10. August

… trotz dezidierter Totsagung hat der Autor bis heute nicht nur überlebt, er scheint seine Position als Autorität sogar gestärkt zu haben. Für Bücher wird grundsätzlich mit dem Image des Verfassers, der Verfasserin geworben, beim Klagenfurter Lesewettbewerb stellt man die konkurrierenden Autoren mit eigens verfilmten Homestories vor – der Schreibende kommt vor dem Geschriebenen … das Geschriebene bleibt an eine konkret fassbare auktoriale Instanz gebunden. Die Aufwertung des Autors als Person steht in eklatantem Gegensatz zu den neuerdings am PC praktizierten Schreibverfahren, die weit weniger auf Individualität, Originalität, Unverwechselbarkeit usf. angelegt sind als auf einen literarischen Synkretismus, bei dem die Aneignung von Fremdtexten Priorität hat – der auktorial geprägte Personalstil wird zunehmend verdrängt durch einen unpersönlichen Epochenstil. – Aus Frankfurt hatte sich gestern Martin Zingg zu einem kurzfristigen Besuch angekündigt; heute – zurück in Basel – muss er absagen wegen einer »drohenden« Erkältung, die er sich »vermutlich« im Durchzug einer Kneipe unweit der Messe zugezogen hat. Nun will er »halt später mal« kommen. Schade. Es ist die fünfte oder sechste Verabredung mit M. Z., die misslingt. Schon zu unsrer gemeinsamen Zeit in Basel – Gymnasium, Studium – haben wir uns unentwegt verpasst; soweit ich mich erinnere, ist es in all jenen Jahren zu keiner einzigen Begegnung gekommen, obwohl wir jahrelang gleichzeitig für die lokale Tageszeitung und für das Radiostudio gearbeitet haben. Auch bei unsern bevorzugten Buchhandlungen (Werthmüller) und Antiquariaten (Koechlin, Erasmushaus) hätten wir einander, wenigstens aus Zufall, treffen können. Es kam nie dazu. Diese letztlich uninteressante Erfahrung macht immerhin deutlich, dass der Zufall nicht immer zuschlagen und eintreffen muss – er kann ebenso gut ausbleiben, nur spricht man dann nicht von einem »verpassten« Zufall; doch was ist das für ein Phänomen – der nicht stattfindende, nie zum Ereignis werdende Zufall, der als pure Möglichkeit an einem vorübergeht … den man unentwegt verpasst? – Ein US-Veteran aus Afghanistan, der im Gebirgskampf gegen die Taliban mehrfach knapp dem Tod entkam, wird in seinem Garten irgendwo in der texanischen Provinz von einer herabstürzenden Spielzeugdrohne getroffen und stirbt noch vor seiner Einlieferung ins Spital – Triumph oder Verhöhnung des Schicksals? Zufall oder Fingerzeig? Und wem soll’s eine Lehre sein? Schwer zu sagen. Kaum zu entscheiden – darf ich darüber lachen, muss ich mich über soviel Tragikomik empören oder soll ich einfach resignieren ob der Stillosigkeit derartiger Treffer? – Ich erinnere mich: Vor Zeiten, als die Buchbesprechung noch eine ernst zu nehmende Textsorte war, konnte man sich … konnte ich mich fast durchweg auf die Argumente und Qualitätsurteile der Rezensenten verlassen. Besorgte ich mir ein empfohlenes Buch, entsprach es in aller Regel auch meinen Erwartungen oder Ansprüchen. Rezensenten galten damals noch als Experten, Besprechungen wurden – als Zeitungsausschnitte – in den Buchhandlungen ausgehängt, waren sie positiv, wirkte sich dies merklich auf den Verkauf aus. Heute (nein, seit längerem schon) ist es, zumindest in meiner Wahrnehmung, umgekehrt. Als positiv gilt heute nicht mehr die sachbezogen argumentierende Rezension, sondern die hochgemute Kundgabe persönlicher Emotionen und möglichst unreflektierter Meinungen. Gut ist nicht, was gut gedacht und gut gemacht ist, gut ist, was frappiert und amüsiert, was anrührt oder, besser noch, was erschüttert. Dennoch greife ich immer mal wieder, angeregt durch eine solcherart enthusiastische Besprechung, nach einer Neuerscheinung, die mir sonst womöglich entgangen wäre. Und stelle fest, dass die hochgelobten Titel so gut wie ausnahmslos im Mittelmass befangen bleiben; dass sie bestenfalls ausserliterarische Interessen bedienen, in künstlerischer Hinsicht aber kaum etwas taugen. Eine zweite Feststellung (die ich mit Verlegern und Buchhändlerinnen teile) ist die, dass sich Rezensionen nicht mehr – wie noch im späten 20. Jahrhundert – merklich auf den Bücherverkauf auswirken, gleichgültig, ob sie positiv oder negativ ausfallen. Die Buchbesprechung scheint sich von ihrem Gegenstand, dem Buch eben, weitgehend abgelöst zu haben und wird wohl deshalb in erster Linie als private Meinungsäusserung à propos wahrgenommen – der Rezensent findet mehr Beachtung als der rezensierte Autor, die Rezension bleibt meist auf eine launig kommentierte Inhaltsangabe beschränkt und erweist sich letztlich als ein Plaudertext ohne erkennbare Verbindlichkeit.

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