Antonio Skármeta: Zu Pablo Nerudas Gedicht „Tango des Witwers“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Pablo Nerudas Gedicht „Tango des Witwers“ aus dem Band Pablo Neruda: Der unsichtbare Fluß. –

 

 

 

 

PABLO NERUDA

Tango des Witwers

O Boshafte, nun wirst du den Brief gefunden haben,
nun wirst du schon geheult haben vor Wut
und wirst die Erinnerung an meine Mutter besudelt haben,
sie eine verkommene Hündin nennend und Mutter von Hunden,
nun wirst du, verlassen, mutterseelenallein, den Tee der Dämmerung bereits getrunken haben,
den Blick auf meinen alten, nun immer leeren Schuhen,
und wirst dich schon nicht mehr meiner Krankheiten erinnern können, meiner nächtlichen Träume, meiner Mahlzeiten,
ohne mich mit lauter Stimme zu beschimpfen, als wäre ich immer noch da
und beklagte mich über die Tropen, die Corringi-Kulis,
die giftigen Fieber, die mich so zugerichtet haben,
und über die schrecklichen Engländer, die ich noch immer hasse.

Boshafte, in Wahrheit aber, wie groß ist die Nacht, wie allein die Erde!
Ich bin wieder in öde Schlafzimmer geraten,
kalt zu frühstücken in Restaurants, und wieder werfe ich Hemd und Hosen auf den Boden,
es gibt keine Kleiderhaken in meinem Zimmer, kein Bildnis von irgendwem an den Wänden.

Wie viel von dem Schatten, der in meiner Seele ist, gäbe ich her, um dich wiederzuhaben,
und wie bedrohlich scheinen mir die Namen der Monate,
und das Wort Winter, welch düsteren Trommelklang hat es.
Später wirst du neben der Kokospalme das Messer vergraben finden,
das ich dort verbarg, aus Angst, du könntest mich umbringen,
und nun möchte ich auf einmal seinen Küchenstahl riechen,
der ans Gewicht deiner Hand gewöhnt war und an den Schimmer deines Fußes:
in der Nässe der Erde, zwischen den fühllosen Wurzeln
kann das arme Ding von allen menschlichen Sprachen einzig deinen Namen wissen,
und das schwere Erdreich begreift deinen Namen nicht,
erschaffen aus göttlichen Substanzen, unergründlichen.

So wie es mich traurig macht, am hellen Tag an deine Schenkel zu denken,
die wie gestautes hartes Sonnenwasser angeschmiegt,
und der Schwalbe, die in deinen Augen schwebend und schlummernd lebt,
und des tollwütigen Hundes, den du in deinem Herzen birgst,
so auch seh ich all die Tode, die von dieser Stunde an zwischen uns liegen,
und ich atme in der Luft die Asche und das Zerstörte,
den ungeheuren einsamen Raum, der mich umgibt für immer.

Ich gäbe gern das Wehen dieses gewaltigen Meeres her für deinen hastigen Atem,
in langen Nächten vernommen, frei von Vergessen,
der sich der Luft verhaftet wie die Peitsche dem Fell des Pferdes.
Und um dich harnen zu hören in der Dunkelheit hinten im Haus,
als würde ein dünner zitternder hartschlägiger silberner Honig verschüttet,
wie viel Mal würde ich diesen Schattenchor hergeben, der mir angehört,
und das Klirren nutzloser Degen, das man in meiner Seele vernimmt,
und die Taube aus Blut, die einsam in meiner Stirne lebt,
nach entschwundenen Dingen rufend, entschwundenen Wesen,
Substanzen, seltsam untrennbaren und verlorenen.

 

Eine wahre Flut von Bildern

entströmt diesem Gedicht aus Aufenthalt auf Erden, dem besten Buch der düsteren Periode Nerudas. Treffend mit Tango überschrieben, lässt es in seiner Wortgewalt nicht die geringste Vorsicht oder Besonnenheit walten. Das Pathos ist Absicht: Schon gleich mit dem ersten beschwörenden Ruf nach der Boshaften betreten wir eine Gefahrenzone.
Seine Flucht vor der Geliebten, hinterrücks und ohne Abschied, muss in der Dame einen lodernden Hass geweckt haben und führt zu dem selbstzerstörerischen Porträt, das der Dichter, ausgesetzt in einer Welt ohne Geborgenheit und weibliche Fürsorge, von sich zeichnet. Bekanntlich war die gebürtige Birmanerin, die ihn zu diesen Versen inspirierte, krankhaft eifersüchtig, und Neruda fürchtete oder, besser gesagt, begriff, dass die Schöne ihm nach dem Leben trachtete. Sie ist „erschaffen aus unergründlichen göttlichen Substanzen“, die dem abendländischen Schriftsteller unbegreiflich sind.
Als er sich entscheiden muss zwischen den Reizen dieses mit geiler Wonne beschriebenen Körpers, dessen Genuss mit tödlicher Spannung verbunden ist, und dem klammheimlichen, spurlosen Verschwinden, entscheidet er sich für die Flucht. Da jedoch keine dieser beiden Lösungen richtig sein kann, wird er jetzt von Selbstverachtung gequält, von einem Verlangen, so fleischlich wie nie, und all der Sinnlosigkeit, die er nur allzu gern eintauschen würde, um (die beste Tangozeile in der Geschichte der lateinamerikanischen Lyrik) „dich harnen zu hören, als würde ein dünner Honig verschüttet“.
In meiner Begeisterung für Don Pablos Leben und Werk schrieb ich das Drehbuch zu einem Dokumentarfilm – in dem ich auch selbst auftrat und der von Canal Plus ausgestrahlt wurde – über meinen Besuch im spanischen Murcia bei dem Bildhauer Pepe Yágües, der Neruda in einer Serie von Skulpturen als Minotaurus dargestellt hatte.
An einer Stelle des Films Neruda – Todo el amor bringe ich den „Tango des Witwers“ zur Sprache, und als wir mit den Bildern des Gedichts herumexperimentierten, entstand spontan der Text für einen Rap, mit dem eine chilenische Band die irrwitzigen Szenen begleitete und den meine Leser hoffentlich mit nachsichtigem Humor nehmen: 

PANTHER-RAP

Mein schönes Pantherweibchen will mich killen
in mondhellen Nächten schleift sie die Klinge
verletzt von meiner Feuchte, eifersüchtig auf mein Dichten
kaum schau ich eine andre an, will sie mich vernichten

Boshafte, ich verlasse dich, denn leben find ich besser
behalte du die Kokospalme, ich lass dir auch das Messer
und schneidst du dir die Adern auf, werde ich nicht lachen
es wird ein tollwütiger Hund die Nase dir abnagen

meine leeren Schuhe im Morgengrauen
werden deine Wäsche mit trauriger Lust b
etauen
eine dunkle Trommel zählt bis drei
und deine Zunge sucht mich, durstig heiß

Es schmerzt mich, Boshafte, dir zu entsagen
mein Zimmer hat weder Blumen noch Kleiderhaken
der Honig deiner Schenkel in der Sonne blinkt
tief das Messer ins Herz mir sinkt

Unter der Palmblätter dunklem Wehen
gäb ich meine Schatten, dich pinkeln zu sehen –

Antonio Skármeta, aus Antonio Skármeta: Mein Freund Neruda, Piper Verlag, 2011

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