Andre Rudolph: Blicktot, Nixe, ≺klaffende Tags≻

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Andre Rudolph: Blicktot, Nixe, ≺klaffende Tags≻

Rudolph-Blicktot, Nixe, ≺klaffende Tags≻

<ETWAS WELT HAST DU, MIT NOT>

etwas welt haltiger hast du es nicht welt und welle
aaaaahall und all und halt und
faltiger kann ich an bietend und viel gestaltiger und
aaaaamit den not wendigen kontakt stellen
zur tradition ein mal sorg los möcht ich schlafen ohne
aaaaawaffen diese nacht denn wohl sieben lange
jahre leg ich nicht die rüstung ab sieh diese schlaf
aaaaagerüste nixe vehemenz deiner
fession müd strapazierter verhalt hin geschleppt durch die zeilen mach
dich nicht tot nixe dreh das g sicht deiner sage zum bei spiel nach
norden was sehen wir da was zum bei spiel kastanien knospen
forsythia eine reifen bude eine reife mitt vierzigerin allein unter
wegs kapriziöser s v halt kannst du das auch normal sagen nein
und auch keine schablonen zur verfertigung von stills von rittern
weit und breit denk dich hin aus aus deinem verschlag oder
wahl weise hin ein die ritter welche die jung frauen geraubt haben kommen
nicht in den schrein verbirg deinen auf ent halt leg dem
tag ein ketten hemd <an> auf und lass kommen lass
kommen antizipiere den schlag es war die innen
seite der rüstung in der er sich auf hielt und stak
und enden sollte es aber in einer art ent
rüstung die sich ihres an fangs begab

 

 

 

Wie kaum ein anderer Gegenwartsautor

ist Andre Rudolph der Dichter der scheinbaren Gegensätze, von Pathos und Ironie, von echtem, tiefem Witz und echter, tiefer Klage. Auch in seinem dritten Gedichtband findet sich bei aller Lust zum Beschreiten neuer Pfade ein strenger Formwille, der dabei nie gezwungen, eher rauschhaft wirkt. Es ist ein zersplitternder, epischer, konfessioneller Gesang. Ein breiter barocker Teppich, dessen Vollendung gleichzeitig gelingt und scheitert, scheitern muss, weil es das homerische ,Große‘ nicht mehr geben kann. Das Scheitern also ist Resultat und Grundlage, es treibt diese zwischen den Stilen und Sprechweisen changierende Tragikomödie an. Andre Rudolph behauptet bei aller bewussten Sprachskepsis, bei allem ,sowohl/als auch‘ weiterhin und unerschütterlich, dass Dichtung lieben, trauern, singen kann.

luxbooks, Ankündigung

 

Es ist weniger ein Zyklus und mehr ein Prozess.

Am Anfang steht die Idee einer lyrischen Erzählung über die Liebe, im Prozess ihrer Entfaltung findet das Gedicht unversehens in seine Geometrie, nach und nach in die übrigen (In)Stabilen seiner Form. Es spielt in den ihm geöffneten Räumen herum, komisch, tragisch und – agonal; es beginnt, in sich zusammenzufallen. Es steht wieder auf, prozessiert erneut mit sich und seiner im Prozesse gefundenen Form, fällt wieder, verändert das Setting, schraubt hier und da, kommt für eine Zeit nochmal ein Stück weiter, fällt… Eigentlich fällt es die ganze Zeit, und wirft nur unterwegs eben Prozessdokumente ab, sehr unterschiedliche; welche, in denen es sich bei der Selbstauslöschung zusieht, Natives und Sedimentalisches, viel Zerfaserndes und Zerfasertes aus der verlumpten, korrumpierten Welt- und (Rest) Innen(an)sicht, aber auch Schriftstücke, in denen aus geheimen Gründen eine Art Vollständigkeit entsteht, in der es leuchtet, oder brennt.

Andre Rudolph, luxbooks, Klappentext, 2015/2016

 

Beiträge zu diesem Buch:

Elke Engelhardt: „Stationen einer Erzählung, die sich selbst sucht“
fixpoetry.com, 17.6.2015

Dirk Uwe Hansen: Weberei
signaturen-magazin.de

 

Es muss Funkkontakt bestehen

– Dichterleben. Ob Plagwitz oder Zentrum-Nord: Leipzigs junge Lyriker bilden keine Szene oder Schule, sondern dichten an vielen Orten. Fünf Porträts und 21 Gedichte. –

Eines der größten Probleme Leipzigs liegt knapp 200 Kilometer entfernt: Berlin. Dabei hat die Stadt der bundesdeutschen Hauptstadt durchaus etwas entgegenzusetzen und zwar ausgerechnet auf deren Hoheitsgebiet der Schönen Künste. Zum einen erblüht in Leipzig die klassische Musik in einer Üppigkeit, die dem Protestantismus ansonsten eher fremd ist. Zum anderen hat die zeitgenössische Malerei nicht zufällig hier Schule und dann auf der Welt das große Geld gemacht. Auch in Sachen Literatur besteht kein Anlass zur Bescheidenheit: In jedem Frühjahr verzeichnet das als Buchmesse getarnte Literaturfestival neue Rekorde. Zudem zeugen mehrere kleine Verlage und feine Zeitschriften von publizistischem Wagemut. Auch das Deutsche Literaturinstitut wäre nirgends besser aufgehoben als im Leipziger Musikerviertel zwischen Kunsthochschule und US-Konsulat.
Doch da ist noch etwas anderes, wodurch diese Stadt auf der literarischen Landkarte hervorsticht: Hier leben erstaunlich viele Dichter. Ja, ausgerechnet die Lyrik, diese vielleicht heikelste Gattung, hat sich in dem Biotop aus literarischer Infrastruktur, geringen Lebenskosten und städtebaulicher Unfertigkeit bestens eingerichtet. Was auch andernorts nicht unbemerkt bleibt: Gerade sorgt eine Leipziger Poetengeneration von Anfang- bis Mitte-Dreißig-Jährigen bei einschlägigen Gelegenheiten für Aufsehen und -hören. Und das, ohne eine eigene Szene darzustellen; es gibt keine festen Orte oder regelmäßigen Treffen, obwohl die meisten mit dem Deutschen Literaturinstitut ein gemeinsames Nadelöhr haben. Am besten also, man besucht die Dichter da, wo sie arbeiten: zu Hause.

Mit ausgefahrenen Antennen 

Andre Rudolph ist eine Ausnahme. Statt in der hippen Südvorstadt oder dem Boheme-Viertel Plagwitz, wohnt er in Zentrum-Nord über einem Asia-Imbiss, in dem die Chinapfanne einsachtzig kostet. Und im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen ist Rudolph auch nicht wegen des Deutschen Literaturinstituts nach Leipzig gekommen, sondern hier aufgewachsen. Er raucht viel und spricht auffallend leise mit sächsischem Einschlag, um dann plötzlich in lautes Lachen auszubrechen. 
„Ich habe fast zehn Jahre kein Gedicht geschrieben“, sagt Rudolph, der bereits Anfang der neunziger Jahre als hoffnungsvolles Talent galt, bevor er sich der Philosophie widmete, vor allem der von Johann Georg Hamann, dem „Derrida des 18. Jahrhunderts“, über den er auch promovierte.

Ich dachte: Die Welt braucht keine Gedichte, ich brauche auch keine und ich will auch keine mehr schreiben. Dabei hatte ich wahrscheinlich einfach nur Angst vor einer Existenz, wie ich sie jetzt anfange zu führen.

Und die wäre?

Schauen, wie gut das mit dem Literaturkarussell läuft und sich nebenher, qua Arbeitsamt, als Textdienstleister selbstständig machen.

Da scheint jede Angst unbegründet: Rudolphs Debütband Fluglärm über den Palästen unsrer Restinnerlichkeit hat es auf die SWR-Bestenliste geschafft, und vor Kurzem hat er den Meraner Lyrikpreis gewonnen. „Aber“, sagt Rudolph, „in der letzten Zeit sind nur sehr wenig Gedichte entstanden“. Vergangenen März fand er, in einer überfüllten Tram auf dem Weg zur Buchmesse, überhaupt die erste Zeile in jenem Jahr.

Für die erste Zeile muss Funkkontakt bestehen, was jetzt nicht der direkte Beschuss durch Apoll und die Musen sein muss. Es ist eher so ein Zustand passiver Konzentration: Im Zweifel nüchtern, mit anständiger Körperspannung und ausgefahrenen Antennen. 

Jörn Dege, der Freitag, 25.8.2010

 

 

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Keystone-SDA
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Andre Rudolph ‒ „Das schwächere Gedicht“ | Lyrik für Likes #2.

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