Angélica Freitas: Der Uterus ist groß wie eine Faust

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Angélica Freitas: Der Uterus ist groß wie eine Faust

Freitas-Der Uterus ist groß wie eine Faust

METONYMIE

jemand will wissen was das ist, eine Metonymie
und öffnet gleich Wiki
stößt auf eine Passage von Borges
in dem fürs Schiff die Galionsfigur steht

ein Teil für das Ganze heißt Synekdoche

in Teil für das Ganze in meinem Leben
dieses Stück Wandteppich
steht es für etwas? steht es für nichts?

ich wollte gar nicht wissen was
eine Metonymie ist, war nur auf die falsche Seite geraten
ich suchte den richtigen Weg
und fragte einen Polizisten

ich wollte keine falsche
Lesart
doch Poesie ist immer
falsche Lesart

ich wollte ein Gedicht schreiben
ein echt zeitgenössisches Gedicht
ohne Flüssigkeitsaustausch
mit dem Zeitgenossentum

wie Roland Barthes im Bett
nur die Klassiker

 

 

 

Der Uterus ist groß wie eine Faust

ist der zweite Band der brasilianischen Dichterin Angélica Freitas und hat sie endgültig zu einer der wichtigsten Dichterinnen Brasiliens gemacht. Für den Band erhielt sie den Prêmio APCA de poesia und war Finalistin beim Prêmio Portugal Telecom. Nahm sie sich in ihrem ersten Band Rilke Shake den poetischen Kanon vor, so dekonstruiert sie nun das Konzept „Frau“. „Die Frau ist eine Konstruktion“, schreibt sie, „die Frau muss im Grunde / ein Wohnkomplex sein / alles ist gleich / alles gleich verputzt / nur jeweils anders gestrichen.“ Und dann dekliniert sie mit viel Verspieltheit alle Eigenschaften, die „Frau“ im Laufe der Jahrhunderte zugeordnet wurden, (schmutzig, hässlich, gut, dick, hübsch, sauber); Haltungen und Positionen, die sie in der Gesellschaft annehmen kann (Frau mit Besitz, respektable Frau, Frau auf Diät usw.); oder lässt Google herausfinden, was „Frau“ ist. Im titelgebenden Langgedicht „der Uterus ist groß wie eine Faust“ beschäftigt sie sich mit dem Uterus von Frida Kahlo, Alejandra Pizarnik oder Hillary Clinton, gibt Pflegeanleitungen und stellt den ersten und einzigen Wanderuterus vor, „der frei im Schengenraum zirkulieren darf.“ Nie werden ihre Texte moralisch oder erheben den Zeigefinger, nie wird „Frau“ zum Opfer, nein, Freitas’ Methode ist die Groteske, der Surrealismus, die Ironie, der abgründige Humor.

Elif Verlag, Klappentext, 2020

 

Ich bin die Faust!

– Angélica Freitas dekliniert die Frau. –

Breitbeinig und großmäulig kommen in Der Uterus ist groß wie eine Faust die Zeilen der 1973 im brasilianischen Süden geborenen Angélica Freitas daher, lassen sich krachend auf das eingeschüchterte Sofa fallen und fangen dröhnend zu lachen an. Aber olala! Wieso sollen nur Männer Rasierklingen unter den Achseln und fette Wummen tragen dürfen. Der Gauchismo hat sich über die Jahrhunderte austoben dürfen – lasst uns mal über das starke Geschlecht reden.
Und dann, folgt man allein den Überschriften, reiht sich ein Klischee ans andere: eine saubere Frau/ eine gute Frau / eine sehr hässliche Frau / eine nüchterne Frau / eine dicke Frau / eine wahnsinnig hübsche Frau / eine Frau putzt wahnsinnig gern ihre Zähne etc. pp. Freitas dekliniert den Kanon herunter, wie eine Frau zu sein habe, wie sie sein könnte und wie sie ist – genauer, wie sie die männliche Grammatik formt. „Woman is the nigger of the world“ sangen John Lennon und Yoko Ono 1972, und Freitas dreht den Spin noch eins weiter:

eine nüchterne Frau
ist eine saubere Frau
eine betrunkene Frau
ist eine dreckige Frau

von allen Tieren der Welt
mit Krallen oder ohne
ist die betrunkene dreckige Frau
am besten verwertbar

die Ohren das Maul
der Bauch die Knie
ja bis hin zum Ringelschwänzchen
dem kleinen Finger den Knöcheln

Das ist so romantisch wie eine Liebe und viele Tode bei Quentin Tarantino, da kommt kein Gedanke an Schminke und Kunstblut auf, das schaut sehr, sehr echt und deprimierend aus. Aber – da ist das dröhnende Lachen, ein böser Sarkasmus, und der ist folgerichtig, der Diktatur der Deklination entkommt man nicht.

„ich hol nur kurz Zigaretten“
sagte die bärtige Frau
„du gehst jetzt nirgendwo hin“
sagte Amelia „setz deinen behaarten
Hintern aufs Sofa
wir müssen reden.“
die bärtige Frau schnaubte
gehorchte jedoch der Gefährtin

Amelia erzählte von ihrer Kindheit
in Dortmund
und dass sie begehrt war
weil kein bisschen eitel
dass nicht weniger als fünf Jungs
sie zur Frau wollten
weil ihr Preis-Leistungsverhältnis bekannt war

mehr Kilometer pro Liter
usw usw usw

„und jetzt erzähl was von dir…

Die Geschichte beginnt vor Millionen vor Jahren und endet doch nur in einer kapitalistischen Erfolgsstory (irgendwie). Die Geschlechterkonstruktion spielt keine Geige und wirkt, nun ja, auch tatsächlich konstruiert. Insofern schlägt Freitas jede verkopfte queerfeministische Distinktionsparole durch ihre hemdsärmlige, nicht aber simplifizierende Direktheit. Brecht und Barthes werden zitiert, es klingt „fleiß und industrie“ des Wieners H.C. Artmann durch, bös kindliche Sprachspiele:

spitzi spatzi
Spinnenbein
wer verwaltet
Muttis Innerein

Die Übersetzerin Odile Kennel spielt erkennbar mit, macht sich nicht hinter der Dichterin unsichtbar (oder behauptet, sie zu sein). Sie kommentiert, gibt Varianten, lässt die künstliche Intelligenz von Google mitmachen – ein unerschöpflicher Quell der Heiterkeit – und legt die Transduktionsarbeit offen. Ein schöner Ansatz. Nur hätte eine zweisprachige Ausgabe mehr aus dem Material herausholen können, da wurde eine Chance vertan. Mensch, Mensch, lieber Verleger, dann lass das Buch zwei Euro mehr kosten, bezirze den Layouter und mach den Polyglotten eine Freude!

die Frau ist eine Konstruktion

das kann nicht anders sein
die Frau muss im Grunde
ein Wohnkomplex sein
alles ist gleich
alles gleich verputzt
nur jeweils anders gestrichen
ich persönlich bin eine Frau
mit Backsteinfassade
bei der Eigentümerversammlung bin ich meist
am schlechtesten gekleidet
ich sage ich bin Journalistin

(die Frau ist eine Konstruktion
mit zu vielen Löchern
ein einziges Leck
Bild der Frau ist das Ministerium
für Abwasserangelegenheiten

Pardon
man spricht nicht von Scheiße in Bild der Frau)
Sie sind eine Frau
was wenn Sie auf einmal erwachen, binär und blau
und das Licht an- und ausknipsen, den ganzen Tag?
(sind Sie gerne Brasilianerin?
heißen Sie gerne Virginia Woolf?)

die Frau ist eine Konstruktion
Schminke ist Tarnung
jede Frau hat einen schwulen Freund
wie gut es doch ist, Freunde zu haben
alle Freunde haben einen schwulen Freund
der eine Frau hat
die ihn Fred Astaire nennt
es ist schon ganz schön spät
die Psychologinnen aus dem
Café Freud schauen sich an und lächeln
nichts wird sich ändern –
nichts wird sich jemals ändern –

die Frau ist eine Konstruktion

Mario Pschera, nd, 21.11.2020

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Eric Giebel: Angélica Freitas: Der Uterus ist groß wie eine Faust
vitabuvingi.de, 9.9.2020

 

 

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Lecture Performance von Regina Menke zu Angélica Freitas: Der Uterus ist groß wie eine Faust

 

Rezension von Der Uterus ist groß wie eine Faust plus Interview mit der Autorin

 

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VERSschmuggel zwischen Anna Crowe und Odile Kennel. Übersetzung eines Gedichts von Odile Kennel.

 

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Angélica Freitas, ihre Veröffentlichungen und der Feminismus.

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