die Welt Kolleritsch auch oft privat und in seinen Werken darstellt, so läßt er doch stets durchblicken, daß dieses beinahe heitere Dauersterben eine Art Mimikry sein könnte – oder zumindest der Glücksgewinn aus einem feinen philosophischen Todesspiel mit der eigenen und der literarischen Existenz.
Und dieser Glücksgewinn, lieber Fredi, den ich bei der Lektüre deiner Bücher sowie in vielen privaten Unterhaltungen mitgewinnen durfte, ist für mich schlechthin deine Qualität, eine Qualität, ausgelöst von einem einzelnen, von dir, meßbar jedoch nur in der Form des Spieles, des Gesellschaftsspieles, welches man „literarisches Denken“ nennen könnte. Ich kenne die Regeln dieses Spieles nicht, ich weiß nicht, wieviele mitspielen dürfen oder sollen – gewiß aber jene, aus deren Köpfen noch die Aura eines verzweifelten Evolutionstriebes strahlt – gewiß jene nicht, deren steirische Birnen nur noch als ölige Selbstportraits erlahmt von den Wänden glotzen!!
In diesem Sinne, lieber Fredi, gratuliere ich dir zum Literaturpreis des Landes Steiermark und bedanke mich, natürlich auch im Namen zahlreicher Freunde, für all die Energie und Selbstlosigkeit, die du für uns investiert hast und schließe mit folgendem Zitat aus deinem Buch Die grüne Seite, in dem Gottfrieds Vater sagt:

Wir sind nicht mehr in der Lage zu denken, weil unser Denken schon ein Denken war. Wir sind nichts als dieses Gewesene, wir wiederholen es zwanghaft, suchen es, aber finden es nicht, weil es schon nach wenigen Atemzügen aus uns entfernt wird. Die Vulkane sind vorläufig erloschen, Schutt liegt herum. Wir leben in der Fremde, und, das will ich Ihnen zum Abschluß sagen, ich werde von heute an dieses Fremdsein nicht nur mit meinen Bildern und Möglichkeiten, also vorläufig, bejahen, ich werde erklären daß alles so ist.

Wolfgang Bauer, aus Kurt Bartsch und Gerhard Melzer (Hrsg.): Alfred Kolleritsch, Verlag Droschl, 1991

 

Alfred Kolleritsch im Gespräch mit Eberhard Büssem am 17.2.2006 in der Sendung alpha-Forum

 

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Barbara Frischmuth, Friederike Mayröcker, Franz Weinzettl und Lydia Mischkulnig gratulieren

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Harald Miesbacher: A. K., die manuskripte, ihre Autoren und ich… 
manuskripte, Heft 191, März 2011

Rainer Götz: Rede zum 80. Geburtstag von A. K. Literaturhaus Graz (16.2.2011)
manuskripte, Heft 191, März 2011

Anton Thuswaldner: Alfred Kolleritsch: Der Dichter als Denker
Die Furche, 17.2.2011

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Präsentation des Lyrikbandes Es gibt den ungeheuren Anderen von Alfred Kolleritsch im LITERATURHAUS GRAZ am 5.2.2013.
Ausschnitte aus der gemeinsamen Lesung von Alfred Kolleritsch und dem Grazer Schauspieler Daniel Doujenis.

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