Antonio Skármeta: Zu Pablo Nerudas Gedicht „Der Brief von unterwegs“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Pablo Nerudas Gedicht „Der Brief von unterwegs“ aus dem Band Pablo Neruda: Liebesgedichte. –

 

 

 

 

PABLO NERUDA

Der Brief von unterwegs

Lebwohl, doch du wirst
mit mir sein, wirst mitgehen,
drinnen in einem Tropfen Blut, der kreist in meinen Adern,
oder draußen, ein Kuss, der mir das Gesicht versengt,
oder ein Feuergürtel um meine Hüfte.
Meine Süße, empfange
die große Liebe, die auszog aus meinem Leben
und die in dir kein Land für sich fand,
wie der Entdeckungsreisende, der zugrund geht
auf den Inseln von Brot und Honig.
Ich fand dich einst
nach dem Unwetter,
der Regen wusch die Luft,
und im Wasser
blinkten deine lieblichen Füße wie Fische.

Bewunderte du, ich ziehe in meine Kämpfe.
Ich werde die Erde aufscharren, um dir eine Höhle zu machen,
und dort wird dein Kapitän
dich erwarten mit Blumen auf dem Lager.
Denk nicht mehr, meine Süße,
an die Qual,
die zwischen uns hindurchfuhr
wie ein Phosphorstrahl
und manche Brandwunde uns vielleicht hinterließ.
Der Friede kam auch, weil ich zurückgehe
zum Kampf in mein Land
und weil mein Herz erfüllt ist
von dem, was du an Blut mir gabst
für immer,
und weil meine Hände
noch voll sind von deinem nackten Sein,
sieh mich an,
sieh mich an,
sieh mich auf dem Meer, über das ich strahlend ziehe,
sieh mich in dieser Nacht, die ich durchschiffe,
und das Meer und die Nacht sind deine Augen.
Ich habe dich nicht verlassen, wenn ich mich entferne.
Jetzt will ich dir erzählen:
Mein Land wird deines sein,
ich werde es erobern,
nicht nur, um es dir zu geben,
nein, für alle,
für mein ganzes Volk.
Eines Tages wird der Räuber seinen Turm verlassen.
Und der Eindringling wird davongejagt.
Alle Früchte des Lebens
werden wachsen in meinen Händen,
die zuvor ans Pulver gewöhnt waren.
Und ich werde die neuen Blüten streicheln können,
weil du mich die Zärtlichkeit gelehrt hast.
Meine Süße, Bewunderte, du wirst
mit mir ziehen in den Kampf Mann gegen Mann,
denn in meinem Herzen leben deine Küsse
wie rote Fahnen,
und wenn ich falle, wird mich
nicht nur die Erde bedecken,
sondern auch die große Liebe, die du mir gebracht hast
und die kreisend lebte in meinem Blute.
Du wirst mit mir gehen,
in jener Stunde erwarte ich dich,
in jener Stunde und in allen Stunden,
in allen Stunden erwarte ich dich.
Und wenn die Traurigkeit kommt, die ich hasse,
schlägt sie an deine Tür,
so sage ihr, dass ich auf dich warte,
und will die Einsamkeit, dass du den Ring
vertauschst, in den mein Name geschrieben ist,
so sage der Einsamkeit, mit mir soll sie reden,
sag ihr, dass ich fortziehen musste,
weil ich Soldat bin,
und dass ich dort, wo ich bin,
unter dem Regen oder unter
dem Feuer,
meine Liebe, dich erwarte,
dich erwarte, in der schlimmsten Wüste
und beim blühenden Zitronenbaum:
überall, wo das Leben ist,
wo der Frühling zur Welt kommt,
meine Liebe, erwarte ich dich.
Wenn sie dir sagen: „Dieser Mann
liebt dich nicht“, so denke daran,
dass meine Füße allein sind in dieser Nacht und dass sie
die lieblichen kleinen Füße suchen, die ich verehre.
Liebe, wenn sie dir sagen,
ich hätte dich vergessen, und selbst wenn ich der wäre,
der dir dies sagt,
glaube mir nicht.
Wer könnte, auf welche Weise, dich mir
aus der Brust schneiden?
Und wer würde mein Blut auffangen,
wenn ich zu dir hin verblutete?
Doch ebenso wenig kann ich
mein Volk vergessen.
Ich werde kämpfen in jeder Gasse,
hinter jedem Stein.
Auch deine Liebe hilft mir:
Sie ist eine geschlossene Blüte,
die mich jedes Mal mit ihrem Duft erfüllt
und die plötzlich aufgeht
in mir wie ein großer Stern.

Meine Liebe, es ist Nacht.

Das schwarze Wasser, die schlafende
Welt umgeben mich.
In einer Weile wird die Morgenröte kommen,
und ich schreibe dir indessen,
um dir zu sagen: Ich liebe dich.
Um dir zu sagen: Ich liebe dich;
hüte, reinige, richte auf,
verteidige,
unsre Liebe, mein Herz.
Ich hinterlasse sie dir, als übergäbe
ich eine Handvoll Erde mit Samen.
Aus unsrer Liebe werden Leben geboren werden.
In unsrer Liebe werden sie Wasser trinken.
Vielleicht wird ein Tag kommen,
an dem ein Mann
und eine Frau,
so wie wir,
diese Liebe berühren werden,
und sie wird noch die Kraft haben,
die Hände zu verbrennen, die sie berühren.
Wer sind wir gewesen? Was bedeutet das?
Sie werden dieses Feuer berühren,
und das Feuer, meine Süße,
wird deinen einfachen Namen sagen
und den meinen, den Namen,
den nur du erfahren hast, denn du allein
auf der Erde weißt,
wer ich bin, und niemand hat mich so gekannt wie eine,
wie eine einzelne Hand von dir,
denn niemand
erfuhr, wie oder wann
mein Herz entbrannte:
Allein
deine großen braunen Augen erfuhren es,
dein breiter Mund,
deine Haut, deine Brüste,
dein Bauch, deine Eingeweide
und deine Seele, die ich weckte,
damit sie von nun an
singe bis ans Ende des Lebens.

Liebe, ich warte auf dich.

Lebwohl, Liebe, ich warte auf dich.

Liebe, Liebe, ich warte auf dich.

Und so endet dieser Brief
ohne alle Traurigkeit:
Fest stehen meine Füße auf der Erde,
meine Hand schreibt diesen Brief unterwegs,
und mitten im Leben werde ich
immer
neben dem Freund sein, gegenüber dem Feind,
mit deinem Namen auf dem Mund
und einem Kuss, der niemals
sich getrennt hat von deinem.

 

Ein Gedicht,

das Die Verse des Kapitäns abschließt und in zigtausend Lesern einen romantischen und revolutionären Heißhunger weckt. Das umstrittene Buch über Militanz und ungesetzliche Leidenschaft entsteht in Capri, wo der Dichter im Exil lebt und die feurige Matilde ihn über die Tage und Nächte fern der Heimat hinwegtröstet, fern allerdings auch seiner legitimen Ehefrau Delia del Carril, die in Chile auf ihn wartet.
Unter einem naiven „Anonym“ veröffentlicht – worauf die feinen Nasen der Kritiker jedoch nicht reinfielen, sodass der Name Neruda in der gesamten internationalen Presse stand –, reflektiert der Text den Zeitgeist in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als man in der Revolution ein greifbar nahes Paradies sah und für die Schrecken des realen Sozialismus leise, rechtfertigende Töne fand.
Der Protagonist und Verfasser dieses Briefes galt viele Jahre lang – und gilt vielleicht noch heute – als Paradigma für den neuen Menschen, ein vollkommenes, in den Künsten des politischen Kampfes, der Erotik und der Zärtlichkeit bewandertes Wesen. Ein Text, der auf Demonstrationen rezitiert, in linken Kaderschmieden gelesen, von Schulkindern mit vermeintlich unauslöschlicher Tinte ins Leder ihrer Schultaschen tätowiert wurde:

Vielleicht wird ein Tag kommen,
an dem ein Mann
und eine Frau,
so wie wir,
diese Liebe berühren werden,
und sie wird noch die Kraft haben,
die Hände zu verbrennen, die sie berühren.

Der romantische Mann, der aufs Neue in den Kampf zieht, um sein Volk zu befreien, tut dies mit dem heiteren Mut eines Soldaten, der weiß, dass er zusammen mit vielen anderen um dasselbe kämpft. Stark und großspurig im Heraufbeschwören künftigen Heldentums, findet er dennoch Worte für Kleines, für winzige körperliche Details der Geliebten:

dass meine Füße allein sind in dieser Nacht und dass sie
die lieblichen kleinen Füße suchen, die ich verehre.

Eine unwiderstehliche Kombination. Der Alltag ist nicht ganz so episch: Neruda kehrt in ein demokratisches Chile zurück, bringt seine Geliebte Matilde mit, baut ihr ein Haus und trennt sich nach harten Auseinandersetzungen von seiner Gattin Delia del Carril.

Antonio Skármeta, aus Antonio Skármeta: Mein Freund Neruda, Piper Verlag, 2011

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