Barbara Frischmuth: Zu Reinhard Priessnitz’ Gedicht „Herbst“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Reinhard Priessnitz’ Gedicht „Herbst“ aus Reinhard Priessnitz:vierundvierzig gedichte. –

 

 

 

 

REINHARD PRIESSNITZ

Herbst

auf, sagte die sonne, die säge.
da summte die blume, diese. die
wiese weilte, da meinte die erde,
rede. nun hiess das, meine. schon.
unsummen sommers, und am lande,
soweit der himmel. ab, zögernd,
stand weilend über der blüte.
du güte! aufsaugte die blume
den sommer. da sägte die rede
weiter. abzogen die hummeln.
nun hiess das. der lümmel
hielt abstand für eine weile, für
eine welle. landend, das trübe.
da sickerte die sonne zur sage,
zur sau! die erde sodann, summte.
welkend, die weile, blühte,
als sengte sommer die wiese. rede,
und dies, weil. das hiess, die
himmel zögen. ab stand der aufstand,
die absage, und zagte, eingesargt.
zarte säge! daraus das aufgeblähte,
weiter aufs land runter lümmelnde.
weilende weile, das heisst, gute
sengende sau blume. steh auf! und dies,
weil. dann insgesamt das gesummte,
die unverblümte unsumme. so weit
der himmel. absackte, absagend, die
sonne, aufsagte die sonne. auf!

 

Auf und ab

Reinhard Priessnitz, der im November 1985 mit nur vierzig Jahren verstorbene Wiener Dichter, hat in seinem „herbst“-Gedicht alle verwendeten Wörter miteinander in Beziehung gesetzt. In eine Beziehung, die man sich nicht nur linear vorzustellen hat, von A zu B oder von B zu C und von C zu A, sondern er hat jedes Wort, jede Satzpartikel vorwärts und rückwärts im Text auf alle anderen Wörter und Satzpartikel übergreifen lassen. Damit hat er ein Potential der Sprache genutzt, das ansonsten kaum zur Wirkung kommt, und wenn, dann in seiner Wirkmöglichkeit nicht voll ausgeschöpft wird. Der Doppel- und Dreifachsinn, der damit erzeugt wird, die Überlagerungen von Gebrauch und Bedeutung würden in der Alltagssprache wohl auch zu unbeabsichtigten Mißverständnissen führen, denn die Alltagssprache versucht ja, sich im Hinblick auf eine ungehinderte und direkte Verständigung so eindeutig wie möglich auszudrücken.
Das Gedicht hingegen ist dieser Eindeutigkeit keineswegs verpflichtet, im Gegenteil, es profitiert vom Verschwimmen der Ränder eines Begriffs, von den Überlappungen verschiedener Bedeutungsfelder, und fordert damit vom Leser Aufmerksamkeit, die, wie ich meine, Voraussetzung für jene Hochgestimmtheit ist, die die Lektüre eines Gedichts als Gedicht ermöglicht.
Schon das Wörtchen „auf“, ob mit oder ohne Rufzeichen, eignet sich dafür, die Konstruktionsweise des vorliegenden Gedichts zu verdeutlichen, das im übrigen von zwei „auf“ als Klammer zusammengehalten wird.

auf, sagte die sonne, die säge.

Einmal kann das „auf“ ein „auf“ sein im Sinne von „steh auf“, von „auf, auf“, es kann aber auch die Bedeutung von „auf die säge“ haben im Sinn von „stürz dich auf die Säge“. Wo ein „auf“, da ein „ab“. Es läßt nicht allzulange auf sich warten. Schon in Zeile sechs tritt es in Erscheinung. „Auf“ kann jedoch mehr, es saugt auf, wie das „ab“ abzieht, es macht einen „aufstand“ wie das „ab“ einen „abstand“, es bläht sich auf, wie das „ab“ absagt, weist „aufs land runter“, wie das „ab“ absackt, sozusagen in Symmetrie, und eine Vielzahl von Subtexten schaffend.
Auf ähnliche Weise ließe sich auch zwischen „erde“ und „rede“, die noch dazu aus denselben Buchstaben bestehen ein Beziehungsgeflecht herstellen. Natürlich bedeuten Erde und Rede im gewohnten Gebrauch ganz Verschiedenes, aber der ähnliche Klang darf nicht außer acht gelassen werden, läßt er doch zu, daß bald die „säge“ ins Spiel kommt, die später auch noch den Beigeschmack von Särgen bekommt, was aber nicht deutlich ausgesprochen werden muß. Ebensowenig wird der Sinn der Zeile vier „rede, nun hiess das, meine. schon.“ auf eine einzige Bedeutung eingeengt, kann es sich doch um „meine rede“ handeln, aber auch um „reden“ im Sinne von „eine Meinung kundtun“.
Hat man sich einmal daran gewöhnt, das Gedicht „herbst“ auf diese grammatische Art zu lesen, erschließen sich einem eine Fülle von Querverbindungen und möglichen Bildern, die aber nicht willkürlich und in alle Ewigkeit hergestellt werden können. Gerade durch die verhältnismäßig wenigen Wörter, die als Kombinationsmaterial zur Verfügung stehen, ist eine straffe Vorlage geschaffen worden, die als Äquivalent zu den strengen Regeln von Reim und Versmaß bei traditionellen Gedichtformen gelten kann. So bilden die „unsummen“ und „das gesummte“, die Geschwindigkeit der gesengten Sau, die zur „sengenden“ wird, die „blume“ und Unverblümtes einen Rahmen, der das poetische Bewußtsein zur Konzentration verleitet oder gar zur Versenkung, die in Meditation münden kann. Ein Gedicht also, das bewirkt. „auf!“

Barbara Frischmuthaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiundzwanzigster Band, Insel Verlag, 1999

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00