Crauss: Die harte Seite des Himmels

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Crauss: Die harte Seite des Himmels

Crauss/Bauer-Die harte Seite des Himmels

HEMINGWAY ELEGIE

wir doubeln das taumeln
wir doppeln die herbstbegegnung
das heulen der strasse tombakrot
erinnerungsmessung im angesicht
angstschweissüberkreuzter beziehung
zwei paare auf offenem weg

siehst aus wie jemand den ich mal auge
siehst aus wie jemand den ich ganz ohr

alles verzögert von normal slow auf motion
schwelende motti und streicher
nach der fünften kopie (vervielfältigungswerk
der nachmittagsstau verkehrsfunkgewitter
und klitschnasse kinobesucher)
ist ein abspann gewonnen: du
eine effektlose komparsin

 

 

Crauss liest aus Die harte Seite des Himmels in der buchhandlung ocelot, berlin am 2.3.2018

 

Crauss spürt

in seinen Gedichten den Nullpunkten im Alltag nach: Sie werden von einer arabeskenhaften Sprache des Begehrens, des Träumens und der Lust gefüllt. Fließende Rhythmen und barockes Sprachmaterial verleihen seinen Gedichten etwas Schwebendes.
In seinem dritten im Verlagshaus erschienenen Gedichtband folgt Crauss den Piloten der 60er Jahre auf DIE HARTE SEITE DES HIMMELS: Er setzt seine körperlichen, feinen, wie aus Porzellan gegossenen Verse den elementaren Kräften des Fliegens aus. Zwischen den Staubwolken der Rollfelder und der furchtbaren Schönheit von Nachtflügen liegen sehnsuchtsvolle Träume in billigen Hotelzimmern und verwunschenen Buchten. Crauss’ Sprache ist ganz Körper. Sie ist durchzogen von einer sublimen Erotik aus Perlmutt und Ornament. Die fließenden Verse prallen nicht gegen die Härte des Fliegervokabulars, sie zeichnen es weich. DIE HARTE SEITE DES HIMMELS: wechselt von melancholischem Schweifen in rasante Sturzflüge, wendet sich nach innen und vollzieht Schleifen durch die Thermiken der Leser_innen.

Verlagshaus Berlin, Klappentext, 2018

 

„mehr kann man nicht tun“

– Über die neuen Gedichtbände von Crauss, Martin Piekar, Tobias Roth und Mikael Vogel im Verlagshaus Berlin. –

Laut Aussage des Verlegers Jo Frank kommen die diesjährigen Frühjahrsbücher des Verlagshauses Berlin ein Jahr verspätet auf den Markt. Es hat sich gelohnt zu warten, sind doch die vier Autoren dieses zufällig rein männlichen Programms allesamt versierte Lyriker und Performer, teils selber Verleger oder umtriebige Aktivisten und ihre Bücher durchweg gelungene, schön komponierte Werke.

(…)

Und Crauss? Er ist der Liebe gewachsen. Von den diesjährigen Frühjahrsautoren des Verlagshauses Berlin bleibt der „golden boy“ in Die harte Seite des Himmels am ehesten beim Alltäglichen, beim Biographischen, immanent Sprachlichen. Über den titelgebenden Zyklus schrieb er schon vor Jahren in einem Essay, es handle sich um eine „gruppe von piloten- und fliegergedichten, die versuchen, das klischiert heldenhafte der fliegerei der 60er jahre… nachzuzeichnen, zu karikieren und mit motiven des erwachsenwerdens gegenzuschneiden“. Das kann eine Rauheit entfalten, die an Martin Piekar denken lässt: „zum teufel / mit allen frauen“, die den mehr geträumten als realen Edelsteinen – „zwei kisten / aus beute als ladung“ – hinterherhecheln, „zum teufel, / dass sie gefickt werden wollen, bloss weil sie / die klunker nicht wert sind.“ Harte Männer, die irreführende Namen wie „walter faber“ oder „ken kitson“ tragen, „die nicht schlafen oder es nicht können, / halb ausgezogen auf einem hotelbett liegen / und leeren auges den rauch zur decke verfolgen.“ Jungsträume, Hollywood-Klischees, die bei Casablanca oder Der Flug des Phönix beginnen und nicht von ungefähr auf den Helden aus Frischs Homo Faber anspielen. An ganz anderer Stelle wird eine Kindheitserinnerung daraus:

wir waren piloten, wir hatten
schokoladenstaub in der nase.

Wie dieser süßliche Staub scheint immer ein Flugzeug über dem Band zu schweben. Besonders gelungen ist Crauss’ Hommage an de Saint-Exupéry in „nachtflug“: „die frau des funkers und du / bahia blanca sind sie noch da? / mehr kann man nicht tun“, eine Montage wiederkehrender Zeilen, die sich dem Leser in den Kopf hämmern.
Ein anderer Kniff des Bandes ist der Bezug auf Fragmente aus Friederike Mayröckers Brütt, die im Wortsinne als Subtext am unteren Seitenrand nachzulesen sind und lustvoll anverwandelt oder weitergetextet werden: „… und habe die nacht über mayröcker gelegen. / gelesen sollte es lauten; und leiser: zwei bücher, nein eins bloss / in meinem schlaflebenregal“, wie es etwa in „stehe mit offenem mantel“ heißt. Das Wort „Brütt“ kommt dabei immer wieder vor, als „brütt süssholz“, „geburtstagsbrütt“, „bruttalvermerk“ oder „bruttwaldbach“: „hingeworfen in diese landschaft sind wir“ – ein Zitat der Mayröcker, das Crauss als bekennender Siegerländer in einer „sehnsucht nach gegend“ weiterdenkt:

aber wir frieden uns ein

Aus der Denkbewegung er – gibt sich die Positionierung des Dichters: „das müsste mit einer musik aus dem alten europa / beginnen und enden“, heißt es in „klein jerusalem“, „das müsste wo sein, wo man allein ist / nicht einsam, es müsste aber es ist / meine stadt, / mein zuhause“.
Den Texten merkt man den Performer an. Sie haben Power, sind stets bereit, eine andere Richtung einzuschlagen, immer latent erotisch. Von den vier Dichtern scheint Crauss auf der Suche nach einer Sprache der Liebe am weitesten vorgedrungen zu sein, wie etwa in „akte II“, einer mitreißenden Collage aus Liebesschwüren und -verwünschungen, die, wie der „Flugschreiber“-Anhang informiert, mehrfach, auch von anderen Dichtern neuarrangiert wurden: „ich werde dort sein“, „ich werde in ostia sein“, schließlich:

ich werde dich erwarten dort, ich muss
zurückgehen um abschied zu nehmen
wie solln wir es nennen

Im Gedicht mit dem Mayröcker-Titel „der eleve vom flughafen“ wird „sein hinreissend / blasses gesicht“, evoziert, „du siehst wie die mayröcker aus / seine lippen gerissen zum küssen“. Kann man ahnen, was der Dichter mit seinem Leser vorhat? Über die Genese der beiden ebenfalls im Band abgedruckten Gedichte „august und acker“ und „volle blüte“ hat Crauss im bereits erwähnten Essay geschrieben:

dichten bedeutet… eine verschwommene vorstellung von etwas, das sich eigentlich nicht in worte fassen lässt, so zu komprimieren, dass aus dem unartikulierten etwas vermittelbares scheint.

Mehr kann man nicht tun.

Patrick Wilden, Ostragehege, Heft 89, 8.9.2018

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Matthias Fallenstein: Es muss klingen.
fixpoetry.com, 16.2.2019

Konstantin Ames: Seelisches Schreiben
literaturkritik.de, März 2019

Timo Brandt: Welch lebensnahes Zerwürfnis mit den Wirklichkeiten
signaturen-magazin.de

 

 

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