Christoph Meckel: Poesiealbum 288

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Christoph Meckel: Poesiealbum 288

Meckel/Meckel-Poesiealbum 288

VERHEISSUNGEN
für Nelly Sachs

Deines Bleibens hier
wird lange sein.

Ertrinke, sagt dir das Wasser,
ich führe dich unter der reißenden Strömung fort
und zeig dir den Grund
auf den du dich betten kannst.

Verbrenne, sagt dir das lange
in deinen Haaren gelegte Feuer,
mein Rauch verspricht
nichts übrig zu lassen von dir.

Vertrockne, ruft dir der Stein zu,
Raupe, die du zu sein hast!
Auf meinem Staubfeld ohne Blüte
kannst du den Schmetterling
nicht sichtbar machen.

Mit gefesselten Flügeln singend
ruft dir deine Zeit aufs neue herüber:
Raupe, die du zu sein hast, fahre fort,
den Schmetterling auszutragen unsichtbar.
Deines Bleibens hier
wird lange sein!

 

 

 

Stimmen zu Christoph Meckel

In Christoph Meckels Heiterkeit sind andere, dunklere Namen verborgen. Sie lauten Chimäre, Feind, großer Bruder, Schinder, Henker, Leviathan… Das ist der schwarze Kern mancher strahlenden Sonne. Diese Heiterkeit ist sein Schatten. Christoph Meckel ist ein Peter Schlemihl, der seinen Schatten noch nicht verloren hat, der Graue hat keine Macht über ihn.
Harald Weinrich

Dichter, die Flaschenposten versenden und auf diese Weise Nachricht geben, wissen, daß sie aus extremer Lage handeln. Aber sie wissen auch, daß die Nachricht, die sie an den unbekannten, den künftigen Adressaten senden, nicht das letzte Wort ist, weil das ausdrücklich Gesagte in der Dichtung nie das letzte Wort hat oder ist.
Beda Allemann

Die Dichtung des vielsehend Vorübergehenden ist geräumig und aufgeräumt, frei und streng, verletzlich und entschieden. Dieser worttrunkende Guckindieluft läßt sich nichts abkaufen: weder seine Seele, noch seinen Schatten und den Schneid.
Richard Pietraß

MärkischerVerlag, Klappentext, 2010

Poesiealbum 288

Das Leben des in Freiburg geborenen welthungrigen Dichters zwischen dem Stadtnest Berlin und einem kargen Gehöft in Südfrankreich mauserte sich früh zu einem gegenläufigen Zugvogeldasein zwischen Obstblüte und Blätterfall. Angetreten im Zeichen der Tarnkappe, wurde er bald ein kühner Wortstapler und Bildmagier, dessen Gedichte fliegende Teppiche sind, auf denen er schreibt und bleibt: ein Wagehals ohne Netz.

MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2010

Christoph Meckel

Das Leben des 1935 in Freiburg geborenen welthungrigen Dichters und Zeichners zwischen dem Stadtnest Berlin und seinem Refugium, einem kargen Gehöft in Südfrankreich, mauserte sich früh zu einem gegenläufigen Zugvogeldasein, denn er verließ sein preußisches Quartier noch vor der Obstblüte, um mit den fallenden Blättern zurückzukehren. Dieses Pendeln machte ihn, wie er seine Frankfurter Vorlesungen taufte, erfahren in den Luftgeschäften der Poesie. Angetreten im Zeichen der Tarnkappe, trat er bald hervor als ein kühner Wortstapler und Bildmagier, dessen Gedichte fliegende Teppiche sind, auf denen er schreibt und bleibt: ein Wagehals ohne Netz.

Aus Nelly Sachs: Poesiealbum 287, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, 2010

 

Nicht lang genug gestorben

– Laudatio auf Christoph Meckel zur Verleihung des Schiller-Ringes am 12.5.2005 in Weimar. –


Nicht lang genug gestorben, nicht tief genug
im Moder versenkt
und noch immer das Ohr leer von Erde

Christoph Meckel

Ich bin soeben damit beschäftigt, in der Schlusszeile meines neuen Gedichtes einen affektierten Schnörkel anzubringen, der das ganze Gedicht ruinieren wird – da läutet es an der Eingangstür. Draußen steht einer, ergreift meine Rechte und beginnt sie auf und ab zu pumpen. Zwischen den Zähnen stößt er immer wieder den Satz hervor: „Gratuliere zum sechzigsten Jahrestag der Befreiung.“ Dann lässt er meine Hand los, verreißt seinen Körper um neunzig Grad und enteilt. Ich spüre von unten Freude in mir aufsteigen, ich will ihm hinterher, um – wenn ich ihn erreiche – seine Schultern zu packen und ihn zu drehen, damit er mir wieder gegenüber ist, stattdessen schließe ich die Tür und gehe in mein Zimmer zurück. Der Schnörkel ist mir inzwischen entfallen, achselzuckend lass ich das Gedicht so stehen, und es ist damit zufrieden. Ich schalte den Fernsehapparat ein. Ein hagerer Mann gratuliert mir zum sechzigsten Jahrestag der Befreiung. Ich drehe mich um, ob er womöglich jemanden hinter mir meint, hernach schreie ich den Mann an, er möge sich selbst gratulieren. Auf dem Weg ins Wirtshaus werde ich einige Mal aufgehalten, Menschen verneigen sich, hinter den Scheiben sehe ich Leute mich beobachten; schließlich reißen sie die Fenster auf und streuen Konfetti. Im Wirtshaus will ich mit jedem Mundwinkel zugleich ein Glas Rotwein kippen. Die Gäste sind aufgesprungen, Gratulation zum sechzigsten Jahrestag des Zusammen… – der Befreiung.
Ein Mann sitzt mit dem Rücken zu mir und steht nicht auf, sondern er dreht sich lächelnd her, er hat einen weißen Schal um den Hals, und Christoph Meckel also sagt: „Ich kenn das.“ –
„Ah so, wenn du das kennst – wieso gratulieren die sich nicht selbst?“ Ich wälze mich aus Christoph Meckels Texten und schaue auf. Was für Gebilde setzen seine Worte in meinem Kopf frei?

Ein Satz wird gesprochen, ein Name genannt, und die Zeit beginnt.

Damit die Poesie also ihren Luftgeschäften nachgeht, frage ich mich, was dieser erste Satz von Meckels Poetikvorlesung mit mir anstellt.
„Und gab der Frühe den ersten Atemzug / dreifach zurück“ heißt es im Gedicht „Kraft des Atems“. Da ist es wieder, dieses Erzeugen aus dem Vorhandenen, dieser sich selbst erzeugende Realismus, da sich die Welt im gefundenen Wort mit sich selbst paart, ohne Frucht, ohne Zweck. Der Dichter, der dieses Wort findet, nüchtert sich aus in ihm, als er von der Welt trunken war. Die Klarheit, die Dinggenauigkeit macht mich süchtig, wenn ich Meckels Gedichte lese, die sich generieren und mich dazu, so dass ich zu einer Zeile wie: „Wir sind zu Haus / wo Gott sich das Leben nahm“ die jüdische Totenklage einsprechen will mit unhebräischen Worten, mit Celansätzen wie: „Verbracht ins Gelände mit der untrüglichen Spur“ – aber auch mit Sätzen wie: „Heil Hitler, ich bring die Mazzes!“, mit der damaligen Frage an einen jüdischen Exilierten in Paris: „Warum liest du den Völkischen Beobachter und nicht unseren Aufbau?“ und der Antwort: „Ich will nicht wissen, wie arm und verfolgt, sondern wie mächtig und reich ich bin.“
Aber wie können einem bei einem Vers wie: „Wer könnte Platz nehmen / in der Gerechtigkeit“ die Tränen kommen? Die sechs Millionen sind in der Wahrheit, das ist wahr, aber wer ist in der Gerechtigkeit? Entschuldigen Sie, wenn ich so zerklüftet, fast abgelumpt mich dem Dichter Meckel nähere; es stürzen zu viele Schweinsgedanken mir vom Kopf in die schreibende Hand und wollen sich verknäulen, wälzen sich auf dem Lobesteppich, den ich Knoten für Knoten knüpfen will.

Sachte, sachte. Jetzt könnte ich vom Vaterbuch reden, von dem alle reden, und zu Recht. Ich könnte die Kunst preisen, wie dieser Vater gleichsam wie ein Naturwesen, wie ein Elf des badischen Landes im dortigen Wurzelwerk intarsiert ist und von dem gleichzeitig eine Trostlosigkeit ausgeht, falls man sein widerständiger oder jüdischer Zeitgenosse war in den dann dunklen Zeiten.
„Die Tiefendimension des Antisemitismus“, sagt Detlev Claussen, „ist die Gleichgültigkeit gegenüber Tätern und Opfern.“ In Ansehen der Gestalt Eberhard Meckel gibt es einen Antisemitismus, ohne ein einziges antijüdisches Wort zu sprechen.
Ich könnte vom SCHLAMMFANG sprechen, dieser Durchdringung einer menschenkontaminierten Landschaft mit Geschichtsplunder. Ein Namenloser – und das will was heißen – schreitet etwas ab, was gut und ungern unsere Zukunftslandschaft sein kann. Die innere Landschaft von uns Vorläufigen gleicht nicht wenig dieser Geschichtshalde, auf der einer Hausmeister sein soll.
Von der Poetikvorlesung könnte ich sprechen. Meckels Gespräch mit dem mittelalterlichen Dichter Cecco d’Angioleri enthält sehr vieles, was heute von der Poesie – und nicht nur von ihr – gesagt werden kann. Sein Buch Dichter und andere Gesellen zeigt uns, wie gut aufgehoben ein Dichter, ein von ihm beschriebener Mensch ist, und sei’s ein Bauer wie Mathieu im Roman Ein unbekannter Mensch. Wenn ich jetzt in dieser Manier weitermache, kommen wir zu keinem Ende. Die Publikationsliste ist lang, die Werke allesamt auf hohem Niveau. Sachte, sachte.
Diese unbändige Zeitgenossenschaft, diese Samenkornausstreubewegung, das Lächeln, das er einem dummen Berg abgewinnen kann, die Authentizität seiner Zeugenschaft in der Dichtung, das bewirkt es womöglich, weshalb, wo immer ich Texte von ihm lese, ich einen Rippenstoß verspüre: Was klapperst du mit den Augen, spür dich selbst später, schau hin! Schau und sieh, was der Fall ist!
Die Bilder, die Naturdinge, der Plunder verwandeln sich in Wörter, diese formieren sich miteinander und erzeugen die Bilder in uns, und wir sind’s in den Bildern. Diese Vorgänge sind genuin poetisch, und Meckel ist dieser Poet.

Ich kenne Christoph seit einigen Jahren auch persönlich. Leider treffen wir einander bloß bei den Herbsttagungen der Darmstädter Akademie, einmal aber – unvergessen – sahen wir uns auch in Freiburg. Jetzt sind Leute wie ich – jüdische Leute – im Gespräch mit linken Deutschen immer etwas vorsichtig. Mit den übrigen sowieso. In den Debatten um den ersten Irakkrieg hatten wir gewisse Erfahrungen gemacht mit Losungen wie „Kein Blut für Öl!“ bis „Kauft keine israelischen Waren!“
Aber bereits bei unserem ersten Gespräch lehnte ich mich entspannt zurück, und wir blickten einander lächelnd in die Augen. Christoph ist so ein intensiv aufmerksamer Zeitgenosse, dass mir sofort klar war: Hier gibt es keine Missverständnisse, da ist kein Philosemitismus mit Neidfaktor, kein auf Judenphobie aufgesattelter Antiamerikanismus, kein „Man wird ja noch sagen dürfen…“. Direkt und in den Schwanzflossen der Aufklärung sprachen wir über Ideologie und Poesie, sozialistischen Realismus und poetisches Schweigen. Er berichtete mir von Paul Celan, dessen Wort ich ständig brauche und er vermutlich auch. Und es schälte sich heraus, dass durch all die Schändungen der Literatur hindurch mittels Indienstnahme durch die Herrschenden, durch die Versuchung hindurch, Poesie zu verwenden, um etwas zu erklären, uns beiden womöglich der Kinderglaube geblieben ist, das Wort könne – welthaltig, wie es ist – etwas verändern. Als hätten die Luftgeschäfte der Poesie eine Nachhaltigkeit.
Zu sagen, was der Fall ist. Meckel sagt:

Das ist das Gedicht
damit kommen wir durch die Zeit bis an das Ende der Hoffnung.

Ohne ideologische Zurichtung in der Poesie sagen, was ist. Mit den unbekannten Stellen der Seele die abgegriffenen Worte, die den Machthabern und ihren Unterdrückten abgegriffene Münze geworden sind, wieder aufzuhellen, aufzuleben, aufzustummen, einzuleuchten, das ist auch das Feuer-, Wasser- und Erdgeschäft der Poesie. Denn „der Ausgang der Menschheit aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“ ist noch immer und schon wieder Voraussetzung, um einen menschengerechten Planeten zu verwirklichen. So gilt wohl der Brechtsche Imperativ:

Verlasse nicht als Guter diesen Planeten, sondern verlasse einen guten Planeten.

Der von mir in meiner Jugend und von vielen in ihrer Jugend geliebte Schiller ist nicht lang genug gestorben, als dass seine Hoffnungen, sein Streben, seine lavabeglühten Hauptworte vergessen würden. Still aber ist Schiller nicht. Es ist immer noch ein produktiv aufweckender Lärm, der da heraufschallt. Im beabsichtigten BUCH ÜBER DEN LÄRM, geschrieben von unserem Preisträger im hohen Alter, wird der Ringpate womöglich einen Ehrenplatz erhalten.
Christoph Meckel selbst, der quicklebendige, ist noch nicht lang genug gestorben, als dass er sich mit der Niedertracht, der Dummheit und den Torheiten gegenwärtigen Weltgeschehens abfände. Erst wenn wir „fein“ zu dieser Welt sagen, sind wir lang genug gestorben.
Auch meine Ermordeten – die in Riga, Birkenau und Sobibor – sind nicht lang genug gestorben. Sie stehen mir im Gebot. Sie stehen dem Zeitgenossen Meckel im Gebot. Sie sind es, die im Luftgrab wohnen, denen wir unsere erschwiegenen Wörter verdanken, und sie spiegeln sie ins Leben und in die Gerechtigkeit – vielleicht.

So. Jetzt gratuliere ich uns allen zum sechzigsten Jahrestag der Befreiung. Dir aber, Christoph, gratuliere ich zum Schiller-Ring und freue mich unbändig.

Robert Schindel, Deutsche Schillerstiftung von 1859: Ehrungen – Berichte – Dokumentationen, 2005

Ich war von Anfang an in seine Texte verliebt,…

Wann begann das alles. Ich war jung, verheiratet, Vater einer Tochter. Als ich einmal mit meinem kranken Kind für zwei Wochen an die Küste fuhr, war meine Frau bei meiner Rückkehr ganz verändert, sie sah plötzlich so zauberhaft und aufgeräumt aus, ging mehrmals am Tag zum Briefkasten runter, aber ich konnte doch gar nicht geschrieben haben. So sieht allmählicher Verlust aus, plötzlich und unfaßbar schön, in seiner ganzen Niederträchtigkeit. Als ich einen angefangenen Brief von ihr an einen anderen Mann fand, wollte ich sterben. Ich betrank mich drei Tage und hörte Lebensrettermusik von Tom Waits: Closing Time. Ein Freund empfahl mir, Licht von Christoph Meckel zu lesen.
Von da an begriff ich, daß es auch Lebensretterliteratur gab, so pathetisch das auch klingen mag. Es war wohl 1990. Christoph Meckel wohnte in Westberlin. Ich weiß nicht mehr, wie ich an seine Adresse kam. Ich schickte ihm das erste Widmungsgedicht meines Lebens:

FRÜHLINGSKREUZ

Die Jäger hatten das Schneetier
Getroffen, es hatte sich am
Weitesten von seiner Herde
Entfernt, nun schleppte es
Sich auf die Jäger zu, brach vor
Ihren Füßen zusammen und
Blutete noch einen halben Meß-
Kolben voll, den einer von ihnen
In die Wunde gedrückt hatte, als
Sie jedoch sahen, daß sich das Blut
In dem kleinen Kolben sofort wieder
Auflöste, stießen sie ihn mit den
Füßen bis zum Anschlag in den
Hals und strichen enttäuscht die
Klebrigen Haare darüber, als sie
Jedoch sahen, und es war nur zu
Deutlich zu erkennen, daß das Tier
Einen lächelnden Ausdruck
Im Gesicht angenommen hatte, traten
Sie solange in seinem Hals
Herum, bis sie es knacken
Hörten, als sie
Jedoch.

Ich war von Anfang an in seine Texte verliebt, in alle seine Texte. 1995 trafen wir uns zum ersten Mal in Berlin in seiner Wohnung. Paar Tage zuvor hatte er mich gegen Mitternacht angerufen.

Kommen Sie übermorgen um 14 Uhr zu mir. Seien Sie pünktlich.

Ich lief ab 12 Uhr in seinem Viertel umher, Straßen rauf und runter, Ansbacher, Bamberger, Kulmbacher, rauf und runter. Ich war sehr aufgeregt und verlangte oben nach Whisky.
Über was wir sprachen, daran erinnere ich mich nicht mehr. Zum Abschied schenkte er mir eine Handvoll Bücher. In jedes schrieb er eine Widmung. Als er mir das letzte Buch ohne Widmung übergeben wollte, flehte ich ihn beinahe an, auch dort etwas reinzuschreiben. Er sagte:

Sie Scheusal.

Seit dieser Zeit gebrauche ich dieses Wort wie das Wort „Liebste“ oder „Liebster“. „Du Scheusal.“ Bei der Verabschiedung an der Tür fragte er mich:

Brauchen Sie Geld?

Ich verneinte, obwohl ich immer Geld brauchte, und fuhr mit seinen Büchern nach Leipzig zurück. Seit dieser Zeit sind wir Freunde. Ich liebe ihn. Ich halte ihn für einen der wahrhaft größten deutschen Dichter, die ich je gelesen habe. Seine Poesie ist rücksichtslos konsequent und von erheblicher Schönheit.
Wie sehr ich mich immer nach seinen Briefen aus Südfrankreich sehnte, nach den verrutschten Buchstaben seiner alten Schreibmaschine, dem bunten Vogel- und Schmetterlingsgetier neben den Sonnen auf Papier. Ja, ich liebe ihn über alle Maßen und wünsche ihm Glück, Liebe, Gesundheit und daß wir für immer befreundet bleiben.

Thomas Kunst

 

SECHSTAUSEND
Encore! Für Christoph Meckel

Es lag gut an den hellen, festen Boden
des Alsterpfads geschmiegt – vieltausend
Füße, Räder, nackte Sohlen achten hier
nicht Ränder, nicht des Grunds, was liegt,
das liegt. Ich hob es auf, das Buch, darin
die Seiten angefüllt mit Schreibmaschinen-
Schrift, Adressen: Namen, Orte, Straßen.
Ich musste die Begier, es näher anzusehen,
aufsparen für Zuhause, nahm Bus und Bahn,
es dauerte die Weile, aber mit dem Buch
wars anders, ich zappelte vor Ungeduld,
Vorfreude, besser so gesagt. Und setzte mich
und schlug es nun im Licht der Lampe auf,
folgte den Zeilen, fing zu zählen an: Das Maß,
schier über alles! Erst am Morgen nach
(nicht übertrieben) einer Nacht der Ernte
traute ich prüfend meinen Augen, flüsterte
dem frühen Morgen zu: Sechstausend.
Doch war die Zahl nur Teil des Wunders.
Keine der Adressen galt für Erdenpost.
Der dies geschrieben hatte, hatte Stadt
und Land, Chaussee und Gasse so erdacht,
dass wir viel schöner als auf Erden wohnten.

Uwe Kolbe

 

HEKATE
für Christoph Meckel

Der helle Hund saß bei uns. Er ging nicht
davon, es wurde Abend, er ging nicht.
Du hattest das Buch auf den Knien,
wir sprachen von Trennung und tranken.
Ein halbes Jahrhundert alt war der Hund
im Buch, der Hunger Koudelkas. Der hier,
der neben uns saß, war wie frisch gebadet,
genährt wie das Land, wo immer wir lebten.
Das farblose Auge, Grau seiner Schnauze,
die Anwesenheit ohne zu warten, sein Sein
grundierte uns so, dass wir sitzen blieben
und tranken. Die Gottheit im Hund wies
nichts, still blieb sie, ihr Sturz, ihre Rolle,
doch saßen wir, tranken und blieben
zusammen.

Uwe Kolbe

 

 

Fakten und Vermutungen zum Poesiealbum + wiederentdeckt +
Interview
50 Jahre 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6

 

 

Zum 70. Geburtstag des Herausgebers:

Jan Wagner: Lob des Spreewals
Der Tagesspiegel, 11.6.2016

Stefan Sprenger: Dass der Mensch der Stil sein möge
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 218, Juni 2016

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + DAS&D +
Übersetzungen 1 & 2 + KLG 1 & 2
Porträtgalerie:  Galerie Foto Gezett + deutsche FOTOTHEK
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Pietraß“.

 

Richard Pietraß liest am 4.5.2018 für planetlyrik.de die 3 Gedichte „Hundewiese“, „Klausur“ und „Amok“.

 

Zu Besuch bei Christoph Meckel

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Thomas Rietzschel: Das Schneetier
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.6.1995

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Hartmut Buchholz: Die Magie der Entstehung eines Gedichts
Badische Zeitung, 12.6.2015

Michael Braun: Meister der Melancholie
Der Tagesspiegel, 12.6.2015

Michael Braun: Schutzengel der Poesie
Park, Heft 68, 12.6.2015

Wulf Segebrecht: Christoph Meckels bildkünstlerisches und literarisches Werk
literaturkritik.de, Juli 2015

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv + Internet Archive +
Kalliope + KLGInterview
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum + Galerie Foto Gezett +
Brigitte Friedrich Autorenfotos + Keystone-SDA
shi 詩 yan 言 kou 口
Nachrufe auf Christoph Meckel: MDR ✝︎ FR ✝︎ Tagesspiegel ✝︎ FAZ ✝︎ SZ ✝︎
RBB ✝︎

 

Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Blauer Meckel“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Christoph Meckel

 

Christoph Meckel berichtet über sich und seine Arbeit, gibt Einblick in seine „Kopfwerkstatt“ und erklärt seine Poetologie.

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