Cornelius Hell: Zu Thomas Bernhards Psalmen 

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Thomas Bernhards Psalmen aus Thomas Bernhard: Auf der Erde und in der Hölle. 

 

 

 

 

„Ich will meinen Kampf beten“ 

– Thomas Bernhards Psalmen. –

Die Gebetswelt, das sind Zustände, die alles falsch wiedergeben.

So lautet einer der Sätze im Roman Frost, mit dem Thomas Bernhard 1963 berühmt wurde. Sechs Jahre davor, 1957, hat er allerdings im Salzburger Otto Müller Verlag den Lyrikband Auf der Erde und in der Hölle veröffentlicht, in dem zahlreiche Gedichte die Form von Gebeten haben. Am bekanntesten davon ist der Zyklus „Neun Psalmen“. Das sind keine untertänigen Anrufungen Gottes, sondern Kampfgebete. „Ich will meinen Kampf beten“, heißt es in Thomas Bernhards erstem Psalm:

Ich will zornig sein,
ich will alles vergessen,
ich will das Maul der Fische vergessen,
denn das Maul der Fische ist finster.
Ich will meinen Kampf beten,
den großen Kampf um meine Seele.
Denn ich bin arm.
In der Nacht bin ich bettelarm.
Alle haben mich vergessen,
aber ich sehe den Tisch
und den Wein, den ich trinken werde.
Es ist der Wein Gottes,
der schwarze Wein für mein rotes Hirn,
den ich trinken werde in der Nacht,
in der Nacht, die meine Füße verbrennt,
die mein Land und die Meere verschüttet,
die Nacht der Betrogenen,
die Nacht der glühenden Apfelbäume,
die Nacht der Brunnen,
die Nacht der Bänkelsänger,
die Nacht, die meine Schlangenköpfe zerstampft,
die Nacht der Gescheiterten,
die Nacht der Fische.
Ich werde ihn trinken.
Ich will ihn zornig trinken
In der Nacht meiner völligen Armut.

In diesem Nacht-Gedicht ringt ein ausgesetztes Ich um seine Anerkennung. Der Wein Gottes erscheint zunächst wie ein Trost, aber auch er ist schwarz wie die Nacht – die Nacht der Betrogenen, die Nacht der Bänkelsänger; eine ambivalente Nacht, aus der ein armes Ich in den Morgen geht und sich seinen Zorn nicht abkaufen lässt.

II
Jeder der neun Psalmen aus Thomas Bernhards erstem Gedichtband Auf der Erde und in der Hölle ist anders. Der zweite führt in eine feindliche Natur, in Gestein und Geröll. Das Ich hört die Wut der Winde, aber seine Augen sind ohnmächtig.

Jede Nacht führt mein Weg in die Schottergrube,
in die Schottergrube meiner Verzweiflungen,
in das Geröll,
in die Bitternis,
die meine Augen ohnmächtig macht.
Ich höre in den Steinen
die Wut der Winde,
die meine armseligen Kinder zerstäubt.
Herr,
mein verwunschener Name,
der verwunschene Name meiner Kinder
stöhnt in den Steinen!
Du aber bist der unaufhörliche Regen der Trauer,
der unaufhörliche Regen der Verlassenheit,
der Regen der Sterne.
Der Regen der Schwachen,
der meine Augen ohnmächtig macht.

Der zweite Teil des Gedichtes ist ein Gebet, ein Aufschrei, der wie in den biblischen Psalmen den Herrn mit der Not konfrontiert. Dieser Gott – oder diese gottähnliche Instanz – ist wie ein Regen, der Trauer und Verlassenheit in sich aufnimmt, aber am Ende die Augen ebenso ohnmächtig macht wie die Bitternis. Der Regen ist göttlich und gleichzeitig naturhaft – der Regen der Sterne. Er hat etwas Tröstliches und macht zugleich blind. Das könnte eine scharfe Religionskritik sein – wäre da nicht die Bitternis, die ebenso blind macht. Dem Ich, dessen Augen ohnmächtig sind, bleibt nur sein scharfes Gehör, das in der Natur feindliche Laute registriert – und den unaufhörlichen Regen. Dass man das horchende und betende Ich nicht mit Thomas Bernhard, dem Autor des Gedichts, identifizieren darf, ist schon dadurch klar, dass dieses Ich hier – wie mehrmals im Zyklus der neun Psalmen – von seinen Kindern spricht.

III
Viele Lyrikerinnen und Lyriker des 20. Jahrhunderts haben Psalm-Gedichte geschrieben. Bei Georg Trakl oder Bertolt Brecht haben sie nicht die Form der Gottes-Anrede. Die neun Psalmen von Thomas Bernhard hingegen sind, wie die biblischen Psalmen, an ein Du gerichtet: zornig aufbegehrend im ersten Psalm, leise sich fügend im zweiten und auf Zukunft gerichtet, ein Versprechen ablegend im dritten:

Was ich tue, ist schlecht getan,
was ich singe, ist schlecht gesungen,
darum hast Du ein Recht
auf meine Hände
und auf meine Stimme.
Ich werde arbeiten nach meinen Kräften.
Ich verspreche Dir die Ernte.
Ich werde singen den Gesang der untergegangenen Völker.
Ich werde mein Volk singen.
Ich werde lieben.
Auch die Verbrecher!
Mit den Verbrechern und mit den Unbeschützten
Werde ich eine neue Heimat gründen –
Trotzdem ist, was ich tue, schlecht getan,
was ich singe, schlecht gesungen.
Darum hast du ein Recht
auf meine Hände
und auf meine Stimme.

Was ich tue, ist schlecht getan – das klingt auf den ersten Blick wie eine Überdosis christlich gefärbter Selbstanklage. Doch das betende Ich hält seine Hände und seine Stimme für so wichtig, dass es dem angesprochenen Du – das Wort „Gott“ fällt nicht – ein Recht darauf einräumt und ihm die Ernte seiner Arbeit verspricht. Dieses Ich steht auf der Seite der Verbrecher und der Unbeschützten und erinnert an die untergegangenen Völker. Das Pathos des Versprechens und der neuen Heimat ist gebrochen durch die Einsicht in die Mängel des eigenen Tuns. Christlich grundierte, aber nicht klischeehafte Hoffnungen klingen an – sympathisch gebrochen durch Selbstkritik.

IV
Die Religionen täuschen darüber weg, daß alles Unsinn ist, heißt es einmal in Thomas Bernhards Debut-Roman Frost. Wenn man seine Gedichte kennt, liest sich der Satz auch wie eine Absage des Autors an seine eigene religiöse Phase. Aber auch seine religiös geprägten Gedichte sind keineswegs konventionell fromm, wie etwa der vierte seiner neun Psalmen zeigt:

Ich werde an den Rand gehen,
an den Rand der Erde
und die Ewigkeit schmecken.
Ich werde die Hände anfüllen mit Erde
und meine Wörter sprechen,
die Wörter, die zu Stein werden auf meiner Zunge,
um Gott wieder aufzubauen,
den großen Gott,
den alleinigen Gott,
den Vater meiner Kinder,
am Rand der Erde,
den uralten Vater,
am Rand der Erde,
im Namen meiner Kinder.

Erde in die Hand nehmen und sie besprechen – hier wird auf die biblische Schöpfungserzählung angespielt; nur ist es der Mensch, der Gott schafft – wie Religionskritiker seit Ludwig Feuerbach immer wieder betonen. Dass das Ich in Bernhards Psalm Gott wiederaufbauen will, hat geradezu etwas Blasphemisches. Und der ursprüngliche Text von Thomas Bernhard war an dieser Stelle noch deutlich radikaler: „Allein werde ich Gott vernichten, um Gott wieder aufzubauen“ hieß es da. Programmatische „Gottesvernichtung“ war vermutlich für den Verlag nicht tragbar. So wurde die Antithese zwischen Vernichtung und Wiederaufbau Gottes zerbrochen.
„Den großen Gott, / den alleinigen Gott“ will das Gedicht wieder aufbauen – traditionelle Attribute christlicher Gebete; aber auch den uralten Vater, und der kommt wohl aus Goethes Gedicht „Grenzen der Menschheit“, das mit den Versen „Wenn der uralte, / Heilige Vater“ beginnt und an dessen Ende die Generationenkette, die Verbindung mit Ahnen und Kindern, als Hoffnung aufleuchtet. Dadurch könnten auch die Kinder in Bernhards Psalm bedingt sein. Die poetische Gegen-Schöpfung geschieht „im Namen meiner Kinder“.

V
Thomas Bernhards Psalmen sind voller Anklänge an die Sprache der Bibel und dennoch nicht epigonal; und das Ich, das in ihnen spricht, hat eine sehr sinnliche Erkenntnis. Will es im vierten Psalm „die Ewigkeit schmecken“, so bittet es im fünften:

laß mich erkennen
und den Geruch des Morgens schmecken
und den Geruch des Abends.

Es geht ihm darum, die Sprache der Natur zu verstehen:

Alle Fische des Meeres
und alle Kinder der Erde
laß mich erkennen
und den Geruch des Morgens schmecken
und den Geruch des Abends.
Ich will die Sprache der Fische hören
und die Sprache des Windes,
die der Sprache der Engel gleicht.
Ich will die Stimme
der Vergängnis hören!
Alle Stimmen sind Stimmen der Vergängnis.
Alle Stimmen, die jemals vernommen wurden.
Alle singen Vergängnis.
Auch Du singst Vergängnis.

Gleich viermal erklingt am Ende des Gedichts das seltene Wort Vergängnis, das in etwa dasselbe bedeutet wie ,Vergänglichkeit‘. Von den Fischen des Meeres über die Kinder der Erde bis zu den Engeln – der ganze Kosmos wird durchmessen –, von überall tönt Vergängnis. Ob das Du, das am Schluss angesprochen wird, hier wirklich Gott meint und ihn einbezieht in die Vergänglichkeit? Auch Du singst Vergängnis – das kann auch auf einen geliebten Menschen zielen. Aber das Fazit ist jedenfalls so einfach wie klar: Allüberall Vergängnis. Doch das ist weder ein kaltes Urteil noch ein Schmerzensschrei, sondern ein Gesang.

VI
Die neun Psalmen in Thomas Bernhards erstem Gedichtband Auf der Erde und in der Hölle sind weder eine bruchlose Fortsetzung der biblischen Psalmen noch ihre Parodie. Stimmung und Sprechhaltung sind in jedem Gedicht spezifisch und anders; und auch die Haltung zur traditionellen christlichen Religiosität ist nicht immer gleich, eher werden verschiedene Perspektiven durchgespielt. Der siebente Psalm des neunteiligen Zyklus redet von Armut und Vollendung:

Könnte ich sagen, was gesagt werden muß,
wie mein Körper zur größten Falle meines Lebens wird,
meine Unschuld zur größten Schuld!
Könnte ich sagen, wer ich bin –
hinter den verlöteten Türen,
hinter meinem stolzen Gedächtnis,
könnte ich sagen, wie der Kampf gegen die Gesetze
(gegen die niedrigen Gesetze)
in mir vor sich geht,
wie das Feuer meines Fleisches meine Seele verbrennt,
könnte ich sagen, was ich zu sagen bestimmt bin,
die Hölle meines Blutes,
die Finsternis meiner Augen,
die Unfruchtbarkeit meiner Lieder,
zu sagen die Armut!
Die große Armut, die mich erniedrigt.
Die große Armut, die mich vollendet.
Die Armut, die mich zerspaltet
für die Vollendung!

Im Ich dieses Gedichtes spielen sich dramatische Kämpfe ab. Von heute aus liest es sich, als hätte Thomas Bernhard hier schon den Kampf gegen seinen kranken Körper vorhergesehen. In den Psalmen hat er einen vielschichtigen Blick auf die Vollendung eines Lebens geworfen.

Cornelius Hell, aus Cornelius Hell: Ohne Lesen wäre das Leben ein Irrtum. Streifzüge durch die Literatur von Meister Eckhart bis Elfriede Gerstl, Sonderzahl, 2019

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