Antonio Skármeta: Zu Pablo Nerudas Gedicht „Mit Quevedo im Frühling“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Pablo Nerudas Gedicht „Mit Quevedo im Frühling“ aus dem Band Pablo Neruda: Das lyrische Werk – Band 3. –

 

 

 

 

PABLO NERUDA

Mit Quevedo im Frühling

Alles ist erblüht
hier auf den Fluren, Apfelbäume,
stammelnd Blautöne, gelbes Gestrüpp,
und im grünen Grase lebt der Mohn.
Himmel unauslöschlich, junge Luft
an jedem Tag, verschwiegener Glanz,
vom weitgespannten Frühling ein Geschenk.
Nur wo ich zu Haus bin, ist nicht Frühling.
Krankheiten, kopflose Küsse wuchern
wie das Efeu an der Kirche
über meines Lebens schwarze Fenster,
Liebe allein genügt nicht mehr und nicht
der wilde, weitgespannte Duft des Frühlings.

Und was sind jetzt in deinen Augen
das Licht, entfesselt, die Entfaltung,
blütenhaft, des Offenbaren, das grüne
Lied der grünen Blätter, das Erscheinen
des Himmels mit dem Kelch voll Kühle?
Frühling, du draußen, peinige mich nicht,
lass nicht los in meinen Armen Wein und Schnee,
Blütenkrone, geknickten Kummerstrauß,
schenk nur heute mir den Schlaf der nächtigen
Blätter und die Nacht, darin die Toten
liegen, die Erze und die Wurzeln
und die Vielzahl der erloschnen Lenze,
die in jedem Lenz wieder erwachen.

 

Ein Gedicht der Abwesenheit.

Das Herz des Poeten hat seine Jahreszeit erwählt, daher der Buchtitel Wintergarten. Das strahlende Schauspiel der Welt, ihrer Erneuerung, ihres Glanzes, findet keine Gemeinsamkeiten mehr mit dem siechen Körper des Dichters. Sein stoischer Geist vermag das objektiv zu erfassen, doch ist der Dichter in erster Linie seiner Subjektivität verpflichtet. In seinen Jugendwerken hat er den Tod hochmütig herausgefordert und sogar jubelnde Testamente verfasst, doch jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit, nicht mehr die der Emphase. Er ignoriert den Lustschrei der Knospen und verlangt nach der Solidarität des Frühlings, nicht mehr nach der des draußen herrschenden, sondern nach der erloschener Lenze. Wenn der Frühling die Jahreszeit des Lichts und des Lebens ist, so fügt sich Neruda ehrlich in die ihm gewiesenen Schranken, schwört der Rhetorik ab und ergibt sich den Wurzeln, dem Verborgenen, dem Schatten. Das Gemüt des Dichters stimmt einen Contracanto an.
Kein Wunder, dass Jardín de invierno die Neruda-Gelehrten nicht zu Beifallsstürmen hingerissen hat und die kommunistischen Interpreten noch viel weniger. Die soziale Kraft des großen Gemeinschaftsdichters hat nachgelassen. Früher wäre er sich mit Victor Hugo einig gewesen („Soledad, die gesamte Hölle passt in dieses Wort“) und hätte auf sein egoistisches Prestige unter den Intellektuellen leicht verzichten können, jetzt zieht er deren Elfenbeinturm dem gesellschaftlichen Lärm vor: Diese „Hölle“ ist besser als der hohle Chor in „Herbst“ und „Lichttier“.
Das erschütterndste Bekenntnis besteht vielleicht in der Abwertung der Liebe, die, so verzweifelt sie auch gewesen sein mochte, doch stets das Heilmittel des Dichters gegen die Angst war. „Liebe allein genügt nicht mehr.“
Mir geht dieses Gedicht zu Herzen, denn es zeigt mir einen aus der Bahn geworfenen, durch seine ganz private Hinfälligkeit zutiefst verletzten Neruda, der in seiner finsteren Niedergeschlagenheit die schreckliche Schönheit zerstört, die er seiner Seele und den Dingen hatte entsprießen lassen, solange er gesundheitlich auf der Höhe war.

Antonio Skármeta, aus Antonio Skármeta: Mein Freund Neruda, Piper Verlag, 2011

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