Charles Bukowski: Roter Mercedes

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Charles Bukowski: Roter Mercedes

Bukowski-Roter Mercedes

DAS UNMÖGLICHE

Van Gogh bittet seinen Bruder um Farbe
Hemingway testet seine Schrotflinte im Selbstversuch
Céline legt als Arzt eine Pleite hin
die Unmöglichkeit, Mensch zu sein
Villon wegen Diebstahl aus Paris verbannt
Faulkner betrunken in den Gossen seiner Stadt
die Unmöglichkeit, Mensch zu sein
Burroughs erschießt seine Frau
Mailer sticht auf seine mit dem Messer ein
die Unmöglichkeit, Mensch zu sein
Maupassant dreht in einem Ruderboot durch
Dostojewski wird an die Wand gestellt
Crane springt vom Heck in die Schiffsschraube
die Unmöglichkeit
Sylvia, den Kopf im Gasherd wie eine gebackene Kartoffel
Harry Crosby springt in die Schwarze Sonne
Lorca von spanischen Soldaten auf der Straße ermordet
die Unmöglichkeit
Artaud auf einer Bank in einem Irrenhaus
Chatterton trinkt Rattengift
Shakespeare ein Plagiator
Beethoven wegen Schwerhörigkeit
mit einem Hörrohr im Ohr
die Unmöglichkeit die Unmöglichkeit
Nietzsche unheilbar verrückt
die Unmöglichkeit, Mensch zu sein
allzu menschlich
dieses Atmen
ein und aus
aus und ein
diese verkrachten Existenzen

 

 

 

You get so alone at Times that it just makes Sense

gehört zu den stärksten Gedichtbänden aus Bukowskis Spätwerk. Eine Hälfte dieses Bandes erschien bereits unter dem Titel Alle reden zu viel. Hier nun der zweite Teil: Roter Mercedes. Direkt und klar wie eh und je hämmert er seine Verse in die Welt. Aber doch fällt auf, dass ganz andere, neue Themen zur Sprache kommen: Bukowski befasst sich vermehrt mit seinen Ängsten, dem Vergehen der Zeit und dem amerikanischen Albtraum. Ein großartiger Band und erfreulicherweise frei von jeder bürgerlichen Altersmilde.

MaroVerlag, Ankündigung

 

Aufstehen, Buk!

Jede Idee wird umgesetzt. Jeder Plan funktioniert. Alles, was man sich vornimmt, gelingt. Ach, was wäre das… (A) phantastisch (B) langweilig (C) die Hölle auf Erden (D) der Himmel auf Erden?!
Auf den ersten Blick würden (A) und (D) in Frage kommen. Immer einen Parkplatz finden. Bei jedem Pferderennen auf den Sieger tippen können. Irgendwie auch (B), langweilig. Und dann würde auch das Gedicht „Roter Mercedes“ nicht existieren. Und dieses Buch wäre noch ein bisschen dünner. Auch so manch anderes Werk aus der Feder Charles Bukowskis würde immer noch in derselben Feder stecken. Also doch (C), die Hölle auf Erden. Denn eine Welt ohne Buk, wäre keine Welt, in der man lesen möchte. So traurig wie Samuels Barbers „Adagio for strings“.
Künstlerpech könnte man es nennen, wenn Pläne sich in Luft auflösen oder schimmelig werden. Wenn man immer wieder Manuskripte an Verlage schickt, und – im günstigsten Fall – Absagen das einzige sind, was man auch nur annähernd eine Reaktion erwartet. Charles Bukowski hat viel gelitten. Gut, er hat dieses Leid oft und über Gebühr auch genossen und im Alkohol ertränkt, was zur Folge hatte, dass seine Werke bis heute ungebrochen populär sind und seiner treuen Leserschaft immer wieder Freudentränen in die Augen treibt. Bleibt die Frage, ob denn wirklich immer erst der Boden geküsst werden muss, um sich erheben zu können? Vergleiche mit Fußballnationalmannschaften erübrigen sich, da die Spieler vielleicht am Boden liegen, aber von Dreckfressen in etwa so weit entfernt sind wie Buks Leber zu Lebzeiten von Normalität entfernt war.
Dieser Band ist ein Rundumschlag gegen das Versagen. Immer wieder brach man Buk die Beine – sinnbildlich. Immer wieder schmerzte der Schorf an den Knien. Immer wieder knurrte der Magen. Und immer wieder siegte die Kreativität der Feder über die menschlichen Bedürfnisse. Vermisste man Buk in der Kneipe, war die Freude über seine Rückkehr umso größer. Am Fluss sitzend flog die Miene seines Stiftes über das Papier und brachte so wundervolle Werke auf selbiges, dass man als Leser nicht nur ein Gedicht vor sich hatte und es las. Sondern man vielleicht in einen Abgrund sah, durch das Schlüsselloch eines Lebens schaute und dem Menschen Charles Bukowski beim Leben zusah. Flaschenklappern gehörte zu seinem Leben wie der Drang dieser Melodie ein nicht allzu enges Korsett zu verpassen.
Das ganze Buch auf einmal durchzulesen, wäre frevelhaft. Die Intensität der Zeilen muss dosiert aufgenommen werden. Erst dann entfalten sie ihr besonderes Bouquet. Schluck für Schluck rinnt der Saft der Erkenntnis über die Seiten direkt ins Hirn des Lesers. Erschrocken stellt man fest, dass Buk auch eine verletzliche Seite hatte. Was im Angesicht seines Lebens nur logisch ist…

aus-erlesen, amazon.de, 30.6.2019

 

Buk Sings His Ass Off

Ich hatte mit Bukowski schon einige Jahre Kontakt, ich kannte ihn aus unzähligen Briefen, aus seinen Büchern, aus den Manuskripten die er mir für Klacto/23 schickte, und als ich ihn im Sommer 1968 zum ersten Mal in Los Angeles besuchte, hatte ich auch die „Bukowski-Legende“ kennengelernt: in den Poster Shops von New York und San Francisco und in den ekstatischen Artikeln seiner Bewunderer in den Redaktionen der amerikanischen Underground Zeitschriften & Zeitungen. Seit Ende der 50er Jahre hatte es kaum ein „Little Magazine“ von einiger Bedeutung gegeben, in dem er nicht regelmäßig mit Beiträgen vertreten war. Endgültig setzte der Run auf Bukowski 1965 ein, als ihn The Outsider – neben Evergreen Review und Kulchur eines der wichtigsten Literaturmagazine jener Jahre – in einer Sondernummer zum „Outsider des Jahres“ erklärte.
Damals schickte er mir eine Kopie seines Briefes an die Herausgeber, in dem er ausführlich über seinen letzten Selbstmordversuch berichtete und erst ganz am Ende, fast etwas mißmutig, die „Ehrung“ zur Kenntnis nahm und hinzufügte:

Ich bleibe dabei – und ihr kennt mich gut genug um das jetzt nicht in die falsche Kehle zu kriegen –: Personenkult ist Scheiße.

Bei unserem Treffen erzählte ich ihm, daß ich von Leuten die nur den Erfolg aber nicht den Mann selbst kannten, immer wieder zu hören bekommen hatte, Bukowski sei doch ein Con Man erster Ordnung, wenn er so tue als sei er nach wie vor kurz vor dem Abschnappen; in Wirklichkeit habe er doch mittlerweile ein dickes Bankkonto und fahre wahrscheinlich einen bar bezahlten Cadillac, vermutlich halte er sich auch einen kleinen Homo, der ihm die Schreibarbeit abnimmt usw.
„Shit“, sagte er.

Alles kalter Kaffee. In meinem Leben hat sich nichts geändert, außer daß mir der ganze Rummel die Lust am Schreiben nimmt. Ich habe jedenfalls nicht vor, mich auf die goldenen Scheißhäuser der Kultur zu abonnieren. Schau dich um: ich lebe nach wie vor im Dreck, in den Slums, auf der Skid Row von Hollywood. Aber das ist etwas, womit ich umzugehen verstehe, deshalb bin ich gar nicht scharf darauf, daß sich das ändert.
Das, plus eine Serie von miesen Jobs, eine ruinierte Gesundheit, eine Dosis Irrsinn, ein kaputter 57er Plymouth, ein ramponiertes Gesicht, verkorkste Weibergeschichten, ein paar Magazine & kleine Verleger für die es sich zu schreiben lohnt, und ein paar alltägliche Laster wie Pferdewetten und Saufen ist alles was ich bisher hatte & alles was ich zum Arbeiten brauchte. Wenn mir das Schreiben ab und zu ein paar hundert Dollar einbringt, kriege ich sofort das Gefühl, daß ich ins Rutschen komme, daß ich dabei bin, Ausverkauf zu machen. Und ich sehe zu, daß ich die Moneten auf dem nächsten Rennplatz verwette oder daß sie bei einer Sauftour draufgehen. Erst wenn ich auf Zero bin, kann ich mich wieder an die Maschine setzen und versuchen weiterzumachen.
Und wenn ich schreibe, dann trotz der letzten entnervenden Nachtschicht
(als Briefsortierer im Postamt – C. W.), trotz der letzten Verluste am Totalisator, trotz Hämorrhoiden und Magendurchbruch, trotz der letzten Knaststrafe wegen Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Körperverletzung und Beamtennötigung, trotz der Tatsache daß ich vor einer halben Stunde noch Blut gekotzt habe, und trotz des Schecks von Evergreen Review oder Playboy, und trotz der blödsinnigen Arschlöcher, die mir dieses Scheiß-Image des „taugh guy“ angehängt haben oder mich als einen wild gewordenen Hemingway feiern oder als den Slum-Gott aus den Kloaken von Los Angeles oder was weiß ich…
Viele, die mich lesen, sind anscheinend nicht imstande zu begreifen, daß ich nur schreibe, um herauszufinden, ob ich schon vollkommen kirre bin oder nicht – und das bedeutet: ob ich die nächsten 24 Stunden überleben werde, überleben will, oder nicht; ob ich noch fähig bin der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und das dann auch zu Papier zu bringen, anstatt einfach nur Literatur zu machen.
Mit anderen Worten, wenn ich sage, daß ich mich jeden Tag an diese Schreibmaschine dort am Fenster klammere wie an ein rostiges Maschinengewehr, nachdem mich der Feind schon rechts und links überrollt hat, dann ist das keine lyrische Floskel. Mein Vokabular ist in diesen Jahren auf einen letzten äußersten Rest zusammengeschrumpft, aber mit diesem Rest versuche ich herauszuhämmern, was nur drin ist.
All die Jahre, die ich in Schlachthöfen und Tankstellen, an Fließbändern und in U-Bahn Tunnels usw. gearbeitet habe, machen es mir unmöglich, das wohlgesetzte Wort um seiner selbst willen zu akzeptieren. Für mich muß da mehr drin sein, sonst bin ich nur ein weiterer Selbstmord in einem dreckigen Zimmer oder in der Gosse oder im Meer oder in der Gaswolke. Und wenn ich das Zeug aus dem Haus lasse, wenn ich es rausschicke und veröffentlichen lasse, dann deshalb weil ich weiß, daß da draußen ein paar hundert oder tausend Kanacken herumkrebsen, die exakte Duplikate von mir sind, und weil es mir deshalb gelungen ist, bis zum heutigen Tag zu überleben.
Außer dem reinen Selbsterhaltungstrieb könnte da natürlich auch ein Schuß Ego mit im Spiel sein: Charles Bukowski auf einem Stück Papier, verstehst du? Sodaß ich das Gefühl haben kann, wenn ich in der Säuferpenne umkippe oder meine Eingeweide herausgeschnitten kriege oder meine Seele oder sonstwas, daß ich wenigstens einen Bruchteil dieses beschissenen verkorksten Lebens gerettet habe…

Damit ist glaube ich einiges gesagt. Nicht über das „Phänomen“ Bukowski, nicht über die „Legende“ Bukowski, sondern über den amerikanischen Menschen Charles Bukowski… an einem Abend im Sommer 1968 bei der sechsten Dose PABST BLUE RIBBON Bier in seiner baufälligen Wohnung an der DeLongpre Avenue in Los Angeles.
Damit ist vielleicht auch etwas gesagt über Charles Bukowski, den Sohn deutsch-polnischer Einwanderer, 1920 in Andernach am Rhein geboren, im Alter von 2 Jahren nach Amerika gekommen, aufgewachsen in den Slums der Großstädte, erste Vorstrafen als jugendliches Bandenmitglied, später Studium der Journalistik (abgebrochen), dann Erfahrungen gesammelt als Leichenwäscher, Werbetexter für ein Bordell, Möbelpacker, Nachtportier, Schlachtergehilfe, Sportjournalist, Müllkutscher, Hafenarbeiter, Zuhälter, Herausgeber von Literaturzeitschriften, Alkoholiker, Strafgefangener und konsequenter Outsider… über diesen Charles Bukowski also, den ich in der Nacht zum 8. August 1968 auf einer Party im Haus des Henry Miller (auch er Sohn einer deutschen Mutter) erlebt habe, wie er in volltrunkenem Zustand dem Gastgeber auf die Schulter schlug und ausrief: „Henry, wir Deutschen sind doch weiß Gott die größten Arschlöscher auf der Welt!“, worauf sich ein Wortgefecht entwickelte, das zum wesentlichen Teil mit deutschen Kraftausdrücken geführt wurde und darin endete, daß Miller sich an seinen zerschrammten Yamaha-Flügel hockte und die Marseillaise hämmerte, während Bukowski die polnische Nationalhymne grölte.
Dieser Charles Bukowski ist der Autor des Buchs Aufzeichnungen eines Außenseiters (ursprünglich geschrieben als eine Serie von wöchentlichen Kolumnen für Open City, die Underground-Zeitung von Los Angeles), in dem unter anderem auch die Rede ist von Jack Micheline, einem der letzten aktiven Street Poets der Beat Generation; von Bukowskis Zusammentreffen mit Neal Cassady (dem Helden in Kerouacs Roman On the Road) wenige Tage bevor er in Mexiko an einer Überdosis starb; und von Harold Norse (aus dem Kreis der „Exil-Amerikaner“ um William Burroughs in Paris Anfang der 60er Jahre), bei dem Bukowski – wie bei sich selbst – das Frozen Man Syndrom diagnostiziert, das untrügliche Kennzeichen der selbstgewählten Außenseiter-Existenz.

Carl Weissner, aus Melzers Surf Rider, Melzer Verlag, 1970

 

 

„Ich habe ihn nie betrunken erlebt“Jonathan Smith im Interview mit Charles Bukowskis Verleger John Martin

Felix Stephan: Er war der Dschungelkönig der Achtziger

Benno Käsmayr: „Wir haben abertausende Exemplare verkauft“

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer + Archiv + IMDb
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Carl Weissner liest Bukowski beim Jetztmusikfestival Mannheim am 22.3.2010.

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

 

„I’m still here“. Bukowski ist siebzig. Ein Video von Thomas Schmitt.

Zum 20. Todestag des Autors:

Thomas Andre: Als der Gossenpoet nach Hamburg kam
Hamburger Abendblatt, 8.3.2014

 

Charles Bukowski: Porträt zum 20. Todestag

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Frank Schäfer: Bukowski 100 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7 + 8
junge Welt

Schreiben als Selbstbehauptung: 100 Jahre Bukowski mit Frank Schäfer, Sarah Käsmayr und Peter Merg
Lesung und Buchvorstellung am 15.10.2020 im Ladenlokal der jungen Welt

Sascha Seiler: Vorbemerkung zum Themenschwerpunkt der August-Ausgabe
literaturkritik.de, August 2020

Frank Schäfer: Das Geklapper
literaturkritik.de, August 2020

Frank Schäfer: Der arme Mann aus L. A.
nd, 15.8.2020

Rafael Arto-Haumacher: FBI #140-35907 – Die Akte Charles Bukowski
literaturkritik.de, August 2020

Manfred Orlick: Ein Außenseiter und Chronist des gescheiterten American Dream
literaturkritik.de, August 2020

Christian Gaier: Dichter der Randexistenzen: Charles Bukowski zum 100. Geburtstag
Die Rheinpfalz, 12.8.2020

Benno Käsmayr: Bukowski und ich
Süddeutsche Zeitung, 13.8.2020

Almut Tina Schmidt: Nennen Sie das Literatur?
Die Presse, 13.8.2020

Florian Bissig: Skandalautor Charles Bukowski: Dieses Jahr wäre er Hundert Jahre geworden – und wäre verhasster denn je
Tagblatt, 14.8.2020

Thomas Hartmann: Charles Bukowski: Vom Tankwart zum Kult-Autor
mdr Kultur, 16.8.2020

Sven Ahnert: Mehr als Sex und Suff
SRF, 15.8.2020

Almut Finck: „Ich schreibe, geh zu Pferderennen, und ich trinke“
Deutschlandfunk, 16.8.2020

Airen: Dicht, Dichter, Bukowski
Der Spiegel, 16.8.2020

Paul Ingendaay: „Bedienen Sie sich aus diesem Schrott“
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.8.2020

Markus Mayer: 100 Jahre Charles Bukowski: Der Dirty Old Man der Literatur
BR24, 16.8.2020

Alexander Kluy: Mythen, Dreck und Schlacke – 100 Jahre Charles Bukowski
Wiener Zeitung, 16.8.2020

Ralph Grosse-Bley: Hitler, Huren und die „Fuck Machine“
Bild, 16.8.2020

Alexander Wasner: Charles Bukowski – Der etwas andere Andernacher

 

 

Ausstellung Bukowski 100plus:

Andernach ehrt Schriftsteller Charles Bukowski
SWR, 6.8.2021

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + KLfG + Internet Archive +
Kalliope
Porträtgalerie: Keystone-SDA

 

Charles Bukowski – Born into this.

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