16. März

Bei einem Kolloquium in Aix-en-Provence hatte ich mir 1983 (oder 1984?) die folgenden Sätze aus einem Kurzreferat von Edmond Jabès notiert: »Das Kind erfindet ein Wort, und das Wort ist erfunden, das Kind bringt’s zum Totaleinsatz (il l’investit totalement). Es macht daraus ein einziges Wort (mot unique), das alles bezeichnet. Derweil wir, wenn wir sprechen, immer gleichzeitig eine Sache bezeichnen, wir reden von einem Tisch, und einzig der Tisch wird damit bezeichnet, alles dreht sich um den Tisch. Das Kind wiederum versucht alles zu sagen mit einigen wenigen Lauten.« Das war sicherlich auch pro domo gesprochen und als poetologische Grundsatzerklärung gemeint. Jedenfalls sind Jabès’ Texte – die Prosa weit mehr als die Gedichte – von solch kindlichem Spracheinsatz geprägt, der sich bis zum abgründigen Widersinn steigern kann und dabei doch ganz ans Wort, an den Buchstaben … an den einzelnen Laut gebunden bleibt. Dann kann … dann soll der Eine (l’un) gleichzeitig keiner sein (nul), das Geschriebene (écrit) steht gleichzeitig für das Berichtete, das Erzählte (récit), und Gott (dieu) ist ein Wesen aus lauter Augen und Blicken (d’yeux). Da … so übersteigt die Poesie jeglichen Realismus und wird, als Sprache, real. – Auf Einladung von Kurt Neumann verbringe ich ein paar Tage in Wien, absolviere im Literarischen Quartier der Alten Schmiede eine mehrteilige Veranstaltung, assistiert von Erich Klein und Benedikt von Ledebur. Dazu gehören Lesungen aus ›Alias oder Das wahre Leben‹ und ›Steinlese‹, die Präsentation der Anthologie ›Als Gruß zu lesen‹, das Referat ›Immer wahr der Klang‹ und ein sogenanntes Konversatorium als öffentliche Schlussdiskussion. Ich freue mich über die Präsenz mancher Kolleginnen und Kollegen, über die spürbare Aufmerksamkeit des spärlichen Publikums, meine auch, dass ich dessen Erwartungen einigermaßen erfüllen konnte. – Manches lässt darauf schließen, dass ursprüngliche Rede poetische Rede ist; dass erstes Reden also nicht diskursiv auf Verständigung und Bestätigung angelegt ist, sondern als Ruf, Anruf, Aufruf, Warnung, Drohung, Lockung, Dank, Gebet ergeht; dass mithin poetisches Reden aller Prosa vorausgeht und …

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