André du Bouchet: Vakante Glut / Dans la chaleur vacante

Mashup von Juliane Duda zum Buch von André du Bouchet: Vakante Glut / Dans la chaleur vacante

Bouchet-Vakante Glut / Dans la chaleur vacante

BEI DEM DICH ERHELLENDEN

Bei dem dich Erhellenden,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaso weit wie die Fläche,
wo die Glut sich verrenkt, hör ich bereits, ein
Stück weiter, die über das trockene Erdreich
aaaaahinrollende
Luft. Der Tau kreist uns ein.

 

 

 

Inhalt

André du Bouchet, geboren 1924 in Paris, hat sich als Dichter und als Übersetzer von Hölderlin, Celan, Shakespeare, Mandelstam u.a. einen Namen gemacht.
Über Vakante Glut schrieb Johannes Poethen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Du Bouchet steht in einer alten, seit etwa 1850 überaus reich gewordenen Tradition, ohne deshalb Traditionalist zu sein. Er verwendet die überkommenen Techniken mit einer ihm ganz eigenen Sensibilität… Manchen werden diese Gedichte suspekt sein; ihr eiliger Blick, zugestellt von den gängigen Plakaten und modischen Spruchblasen, wird sie nicht wahrnehmen. Dabei verraten diese Gedichte in all ihrer ,Innerlichkeit‘ ein äußerstes, gefährliches Engagement. Der Leser freilich wird sich die Zeit nehmen müssen, darüber zu meditieren. Paul Celan übertrug nicht in die Sprache Paul Celans. Ihm sind neue französische Gedichte in höchst subtiler deutscher Sprachgestalt zu danken.“

Suhrkamp Verlag, Ankündigung

 

Beitrag zu diesem Buch:

Timo Brand: Vakante Glut von André du Bouchet 
Literatur & so, 28.11.2013

 

 

Roland Jooris: „In memoriam André du Bouchet“

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Paul Celan – unser Deutschlehrer

– Eröffnungsrede zur Marbacher Ausstellung Fremde Nähe – Celan als Übersetzer. –

Lieber Herr Celan, dies ist meine letzte Schularbeit für Sie. Ich habe zunächst, wie Sie es immer getan haben, einen Text auf französisch getippt und dann versucht, ihn so akzeptabel wie möglich ins Deutsche zu übertragen. Ich weiß, dass Sie trotz aller Berufsethik meinen Fehlern mit Sympathie und Nachsicht entgegenkommen werden, und hoffe, dass sie Ihnen heute noch das mysteriöse Lächeln abringen werden, dem ich dreißig Jahre danach folgende Worte der Anerkennung widmen möchte.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde in und aus Marbach, Sie haben mich eingeladen, das Wort zu ergreifen, kurz bevor eine großartige Ausstellung über „Paul Celan als Übersetzer“ eröffnet wird. Ein oxymoronartiges, kaum übersetzbares Motto übertitelt das Programm: „Fremde Nähe“. Der Ausdruck bezeichnet zum Teil die Widersprüchlichkeit der Position des Übersetzers. Irgendwie aber auch mein eigenes Verhältnis zu Paul Celan. Ich war wohl sein Student (wir sagen „élève“, also Schüler), habe bei ihm Übersetzung ins Deutsche gehabt (wir nennen das, aus sehr unklaren Gründen, „Thème“). Jetzt bin ich aber selber Übersetzer, und gerade deswegen versetzt es mich in einen Zustand der Verfremdung, über Paul Celan als Übersetzer zu sprechen, seine Leistungen kritisch zu überprüfen und irgendwie zu beurteilen. Es ist eine Art Grundregel der Zunft, dass keiner über die Arbeit der andern spricht, solange nicht eine gewisse Verjährungsfrist abgelaufen ist. Ich möchte also heute nur von dem fünfundvierzigjährigen Mann in den sechziger Jahren auf der Montagne Sainte Geneviève sprechen, der vor uns saß, unserm Lallen zuhörte, dem wir dann zuhörten, mit dem wir aber so gut wie nie ein Gespräch hatten.
Auf die „fremde Nähe“ beim Übersetzen möchte ich nicht eingehen, nur diese „nahe Fremdheit“ beschreiben, die unsere Beziehung war und deren Rätsel sich womöglich durch Worte mit der überdeutlichen Aussage der Erinnerung zusammenschließt: „er war unser Deutschlehrer“, wenn man nur ihre prosaische Linearität über drei Kurzzeilen, etwa wie in einem Gedicht von Ernst Meister, zerstückelt:

er war unser
Deutsch-
lehrer.

[…]1
Celan war Lektor an der École Normale Supérieure, die man auch „Rue d’Ulm“, Ulmerstraße, oder zwiefach metonymisch einfach „Ulm“ nennt, von Oktober 1959 bis zu seinem Tode im April 1970. Insgesamt elf Jahre. Er war 39, als er die Stelle antrat, 49, als er starb.
Vor ihm war ein Herr Schlocker, ein deutschsprachiger Schweizer Lektor gewesen, der selber der Nachfolger von Celans zukünftigem Freund und Herausgeber Beda Allemann war. Die meisten Lektoren vor ihm hatten nur ein Jahr bzw. zwei Jahre in diesem Amt verbracht. Die einzige Ausnahme bildete ein Herr Hirsch, der von 1945 bis 1954 im Amt blieb. Ich weiß nicht, ob Celan ihn gekannt hat.
Celans Ernennung für diese Funktion war dadurch möglich geworden, dass der für diese Lektorenstelle kandidierende Peter Szondi nicht rekrutiert werden konnte, weil der Direktor meinte, Deutsch könne nicht die Muttersprache eines gebürtigen Ungarn sein. Claude David, der damals die Germanisten der ENS betreute, bestätigte mir letzte Woche, dass Celan dann das Angebot von selbst gemacht hatte, die frei gewordene Stelle zu übernehmen. Erst im Juni 1959 wurden die Einstellungspapiere ausgestellt. Sie befinden sich jetzt im Archiv der öffentlichen Behörde in Fontainebleau.
Dass er sich bewarb, ist nicht verwunderlich. Es war eine sehr interessante Stelle. Der Deutschlektor verfügte wie die anderen Lehrkräfte der École über ein geräumiges Büro im Erdgeschoss, dessen hohes Fenster auf einen baumreichen Hof blickte. Das Gehalt war bescheiden: 600 FF im Monat, aber er bekam einige Überstunden bezahlt, für die kein zusätzlicher Dienst verlangt wurde. Die Briefe des ehemaligen Direktors und berühmten Hegelianers Jean Hyppolite sowie des Generalsekretärs Jean Prigent beweisen, dass er von seiten der Verwaltung der ENS eine echte Sympathie genoss, als ob einige Leute doch gewusst hätten, wer er war, sich überzeugt hätten, man solle ihn, soweit es ging, in Schutz nehmen.
Ansonsten nämlich war er ein einsamer Mensch an der Universität: Niemand kannte seine Geschichte, geschweige denn seine Gedichte. Erst als er gestorben war, erinnerten sich einige – ein Leitmotiv der Erinnerung – an seine „bescheidene schemenhafte Erscheinung“.
Er war der einzige Deutschlehrer im Haus: Der Lehrkörper bestand damals aus wenigen Leuten, sogenannten „Kaimanen“ im Jargon der Normaliens. Althusser war der einzige Philosophiedozent. Sämtliche Fremdsprachen waren von einem Anglisten vertreten: Jean Fuzier, dann Philippe Moret. Erst 1967 wurde ein Germanist herangeholt: der Übersetzer Bernard Lortholary, dessen Nachfolger ich dann 1971 wurde. Es waren ja auch nur wenige Germanisten zu betreuen: im Durchschnitt zwei/drei Leute pro Jahrgangsstufe, also insgesamt acht bis zwölf Studenten, die Hälfte davon im Ausland. So habe ich zum Beispiel die Hälfte meiner Studienzeit an der ENS, also zwei ganze Jahre, als Lektor an der Universität Heidelberg verbracht. Im letzten Studienjahr kamen noch ein paar Gasthörerinnen und Gasthörer hinzu, die die Vorbereitung auf das französische Staatsexamen, auf die sogenannte Agregation, mitmachten. Die Deutschstunden fanden also in einem sehr kleinen Kreis statt. Schwänzten ein paar Leute aus irgendeinem Grund, so war das eine Privatstunde. Es hätte zu persönlicheren Beziehungen führen können. Das war aber nur selten der Fall. Ich kenne nur einen ehemaligen Normalien, der so etwas erwähnt hat. Wir haben den Lektor im Grunde nur maschinell „benutzt“, als wäre er eine Art Sprachdienststelle gewesen, als performativen Besitzer und Versorger einer Muttersprache, die wir uns aneignen mussten: Wir übten und übten, verzerrten die Syntax, verfehlten den richtigen Ausdruck, trafen nicht das richtige Wort. Er verbesserte. Es hat ihn vielleicht amüsiert, was wir da alles erfanden, auch unsere Wut, unser barbarisches Deutsch orthonymisch zu normalisieren. Literatur hat er mit uns nie gemacht, obwohl zu Beginn des Jahres ausdrücklich abgemacht worden war, wir würden im Frühjahr Gedichte von Mörike kommentieren. Wir machten mit ihm keine schriftlichen Hausarbeiten. Die Arbeit war also keine Last im üblichen Sinne, aber immerhin ein langweiliges Pensum.
[…]
Im Grunde war es doch eine Qual, dass er nun Deutschlehrer sein musste. Außerdem wurde er auch manchmal gebeten, je nach Nachfrage, die sogenannten Nicht-Spezialisten zu initiieren, die Fortgeschrittenen auf dem schon erworbenen sprachlichen Niveau zu halten. Soso, lala.
Meine Erinnerung besteht kaum aus Worten. Ich sehe ihn, wie er vor uns sitzt, das Fenster im Rücken. Sein Gesicht im Schleier eines Schattens, er lutscht irgendwas gegen Husten, ein Katechu-Bonbon. Das ist auch die Farbe seines Blickes: noir cachou, Immer sehr präsent, die Stimme mild. Angenehm. Jetzt weiß ich, dreißig Jahre danach, dass er zu dieser Zeit ganz allein wohnte, in einer kleinen Wohnung unweit von der École, dass er unter Depressionen litt. Das haben wir nie wahrgenommen. Wir waren damals wahrscheinlich nicht dazu fähig, eine richtige Trauer zu erkennen.
Seine Übersetzungen waren echte Wunder, Kunstwerke. Eine halbe Stunde vor Schluss las er seine eigene Übersetzung vor, die er niedergeschrieben hatte. Er wählte sich immer moderne, interessante Texte zum Übersetzen aus. So zum Beispiel aus meiner eigenen Kladde: Ponge (Le restaurant Lemeunier ), Albert Camus (La pierre qui pousse), Sarraute (Tropismes), Lévi-Strauss (Anthropologie structurale), Sartre (Écrire), Valéry Larbaud, Baudelaire (Fusées), Henri Michaux (La nuit des Bulgares), Marguerite Duras (Le vice-consul), Proust (L’annonce du voyage à Florence), Choderlos de Laclos (Les liaisons dangereuses), J.H. Fahre (La mante), Valéry (Lettre d’un ami). Es gab damals noch keine Photokopien, kein anderes Vervielfältigungsmittel als die eigene Schreibmaschine, sechs Durchschriften auf Dünndruckpapier, die letzte Kopie schwer lesbar, die erste an sich schon ein Autogramm…
Und so ulmte es weiter von Woche zu Woche zwischen November und Mai. Manchmal musste er in die Klinik oder ließ sich aus gesundheitlichen Gründen beurlauben: 1964–1965 blieb er die ganze Zeit in so einem Urlaub weg und ließ sich von Elmar Tophoven vertreten, der dann 1970 sein Nachfolger wurde.
Wie verulmend er auch war, so wusste er zweifelsohne, dass diese École eine Art kulturelles Paradigma in der französischen Geschichte bedeutet. Er kannte die Vorteile einer solchen Position: nicht nur das geräumige Arbeitszimmer und die geringe Zahl der Studenten, sondern auch die Bibliothek zum Beispiel und überhaupt die Atmosphäre dieses republikanischen Stiftes. Gleichfalls kannte er – war womöglich von andern öfters daran im Gespräch erinnert worden – die Geschichte der Anstalt: die Gründung 1794, die Freidenkertradition, das Interesse für Deutschland, die nationalsozialistischen Lektoren während der Besatzung. Wusste vielleicht von seinem ehemaligen Kollegen Norbert von Hellingrath, dem Entdecker von Hölderlins Spätwerk, der hier 1911 Lektor gewesen und fünf Jahre danach vor Verdun gefallen war.
Die meisten Hörsäle befanden sich damals im ersten Stock, hießen, heißen immer noch: Salle Jean Cavaillés, nach dem Namen eines 1944 erschossenen Philosophen, oder „Salle des Résistants“. Heute heißen die neuen Hörsäle im Erdgeschoss: Paul Celan, Samuel Beckett (ein anderer Lektor) und Simone Weil. Ich komme doch aufs Übersetzen zurück.
Mit uns, wie gesagt, machte er nur das gerne. Wir wissen jetzt, dass er sich auf diese Stunden sehr gewissenhaft und fleißig vorbereitet hat. Er hatte ungefähr hundertzwanzig äußerst schwierige Texte parat, mit entsprechender Übersetzung, und dazwischen aufgehäuften Vorstufen und Materialien. Selbst die von ihm unerwünschten Sprachkurse für Anfänger und dergleichen hat er mit großer Sorgfalt vorbereitet. Er besaß zwei Handbücher: den allgemein bekannten Schulz-Griesbach und eine schweizerische Methode von Werner Günther und Rudolf Zellweger: Man findet darin zahlreiche Übungen mit Auslassungszeichen, die er mit den korrekten Lösungen exhaustiv ausgefüllt hatte, als ob er gefürchtet hätte, plötzlich beim Herunterlesen der deutschen Norm zu versagen.
Er zog es vor, zu übersetzen, weil er wusste, dass er da unersetzbar war, und weil das Übersetzen eine richtige konkrete Arbeit ist. Er wusste, ahnte irgendwie auch, dass einige unter uns auch mal übersetzen würden: Trotz des Altersunterschieds entstand da eine Art anonyme Gleichheit, wo wir Knappen, Lehrlinge waren. Diese Seite der Übersetzung interessiert mich heute: ihre proletarische Komponente. Auch er, der Dichter, hatte übersetzt, zwei Krimis von Simenon, um Geld zu verdienen, „pour faire bouillir la marmite“.
Ich komme darauf zurück, weil diese wirtschaftliche Episode aus seinem Leben eine enge Beziehung zu seiner Auffassung von Poesie und Menschlichkeit und überhaupt von Sinn, Funktion und Wirkung des Wortes aufweist. Auch möchte ich dabei mit Karl Marx eine alte Rechnung begleichen. Von ihm habe ich auch viel für wenig übersetzt, aber ich finde keine Entschuldigung dafür, dass er seinen ersten französischen Übersetzer, Joseph Roy, so unmenschlich misshandelte. Als dieser seinen inzwischen berühmt gewordenen Autor endlich besuchen konnte, empfing ihn Marx im Garten, speiste ihn mit blöden Höflichkeiten ab und beschwerte sich dann darüber brieflich bei Engels. Der einzige Proletarier, den Marx überhaupt ausbeutete und demütigte, war also sein Übersetzer.
Paul Celan befand sich irgendwie in einer vergleichbaren Lage, nur dass die Autoren nicht immer so undankbar waren. Er hatte es mit den berühmten Werken berühmter Männer zu tun, musste sie sich aneignen, musste also tun, als ob er ein Ebenbürtiger wäre, und doch den Unterschied, die nahe Fremde spüren, sich der Gefahr aussetzen, den Texten nicht gewachsen zu sein.
Wie die Galeerensklaven von Hofmannsthal, sitzt der Übersetzer unten am Tisch, des Nachts, wie Heines Weber, er webt und webt, alt Deutschland dein Leichentuch. Er weiß, als überempfindliches Wesen, dass man ihm den Vorwurf machen kann, er hätte das Genie verraten, wie man andere mit dem Gerücht verleumdet, sie hätten das Genie geplündert. Kein großer Haifisch unter den Meistern ist er, sondern ein armer „barbeau“, ein kleiner Woyzeck im literarischen Prozess. So ist es: oft mögen auch die Autoren ihren Übersetzer nicht…
[…]

Jean Pierre Lefebvre, in Arcadia 32/1, 1977

 

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Paul Celans Todesfuge interpretiert von Diamanda Galas im Teatro Albeniz, Madrid, 15.10.2008.

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