Christoph Buchwald & Ror Wolf (Hrsg.): Jahrbuch der Lyrik 1997/98

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Christoph Buchwald & Ror Wolf (Hrsg.): Jahrbuch der Lyrik 1997/98

Buchwald & Wolf (Hrsg.)-Jahrbuch der Lyrik 1997/98

DICHTERRUHM

Wenn ich berühmt wäre,
würde ich es wohl können,
mit Steigeisen
den Himmel hochsteigen −
das im Gedicht,
den Blitz mit einem Beil spalten −
das im Gedicht

Lieber dicht ich
das Gras wächst und brauchst keinen Stock wie die Rebe.
Lieber,
das Firmament steht heiter,
du senkst die Stirn schon zum Tod.
Lieber,
der Sturmwind verstaucht sich den Fuß und schreit.
Aus bescheidenen Titeln
wollte ich Funken schlagen und Feuer zünden.

Die Schuhe genagelt mit Goldnägeln ging ich nie.
Es stellten sich Leute vor mein Fenster und sagten:
Hier wohnt ein Narr.

Ich ließ keine Raben steigen: Sucht mir Freunde!
Ich ließ keine Adler suchen,
keine Falken,
ich biß auf meine Zähne,
zählte Verse.

Johannes Kühn

 

 

 

Editorische Notiz

Was waren das für seltsame Zeiten, sagte neulich meine gut sortierte Buchhändlerin, in denen man zehn Exemplare eines Gedichtbandes, sagen wir von Rolf Haufs oder Peter Rühmkorf, neben die Kasse legen konnte, und wußte: die sind in drei Tagen weg; als es in den Buchhandlungen noch Lyrikregale von mehr als 40 cm Länge gab und BeckerBornBrinkmann in Erstauflagen von 5000 und mehr Exemplaren gedruckt wurden. – Was, fragen wir, hat sich geändert seitdem, warum sind die Lyrikregale fast verschwunden, die Auflagen rapide gesunken, Lesungen selten, Rezensionen sporadisch? An den Gedichten, glauben wir, kann es nicht liegen, viel Spreu und wenig Weizen, das war schon zu Goethes Zeiten so. Nach wie vor werden aufregende, eigensinnige, erfinderische Gedichtbände publiziert, von Adolf Endler bis Ernst Jandl und von Marcel Beyer bis Thomas Rosenlöcher (um willkürlich vier zu nennen, die für dieses Jahrbuch „nichts Abgehangenes“ hatten), nach wie vor werden Dichter entdeckt und gewürdigt, wie z.B. der wunderbare Johannes Kühn. Sicher ist, daß heute die durchschnittliche verkaufte Auflage eines Gedichtbandes von einem Lyriker mit „gutem Namen“ bei 800 bis 1200 Exemplaren liegt, und das ist im europäischen Durchschnitt gar nicht einmal schlecht. Wo, fragen wir wieder, soll das alles enden? Im Internet? Um so erstaunlicher, daß sich das Lyrik-Jahrbuch derzeit erfreulich antizyklisch verhält und mehr Leser hat als je zuvor. Unbescheiden wünschen wir uns für diesen 15. Band natürlich noch mehr.
Was ein gelungenes Gedicht sei, was ein mißglücktes, darüber ist – auch in diesem Jahrbuch – immer wieder gestritten und geschrieben worden. Robert Gernhardt und Matthias Politycki haben sich jüngst zu diesem Thema in rappelvollen Sälen zusammen- und auseinandergesetzt, einander kritisiert, gelobt, lektoriert, mit Zeilen zum weiterdichten beschenkt und die Gedichte des anderen vorgelesen. Das Nachdenken über die „endlosen Möglichkeiten der Poesie“ (Goethe) ist nicht abzuschließen, und das ist gut so. Wir haben es in diesem Jahrbuch weit gefaßt und Schrift-Bilder ebenso berücksichtigt wie Jochen Gerz’ „Lebendes Monument“, das 1996 in Biron/Frankreich eingeweiht wurde und in der alten Debatte um Literatur & Kunst & Politik neue Maßstäbe gesetzt hat.

Christoph Buchwald, Nachwort

 

„Nach Lyrik drängt , / An Lyrik hängt / Doch alles!“

So klingt’s uns noch vom Weimarer Altmeister in den Ohren – mittlerweile jedoch hör’n wir die Botschaft wohl, allein uns fehlt der Glaube. Schließlich wissen wir, wir Nach-Dränger nach zeitgenössischer Lyrik, um deren ewig Weh’ und Ach: Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt Gedeuchtetes nur allzu oft sich ein. Nur allzu oft, nicht immer! Wußte der Weimarer Altmeister und weiß Christoph Buchwald. Jahr für Jahr setzt er sich – zusammen mit einem zeitgenössischen Autor von Rang – an den sausenden Webstuhl der deutschen Gegenwartslyrik und sondert das Gedichtete von Gedeuchteten. Neben ihm sitzt diesmal Ror Wolf, und es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn man sich nach Lektüre ihrer Textauswahl nicht eingestehen müßte: Von Zeit zu Zeit les’ ich Gedichte gern…

Verlag C.H. Beck, Klappentext, 1997

 

 

Christoph Buchwald: Selbstgespräch, spät nachts. Über Gedichte, Lyrikjahrbuch, Grappa

Das Jahrbuch der Lyrik im 25. Jahr

Jahrbuch der Lyrik-Register aller Bände, Autoren und Gedichte 1979–2009

Fakten und Vermutungen zum Jahrbuch der Lyrik

 

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Ror Wolf spricht „Das nordamerikanische Herumliegen“ mit dem Ersten Wiener Heimorgelorchester.

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