Bernd Jentzsch: Zu Bernd Jentzsch’ Gedicht „Das Colditzer Wäldchen“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Bernd Jentzsch’ Gedicht „Das Colditzer Wäldchen“ aus Bernd Jentzsch: Flöze. 

 

 

 

 

BERND JENTZSCH

Das Colditzer Wäldchen

Schatte und Schatten, die uns jagten,
Das Wäldchen ging gegen sie an
Mit Scharen von Bäumen, im Unterholz sahn wir
Verbündete Kräfte, die blicklose Deckung,
Das half uns nicht weiter, wir flohen
Im Fadenkreuz vorwärts, die schnatternden Läufe
Im Rücken, wir sackten vornüber, auf uns
Stethoskope: die Stiefel

1970

 

Kommentar zu „Das Colditzer Wäldchen“

Nachdem Hans Bender den Text in den Akzenten gedruckt hat, wird die Lektoratsbesprechung des Verlages Neues Leben, dem ich angehöre, um einen Tagesordnungspunkt ergänzt: Die Veröffentlichungen des Kollegen Jentzsch im Ausland. Geht es um die unvermutete Übersetzung eines Distichons ins Kasachische?
Wortführer ist Cheflektor Walter Lewerenz. Das läßt die Richtung der kameradschaftlichen Aussprache ahnen. Er seziert das Vokabularium: Schatte und Schatten, jagen, Unterholz, verbündete Kräfte, blicklose Deckung, nicht weiterhelfen, fliehen, Fadenkreuz, schnatternde Läufe im Rücken, vornübersacken, die Stiefel. Anschließend fordert er mich auf, „das Gedicht einmal eindeutig zu erklären“. Darauf nicht im entferntesten vorbereitet, aber schon die Schlußfolgerung im Ohr, die er coram publico unweigerlich ziehen wird, komme ich dem Wunsch nach und versuche vorsichtig eine Auslegung. Sie will mir nicht sonderlich gelingen; das Stigma des zur Verteidigung Gezwungenen ist ihr allzu deutlich anzumerken.
An der Besprechung nimmt aus Gott weiß welchen Gründen auch Verlagsleiter Hans Bentzien teil. Ich spüre, daß ihm der Gesprächsverlauf nicht behagt. Bevor Lewerenz zur reinen Inquisition übergehen kann, rettet Bentzien die Situation, indem er die acht Zeilen zu einem Memorial auf die Traditionen der revolutionären Arbeiterbewegung in Sachsen erhebt. „Der Streik in Colditz“, sagt er und nennt eine Jahreszahl. „Lest nach, Kollegen! Genauso ist das damals gewesen, als die Macht noch nicht in unseren Händen lag.“ Es werden keine Einwände erhoben gegen die interpretative Bewahrungs-Rezeption des ehemaligen Kulturministers. „Die kleinen Idioten des ehrwürdigen Lewerenz“, wie Bieler in seinem Roman Bonifaz oder Der Matrose in der Flasche, nicht ohne Bezüglichkeit formuliere hat, sind froh, nun nach Hause gehen zu können.
Lewerenz gibt sich noch nicht geschlagen. Er rät mir in gebührender, nicht zu überhörender ideologischer Strenge, Veröffentlichungen in den Akzenten, im Tintenfisch, (dort hatte ein Lenin-Gedicht den Argwohn des kulturpolitischen Wächters erregt) sowie in jedwelchen anderen westdeutschen Blättern doch zu unterlassen. Ein Trostpflaster hält er auch bereit: Er werde mir „die Türen des Kürbiskerns öffnen“. Ich habe also zu wählen zwischen Hans Bender und Klaus Wagenbach auf der verwerflichen und der DKP auf der empfohlenen Seite. Bentzien schlägt salomonisch vor:

Überlegen Sie sich das.

Es wäre ihm gegenüber unhöflich gewesen, dazu nicht beifällig zu nicken.

Bernd Jentzsch 18.4.1992, aus Bernd Jentzsch: Flöze, Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke, 1993

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