Aurélie Maurin & Thomas Wohlfahrt (Hrsg.): VERSschmuggel – Contrabando de VERSOS 2009

Maurin & Wohlfahrt-VERSschmuggel – Contrabando de VERSOS

XX.

alle städte ankern in einem vers
den jemand brennen ließ im mund eines toten
sonnenpartikel werfen ihn in die entfernung
eines instabilen herzens das schrittweise
den tod einsaugt und seine leichtesten kreuzungen
ruinen bedeuten am leben zu sein
ich habe mir aus dem buch einen biblischen körper
aaaaagemacht
und gott meinetwegen banalisiert
ich bin in den körper eingedrungen an einer kreuzung golgathas
und jerusalem meine zunge klebte nicht fest.

Pedro Sena-Lino
übersetzt von Daniel Falb

 

 

 

Stimmen von Beteiligten zu diesem Projekt

mehr strom als schmuggel: zwei menschen aus völlig unterschiedlichen welten stehen unter kommunikations-hochspannung – die übertragung findet mit und ohne worte statt. in dieser stadt, in der sprachen sich finden und erfinden, begreift man, dass poesie die wurzel aller sprachen, dass sie ihr schutzengel ist. man begreift intuitiv, baut auf das nicht sichtbare, macht die welt zu einem bewohnbaren und immer wieder neu zu erfindenden ort.
Pedro Sena-Lino

Comment VERSschmuggel

Im Freien sitzen, uns übersetzen. Es war ein Privileg (it was a privilege), das machen zu dürfen (working with Pedro and Tiago). Über die Brücke eines gebrochenen Englisch das sog. Deutsche und sog. Portugiesische jeweils gezielt mit neuen Texten zu kontaminieren. Ich war inzwischen selbst in Portugal, ich habe es selbst gesehen und gehört, vollkommen jenseits von saudade. Está claro. Und wir haben kein einziges Mal über Pessoa geredet, didn’t we, Pedro. Thank you.
Daniel Falb

Vier Anweisungen, Verse zu schmuggeln

Wie überwinden Gedichte Grenzen, die ihnen durch Sprachen und Ozeane gesetzt sind?
Am ehesten, wenn sie von den Dichtern selbst von einer Sprache in die andere „geschmuggelt“ werden.
Gedichte gelten gemeinhin als „heiße Ware“. Nur die wenigsten Verleger wagen es, sie in ihre Programme aufzunehmen, und manche veröffentlichen gar fremdsprachige Dichtung, obwohl sie überdies der Übersetzung bedarf. Das Übersetzen von Poesie, gilt als ganz besonders knifflige und riskante Angelegenheit – gilt doch: das, was das Gedicht zum Gedicht macht, ist in erster Linie nicht das, wovon es spricht, sondern das, woraus es gemacht ist: Aus Klängen und Rhythmen, die den Vers, ja den Körper des Gedichts bilden. Diese musikalischen Elemente lassen es als „schön“ gelte, wenn man es hört. Genau diese Elemente sind es, die sich bei privater, stiller Lektüre nicht ohne weiteres erschließen. Deshalb ist die Stimme des Dichters das Instrument seines Textes, sie fördert die Tiefenschicht seiner Bedeutung ans Tageslicht; sprich: in unsere Wahrnehmung. Dass der vorliegende Band die Instrumente des Gedichts, die Stimmen der Dichter auf zwei CDs beifügt, ist die erste Schmuggelanweisung, die sich aus der Materie von Poesie ergibt: Sie ist eine eigenständige Kunst, die eines Instruments bedarf. Dieses Instrument ist die menschliche Stimme. Das ist eine essentielle Voraussetzung für Dichtung, und sie kehrt erst ganz allmählich in unser Bewusstsein zurück.
Die nächste Besonderheit dieses Bandes liegt in dem, was es zu schmuggeln galt: zeitgenössische Dichtung von drei Kontinenten, aus Afrika, Europa und Lateinamerika. Transportmittel sind die portugiesische und die deutsche Sprache. Zwanzig Dichterinnen und Dichter aus Angola, Brasilien, Deutschland, Österreich, Guinea-Bissau, Mosambik und Portugal haben sich in das Abenteuer des Verse-Im- und Exports gestürzt und sich während des poesiefestival berlin 2008 gegenseitig übersetzt.
Wie kann das gelingen, vor allem, wenn zwei Dichter in einem Boot sitzen, sich übersetzen sollen, aber einer die Sprache des anderen nicht oder nur bedingt beherrscht?
Die Literaturwerkstatt Berlin, Ausrichterin des poesiefestival berlin, hat drittens für diese Art des Verse-Schmuggelns eine besondere Methodik entwickelt. Zunächst werden Interlinearübersetzungen aller Gedichte erstellt. Auf dieser Materialgrundlage und mit Hilfe eines Dolmetschers im gleichen Boot, zwischen dem deutsch- und dem portugiesischsprachigen Dichter, konnte die Spracharbeit beginnen. Untereinander sind Dichter gewiss ihre genauesten Gutachter. Ungewohnt ist, dass sie den Kollegen in seinem Beisein übersetzen. Aber genau darin liegen das Abenteuer, der Reiz und die Chancen des Verfahrens. Die Dichter haben sich die Gedichte und dann die Übersetzungen laut vorgelesen, sich die Geschichten, die hinter den Worten liegen, erzählt. Sie haben in morphologischen und syntaktischen, letztlich in phonetischen und grafischen Ausweichmanövern neu erfunden, was nicht transportierbar war, um eines zu erreichen: dass das Gedicht in der anderen Sprache eben nicht nur eine Übermalung oder Übertragung würde, sondern dem Original in Klang, Form und Gehalt so nah wie möglich kommt, wieder ein gutes Gedicht ist.

Dieser Band will ein Anfang sein und Leser und Hörer ermuntern, sich über Weltmeere hinweg mehr füreinander zu interessieren. Wie das möglich werden kann, davon spricht die vierte Schmuggelanweisung: Zeitgleich erscheint derselbe Band in drei Verlagen und in drei Ländern, bei Editora 34 in Brasilien, beim Verlag Das Wunderhorn in Deutschland und bei Sextante Editora in Portugal. Diese drei engagierten Verlage haben vollendet, was als unerhörter Übersetzungsworkshop in Berlin begann.

Aurélie Maurin / Thomas Wohlfahrt, Januar 2009

 

2008 waren die Schmugglerschiffe der Reihe VERSschmuggel

weltweit auf den Meeren der portugiesischen Sprache unterwegs. Mit Gedichten aus Angola, Brasilien, Guinea-Bissau, Mosambik und Portugal an Bord, segelten sie zwischen dem lusophonen und dem deutschen Sprachraum hin und her. „Plötzlich ist man ganz verschwunden und woanders, trifft Menschen vom anderen Teil der Erde, denen es genauso geht. Zu zweit taucht man dann an einem völlig neuen Ort wieder auf und überlegt, was man erkennen könnte und was nicht; denn vieles Bekannte erscheint in einem neuen Licht und vieles, was vorher unbekannt schien, lässt sich mit einer großen Selbstverständlichkeit greifen.“ (Arne Rautenberg)

Verlag das Wunderhorn, Ankündigung, 2009

VERSschmuggel 2009

knüpft poetische Bande zwischen Afrika, Amerika und Europa. Die Schmugglerschiffe aus der Reihe der Literaturwerkstatt Berlin sind dieses Mal auf den Meeren der Weltsprache Portugiesisch unterwegs. Gedichte von den wichtigsten Dichtern aus Angola, Brasilien, Guinea-Bissau, Mosambik, Portugal, Österreich und Deutschland sind an Bord. Die hier versammelten 20 Dichter präsentieren sich in Originalsprache und in Übersetzung ins Portugiesische bzw. ins Deutsche. Zwei CDs lassen den Leser gleichzeitig zum Hörer werden und ihn eintauchen in unterschiedlichste Klang-, Text- und Bedeutungswelten von drei Kontinenten.

Verlag das Wunderhorn, Klappentext, 2009

 

Aurélie Maurin und Rainer G. Schmidt: Übers Übersetzen von Gedichten

 

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