Andreas Reimann: Das Sonettarium

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Andreas Reimann: Das Sonettarium

Reimann/Ruddigkeit-Das Sonettarium

DAS SONETTARIUM

Der worte sind genug verwechselt. Schaut:
auf der gebleckten zunge der belag
ist nicht des tabaks teerner niederschlag:
ich hab nur ums verrecken das gekaut,

was sprache hieß, damit ich nur die sätze,
wie ich sie meinte, durch die zähne ließ
und wörter hatte, frei von presse-krätze,
und nichts verhieß, und nicht den gries-schlamm pries.

Und dennoch sonne, großgeblüht, die nächtlich
herüberspiegelt: dies hinwiederum
zu leugnen schamhaft, wäre selbstverächtlich…

Komm auf ein wort ins sonettarium!

Und was dir drin mißfällt, mein freund: bewein’s!
Ansonsten: allen alles. Keinem keins.

 

 

 

Auf der Suche nach einem Land

– Der Dichter Andreas Reimann. –

Andreas Reimann (geb. 1946) war bekannt als Lyriker der DDR, der mit seinen Texten oft kritische Beachtung fand. Er wurde 2000 mit dem Literaturstipendium Leipzig ausgezeichnet. Ich hielt die Laudatio auf sein von Widerspruch geprägtes Leben.

MARKLEEBERGER ELEGIE

Was sitz ich hier und trink zu teures bier?
Erinnerungen schwirrn wie rüssel-mücken.
Wo ziegen grasten, da beugt jetzt den rücken
die leutheit rings und kriecht ins diesel-tier.

Windsuppen-grau sind jene nachmittage,
an denen man in rückkehr sich versucht.
Endgültig wird zum ort der niederlage
die vormals-heimat, wenn man auf der flucht.

Noch einmal rastet an den herkunfts-stätten:
die häuser sind geschrumpft, die mit-gebornen
fülln in die taschen sorglich salz und sand,
als ob sie jetzt schon angst vorm glatteis hätten. 

Und ich?: such ich die freuden, die verlornen?

Nur wo man nicht ist, ist das vaterland.

Die laudatorische Begründung zur Auszeichnung mit dem Leipziger Literaturstipendium für das Jahr 2000 gilt Andreas Reimann, ihm besonders, aber zugleich, wie wir mit Respekt und Achtung wahrnehmen sollten, mit ihm – wie er es nicht ohne hintersinnige Anführungszeichen in seinem Fragment einer Familien-Chronik nannte – zugleich den Reimanns, einer Dynastie zeichnender Schreiber, einer Leipziger Künstlerfamilie im 20. Jahrhundert, in Leipzig also, „einer den Musen bitteren Stadt“, die Andreas Reimann in vielen seiner Gedichte als sein „hiesiges Land“, also Vaterland, nennt, mit dem er, aufgrund des dort herrschenden Staates, in Zwist und Streit geraten musste, Land, an dem er litt, weil es ihn ausgrenzen wollte, politisch wegen widersetzlichen Charakters, moralisch wegen Liebe zum gleichen Geschlecht, und eben überhaupt, weil er schrieb und zeichnete, was die Behörde lieber beschlagnahmte und in Akten verschloss, als es der Öffentlichkeit preiszugeben – solche Verse zum Beispiel:

HAUSSUCHUNG

Sie suchen und suchen: es
Sie suchen es über den türen,
sie suchen es in den schränken,
sie suchen es in den kartons.
Sie suchen es hinter den büchern,
sie suchen es zwischen den büchern,
sie suchen es unter den laken,
dem bett und dem ofen gar.

Im spülkasten suchen sie es,
und suchens im klo.

Ich würde es ihnen ja geben,
wenn ich es hätte.
Aber ich hab es nicht.

Sie suchen wohl was, das sie brauchen,
um zu beweisen, daß man sie braucht.

Ja, die Zustände sind ihm alles andere als freundlich gesinnt, und man versteht, dass er sich ihnen verweigert oder entzieht, spöttisch und bitter, lästernd und listig, nicht ohne Federn zu lassen, „Wollust und verlust“, wie er es in einem veröffentlichten Gedicht sarkastisch in Hexametern skandiert oder eben in dieser Schlusszeile elegisch resümiert: 

Nur wo man nicht ist, ist das vaterland 

was mir klingt wie ein zeitgenössisches Echo auf jenes Lied vom Fremden im gelobten Land jenes Schmidt von Lübeck, das Schubert unvergänglich vertonte –

Das Land, das meine Sprache spricht,
Und alles hat, was mir gebricht?

[…]
Es bringt die Luft den Hauch zurück:
„Da, wo du nicht bist, blüht das Glück.“

Lassen Sie mich, mehr spontan als systematisch, ein paar markante Fakten und pikante Punkte aus den Lebensläufen von drei Generationen herausgreifen, Daten aus der Geschichte einer deutschen Künstlerfamilie dieser Epoche, Familienbande, in der, wie es ihm in den späten 6oer Jahren ein Vernehmer auf den Kopf zusagt, „die Hetzerei wohl erblich sei“.
Der Delinquent kommentiert:

Ich wagte dem nicht zu widersprechen und verkniff es mir auch tunlichst anzumerken, dass die Abkömmlinge meiner Sippe wegen dieser ansteckenden Seuche zum ersten Mal in der Weimarer Republik, zum zweiten in der Nazizeit und zum dritten Mal im real existierenden Sozialismus inhaftiert waren.

Der Großvater, Hans Reimann, geboren 1889 in Leipzig, ein Satiriker und Kabarettist der an Kleinkunstbühnen reichen Goldenen zwanziger Jahre, der beliebte Grotesken und Schnurren schrieb, „Sächsische Miniaturen“ in sächsischer Mundart (unter anderem über den abgedankten König Friedrich August III.), und der desterwegen – Hetzerei ist vorbelastend – wegen Majestätsbeleidigung eingelocht wurde (woraufhin er Sachsen für immer den Rücken kehrte) – dieser Hans Reimann musste sich wegen Sottisen gegen die Nazis, als diese die Macht ausübten, so im Hintergrund verbergen, dass – wiederholter paradoxer Plot in der Reimann-family – sein Name nicht genannt werden darf, als er seinen größten Erfolg erlebt, nämlich als der Film, nach seinem Roman entworfen und von ihm mitverfasst, einen beispiellosen Triumphzug antritt, ein Film, der noch heute auf unseren Bildschirmen flimmert: Es ist Die Feuerzangenbowle mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle und den seitdem geflügelten Pennälerzitaten an deutschen höheren Lehranstalten.
Hans Reimann hat 1959 seine Lebenserinnerungen Mein blaues Wunder veröffentlicht; ich wünschte mir, Passagen daraus wiederzulesen.
Sein Sohn, Peter Reimann, Vater von Andreas, geboren 1919 in Leipzig, der an der dortigen Kunstakademie studierte und zu Beginn der 40er Jahre pseudonym mit Kurzgeschichten für die Zeitschrift Simplicissimus debütierte, wurde 1945 in der Wehrmacht wegen „staatsfeindlicher und defätistischer Tätigkeit“ verhaftet und entging wohl nur durch Zufall den landläufigen Standgerichten am Kriegsende, weil kein Filbinger, sondern sein Onkel zuständiger Kriegsgerichtsrat war.
Peter Reimann engagierte sich vor allem als Pressezeichner und Kabaretttexter für den neuen Staat im Osten, zeichnete dort für die satirische Zeitschrift Frischer Wind und – mit jähem Frontwechsel – seit dem Jahr 1953 für die Tarantel in West-Berlin, auch zu den Ereignissen vom 17. Juni 1953.
Sein Gesinnungswandel hatte in jenen Tagen des Kalten Krieges im geteilten Deutschland für Andreas Reimann und seine Geschwister verhängnisvolle Folgen: Die Mutter verübte nach der Scheidung vom republikflüchtigen Ehemann Selbstmord; die Kinder kamen in ein Waisenheim; der Vater, der sich „von drüben“ vergeblich um sie bemühte, starb 1955 in West-Berlin unter bis heute nicht geklärten Umständen; das Ministerium für Staatssicherheit hatte ihn immer auf seiner Liste.
Die frühe Prägung, ja Stigmatisierung, die Andreas Reimann durch die Familienangelegenheiten widerfuhr – ein Stück deutscher Spaltung an einem authentischen Fall drastisch vorgeführt –, zeichnen seine Biographie.
Getreu dem Vermächtnis seines ihm kaum bekannten Vaters, der ihm, in seinem Geburtsjahr, 1946, die Verse widmet:

Nun hör, mein Sohn, du wirst mir nie Soldat!

entzieht er sich 21 Jahre später durch einen Suizidversuch dem Dienst in der Nationalen Volksarmee – „und ich war stolz, nunmehr der dritte des Reimann-Clubs zu sein, der den Waffenrock halbwegs sauber auf der Effektenkammer abgegeben hatte“.

Die söhne sind endlich das härteste urteil den vätern.
In ihnen sind nämlich die väter wie minen gelegt.
Wir suchen und suchen, und wissen nie ganz sie ent-
schärft
[…].
„Genesis“ 

Andreas Reimanns Verse sind von Beginn an und für immer von solcher „Genesis“ grundiert.
Seine Ausflüge in die sogenannte heitere Muse ganz in der Tradition seiner Väter – Songs und Chansons, Liedermacher mit eigenen Auftritten und entsprechenden Auftrittsverboten und illegalen Konzerten, zum Beispiel in Kirchen, für welche die AWA (Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte) korrekt die Tantiemen überweist („Ich habe nie so viel Kohle mit meinen Sachen gemacht wie in der Zeit, als sie verboten waren.“) –, er betreibt dieses Metier mit einem Anflug von Galgenhumor, Scherz und Ironie mit tieferer Bedeutung, die er gewitzt und weise als Überlebensstrategie einsetzt, auch um in schwierigen Situationen, den Abstürzen in Lust und Wollust, Krisen und Gnade der Sucht, zu entkommen und letztlich sich auch über sie hinwegzusetzen:

Das schlimmste war: du hast dich schwach gesehen.
So wärst du fast schon unters glas gekommen
[…].
„Schnaps“ 

Nein, Andreas Reimann schenkt sich nichts und ist trotz alledem kein Kind von Traurigkeit, und die Kunst, Gedichte zu schreiben, gilt ihm gleichviel der 

[…] kunst, den salat zu bereiten […]
Und essen mit freunden (die freunde alleine sind nicht
ein vaterland, sag ich, doch ohne sie gäbe es keins)
[…].
„Die günstigen künste“ 

Liest man in seinen ersten Selbstbetrachtungen über die vergangenen Jahre, überrascht bei allen Gefährdungen, denen er ausgesetzt ist, den Unbotmäßigen, zu denen es ihn treibt, sein freundlich weltzugewandtes Gemüt, couragierte und ironische Selbstbehauptung, der jede Heldenpose als Dissident abgeht. Vom Literaturinstitut Johannes R. Becher wurde er einst wegen politischer Aufsässigkeit exmatrikuliert; dem Lehrer Georg Maurer, der sein Talent erkannt hat und sich für ihn einsetzt, widmet er dankbare Verse. Als Redaktionen und Lektorate nach seiner Haftentlassung seine Arbeiten boykottieren, korrigiert Max Walter Schulz ein früheres Urteil und lässt Gedichte von Andreas Reimann in der Akademie der Künste in Berlin zu Wort kommen, der vergisst es ihm nicht und hält fest:

[…] das war der tag, an dem ich an mich kam,
da mich ein mann aus mir herausgeführt.
Und die journale gaben mich bekannt
am dritten tag, und so bin ich gerettet
in viele köpfe, also in die welt.

Nun fällts mir bei, zu sagen: vaterland.
„Wirkliche reise“ 

Seinen Gedichten ist seitdem, wie man so schön sagt, nichts Menschliches fremd; man kann es getrost in den leider längst vergriffenen Bänden Die Weisheit des Fleischs und Das ganze halbe Leben von 1975 beziehungsweise 1979 nachlesen: Liebe und Enttäuschung wie Aufschwung und Absturz, Verzweiflung und Hoffnung, Lob des Daseins und Lästerung – poetische Offenbarungseide eben dieses Andreas Reimann, der sie schließlich – alles hat am Ende sich gelohnt – ziemlich souverän in die maßhaltenden, 14-zeiligen, akkurat und kühn gereimten Strophen seines Sonettariums bringt, das 1995 erscheint – Assoziationen zu Terrarium, Behälter zur Haltung von Lurchen und Kriechtieren, und Planetarium, Gerät und Raum zur Veranschaulichung der Gestirne, sind großzügig erlaubt. 

GEDICHT DES GEDICHTS

Bewirkungslose sind wir allesamt:
ein knapper regen, der das gras nicht labt.
Ach, armer dichter, grau und abgeschabt,
der aus dem lande aberglaubien stammt:

gedichte gehn zunichte, ehe sie
auf dem papier zum wort geronnen sind.
Die besten verse sind ein stotterwind,
wenn man sie mißt an einem schmerz, der nie

zur sprache kommt. Die liebe und der tod
sind anzudeuten, doch zu sagen nicht:
bewirkungslose sind wir allesamt…

Denn das gedicht, zu glanz und klang verdammt,
ist fast ein schweigen, wenn der dornbusch loht.
Und stirbt’s, stirbt scheinbar nichts als ein gedicht.

Andreas Reimann, der sich nicht zu den Siegern der Geschichte zählt, damals nicht und heute nicht, hat – wie ich nach diesen wenigen veröffentlichten Zeugnissen weiß – mit seiner Lebensgeschichte und der seiner Väter und ihren Angehörigen einen großen Stoff vor sich, den er bisher erst in Grundzügen umrissen hat. Ich wünsche ihm die Kraft, dieses Buch zu gestalten, das zu seinem Lebensbuch werden kann; ich wünsche ihm den Verlag, der sich für dieses Projekt deutscher Kulturgeschichte mit Leipzig als Ausgangs- und Drehpunkt entsprechend engagiert. Das Leipziger Literaturstipendium für das Jahr 2000 sollte ihm dafür, ich hoffe es für uns alle, ein guter Ansporn sein.

Gerhard Wolf, Laudatio zur Auszeichnung mit dem Leipziger Literaturstipendium für das Jahr 2000, aus Gerhard Wolf: Herzenssache. Memorial – Unvergessliche Begegnungen, Aufbau Verlag, 2020

 

 

Andreas Reimann: „Leipzig feiert pausenlos“

Peter Geist: „die ganzlust hab ich“ – zu den Gedichten von Andreas Reimann

Porträt des Lyrikers Andreas Reimann

 

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Peter Geist: „Ich flagge die fahne protest!“
Ostragehege, Heft 87, 5.3.2018

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Gespräch Alexander Mayer mit Andreas Reimann: Leipziger Lyriklegende Andreas Reimann: Schreiben aus Notwehr
mdr KULTUR, 11.11.2021

Michael Ernst gratuliert Andreas Reimann zum 75. Geburtstag
mdr.de, 8.11.2021

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Facebook

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Andreas Reimann

 

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