Bert Papenfuß zwischen Dichter und Kneipier

Mashup von Juliane Duda zu der Kategorie „adhoc“

adhoc

Es ist immer wieder eine Kampfansage, wenn dieser Dichter-Kneipier vom Prenzlauer Berg als zukünftigem Rentnerghetto spricht und weitere Rundumschläge bis zur East Side Gallery austeilt. Das Interview in der taz endet völkerverbindend in dem Satz: „Es ist gar nicht mehr so wichtig, ob man Ossi oder Wessi, sondern eher, ob man renitent ist oder nicht.“ Bert Papenfuß hat die Seitenwahl gewonnen und den entscheidenden Aufschlag serviert.

 

 

 

Sindy und Bert – continua

Weitermachen!
Inschrift auf dem Grabstein von Herbert Marcuse
auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof

Zwischen 2004 und 2010 veröffentlichte der Prenzlauer-Berg-Dichter Bert Papenfuß sieben Bücher mit dem Titel Rumbalotte continua. Eine Rezensentin des Freitag deutete aus dem Titel, den sie als „lautpoetisches Geschmeide“ bezeichnete, die radikale italienische Organisation Lotta Continua heraus und zugleich einen „blöden Witz“, den man sich googeln könne.
Danach, aber ebenfalls noch 2010, eröffnete Papenfuß zusammen mit Mareile Fellien die Kulturspelunke Rumbalotte continua in der Metzer Straße 9 – quasi als eine Fortsetzung der Buchreihe, die bis jetzt noch keine Fortsetzung fand. Ebensowenig die Schankwirtschaft Rumbalotte continua selbst, die – nach fünf Jahren – dicht machte. Am selben Ort wurde wenig später von Sindy Kliche eine neue Kneipe eröffnet.
Die Bildhauerin bewirtschaftete bisher das Lokal in der Knaackstraße 94. Die Gäste in beiden Kneipen ähneln sich. Sie gehören im weitesten Sinne zur alten und neuen Punk-Anarcho-Szene des gentrifizierten Bezirks, d.h. zum „renitenten Rest der Prenzlauer Berg Connection“, wie Bert Papenfuß es sagte. Dazu zählt auch noch die Bar Luxus des Dichters Stefan Döring und die nun ebenfalls geschlossene Staatsgalerie von Henryk Gericke sowie die Zeitungen Abwärts!, floppy myriapoda und der Basis-Druck Verlag.
Die Kneipe Rumbalotte wurde zuvor von einer Alleinerziehenden betrieben, die Touristen dort reinlocken wollte – und sie dementsprechend zeitgeschmäcklerisch eingerichtet hatte. Mareile und Bert änderten dann bloß den Namen, setzten die Getränkepreise runter (obwohl ihr Coach vom Jobcenter ihnen geraten hatte, lieber teure Easyjetter-Drinks – „Hawaii-Gelumpe“ – anzubieten) und ließen die Wände von einigen Stammgästen bemalen, u.a. von dem militanten Moskauer Aktionskünstler-Duo Alexander Brener und Barbara Schurz, die zuletzt ein Kitschbild an der Mauer der East-Side-Gallery übermalten. In der Kneipe zierten sie die Decke mit einem pornographischen Großgemälde, das nun – obwohl inzwischen eine halbe Million wert – von Sindy übermalt wurde. Sie änderte auch den Kneipennamen – in WATT.
Das Wort Rumbalotte und den „blöden Witz“ dahinter hörte ich 1987 erstmalig von dem Westberliner Künstler Thomas Kapielski: Drei Matrosen haben sich ihren Schwanz tätowieren lassen und wollen nun wissen, wer den schönsten und größten hat. Beim ersten steht „Eva, ich liebe Dich“ drauf, beim zweiten „Alles Fotzen ausser Mutti“ und beim dritten „Rumbalotte“. Die beiden ersten lachen über dieses kurze Wort auf dem kleinen Schwanz. „Wartet’s ab“, sagt der Ausgelachte und bringt seinen Schwanz zur Erektion, woraufhin aus Rumbalotte „Ruhm und Ehre der baltischen Rotbannerflotte“ wird.
Der in der Reuterstadt Stavenhagen geborene Papenfuß hat eine größere Affinität zur Seefahrt, zumal zur sowjetischen, als der Neuköllner Kapielski, der es beim gelegentlichen Erzählen des Witzes beließ, während Papenfuß daraus so etwas wie ein ganzes Lebensabschnittsprogramm machte. Dieses zeigte durchaus Wirkung: So erschien bereits 2004, im selben Jahr, als er sein erstes Rumbalotte continua-Buch veröffentlichte, in Rostock eine Anekdotensammlung unter dem Titel Rumbalotte. Geschmunzeltes maritim von Dieter Flohr und Jark Herbert. Letzterer, ein ehemaliger Kapitän, schrieb u.a. vier Bücher über die Volksmarine. Zuvor hatte er das Seemannsgarn in der Betriebszeitung Voll voraus der Deutschen Seereederei (DSR) publiziert, außerdem Bordgeschichten, von denen bisher 13 Bände erschienen (u.a. mit Auszügen aus Tagebüchern ehemaliger DSR-Seeleute).
2010, im selben Jahr, als Papenfuß’ vorerst letztes Rumbalotte continua-Buch erschien, veröffentlichte der als Westberliner Krimiautor bekannte Soziologe Horst Bosetzky („ky“) einen Roman mit dem Titel Rumbalotte, in dem er den Witz um und um wendete. Statt um Matrosen geht es darin jedoch um einen U-Bahnfahrer, der einen kurzen Erfolg als zotiger Schriftsteller hat – und dann reumütig zur BVG in den Untergrund zurückkehrt. Es geht darin also um das „Abwärts“: Während einer Signierstunde in einer Weddinger Großbuchhandlung fand sich nur noch „ein einziger Käufer, ein pensionierter Fregattenkapitän, der glaubte, Rumbalotte handele von den Kriegsabenteuern eines Matrosen.“
Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass es neben der Prenzlauer-Berg-Dichterkneipe Rumbalotte auch noch eine Sportkneipe mit Biergarten namens Rumbalotte gibt – in 30926 Seelze, Wunstorfer Straße 35. Sie firmiert auch als Pizzeria Rumbalotte mit Online-Bestellung und Lieferservice sowie als Bistro & Imbiß Rumbalotte. In der Kneipe finden Dartturniere statt, u.a. spielen dort der DC Outlaws und der Dartverein Tomahawks, auch der Verband christlicher Pfadfinder und Pfadfinderinnen trifft sich dort – u.a. zu einem Sommerfest. Seelze nennt sich „Die Stadt mit Schwung“, sie liegt halbwegs zwischen Hannover und Neustadt am Rübenberge – im Calenberger Land. Nicht unerwähnt bleiben soll außerdem eine finnische Motorjacht namens Rumbalotte, Heimathafen Espoo Marjaranta. Das Boot gehört dem deutsch-finnischen Ehepaar Ulla und Mike; er lebt seit 1970 in Finnland. Beide sind seit Januar 2008 in Pension und schippern seitdem durchs Mittelmeer.
Dann gibt es noch eine Straßenbahn in Leipzig, die „Rumba-Lotte“ genannt wird. Dazu heißt es auf der Nahverkehrs-Website:

Die Stadtrundfahrten mit der ,Offenen Leipziger‘ wurden begeistert angenommen. Jetzt hat der Gotha-Wagen Rumba-Lotte den Offenen Leipziger abgelöst. Allerdings fährt Rumba-Lotte nicht mehr auf sechs, sondern nur noch auf drei Routen. Schließlich wird es ja auch früher dunkel. Abfahrt ist immer noch samstags an der Haltestelle Thomaskirche.

Und es gibt auch noch einen Autor, der sich Rumbalotte nennt und im Freierforum seine Pufferlebnisse veröffentlicht. Er wird dort auch als „Realuser“ bezeichnet, was immer das heißen mag. Ein weiterer Autor, der sich Rumbalotte nennt, veröffentlicht seine Texte im Internetforum tweakpc.de – z.B. diesen:

Hi, so nu hab ich endlich meine Teile bekommen und die Kiste zusammengeschraubt. Habe den E4300 momentan auf 2,7 Ghz laufen. Wird gerade mit Prime95 getestet. Was ich wissen will: Im Taskmanager von XP wird unter Prozesse nur 1x Prime95.exe aufgeführt. Habe aber schon Screenshots gesehen, da waren 2 Primes zu sehen. Wird bei mir nur ein Kern ausgelastet? Wie bekomme ich Prime dazu, beide Kerne zu knechten?

Solche Texte können wir Präinternet-Autoren in der Tat nicht mehr verstehen/verknusern. Wer soll da womit geknechtet werden?
In der Prenzlauer-Berg-Kneipe Rumbalotte fanden fast regelmäßig Literaturfestivals. Band-Auftritte, Filmvorführungen (oft sowjetische Stummfilme), Dia-Shows, Performances und Diskussionen statt. Trotz alledem saß in manchen Nächten bloß ein Halbdutzend Männer mit Flaschenbier vor sich an der Theke, während es in anderen so voll war, dass man nicht reinkam. Daran wird sich auch wohl in Sindys WATT nur wenig ändern. Außer, dass sie die Räume laut Berliner Zeitung eher mit Jazzrock als mit Punk beschallen wird. Mareile und Papenfuß haben unterdes mit einem Sympathisantenverein neue Räume angemietet – in den Ruinen der Weißbierbrauerei an Berliner Straße 80–82 in Pankow, wo sie nicht mehr „von neuen teuren Eigentumswohnungen und ihren Besitzern“ umzingelt sind, wie Papenfuß gegenüber der Berliner Zeitung den Umzug begründete. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie sich einfach in der unrenovierten, punkigen kleinen Maschinenhalle der ehemaligen Brauerei wohler fühlen, ihr verranzter Zustand erinnert jedenfalls verblüffend an die (Frei-)Räume am Ende der DDR, die damals überall und in ähnlich heruntergekommenen Ost-Immobilien von dynamischen jungen Leuten „gesichert“ wurden. Das dort gepflegte ungemütliche „Lebensgefühl“ will man wohl wiederholen, während es dagegen in Sindys WATT fast täglich gemütlicher wird – durch immer wieder neue Einrichtungsergänzungen, aber gleichzeitig auch ökonomisch kalkulierter, d.h. „0,2“ ist jetzt auch „0,2“ und nicht mehr ein volles Glas.

Helmut Höge, aus Kaperfahrt um sieben Fuder Anagramme. Jubeldruck für Bert Papenfuß zum 60., 2016

 

Die Rumbalotte, Heimathafen
für verlorene Seelen und Stadt-
& Staatsverweigerer. Erst Leila,
dann Rex hinterm Tresen, blonde
Unbeschwertheit & bezopfte
Musikerkehle. Blicke schmerzlos.

Bert, der Patriarch, wacht über
Passagiere und Mannschaft auf
dem untergehenden Lotterschiff.
Der Anker ist geworfen, der Ausstieg
fällt schwer. Wer zahlt die Zeche?
Wer greift zum Gewehr?
Geschäfte. Macht. Keiner.

Wer trinkt, raucht & quatscht
hört verdammt schlecht zu.
Der Widerspruch ist gegeben
die zaghafte Verzweiflung Ist-Zustand
Die Zustände ändern sich
ganz ohne die Protagonisten
von Dichtung & Wahrheit

11.IX.2015

Joerg Waehner

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