16. Oktober

Fortdauer des gewaltigen … des ungeheuer sanften Nachsommers; abends zur Suppe mit Silbers, Selliers, Himmelsbachs im Arc. Vom Fenster aus, mit Blick in den Hof des Priorats, beobachten wir, wie der Mensch flugs eintrifft und antritt … wie er sofort zu kultivieren und zu pfropfen beginnt, wie er sich einrichtet, wie er begradigt, anbaut, ausbaut, ausbeutet – das Schaffen als Vernichtungswerk; der Mensch als Trojaner, Virenträger, Unheilbringer. Aber das war denn doch nur eine kurze Vorstellung, eine Parade zwischen Suppe und Dessert. Danach – wieder zu Hause – noch für ein paar Druckseiten bei Henri Thomas ›La défeuillée‹ (Die Entlaubte), starker Text, imprägniert von sprachlichem und intellektuellem Eigensinn, unwirsch bis zur Ruppigkeit; mich erinnert diese Prosa, die so offenkundig nicht gefallen will, an Georges Perros, nur dass ihr dessen melancholische Grundierung abgeht. Thomas ist ein fast schon vergessener Autor, dem es auch – weiterhin – literaturgeschichtlich an Präsenz und Akzeptanz fehlt, zu Unrecht, hinter einem Modiano, einem Michon steht er jedenfalls nicht zurück, und mit dem geheimnisvollen »M. Blecher« könnte er verwandt sein. – Beim Frühstück auf dem Knie notiert: Die einzigen, zu denen ich nicht gehöre, sind alle andern. – Die ganze Zeit ist vorbei, und niemand weiß, wie viel Uhr es ist. – Schon im Mutterleib denken wir mit dem Knie nur an das eine – das Kinn. – Wenn ich von diesem oder jenem Zeitgenossen enttäuscht bin, so deshalb, weil ich ihn vorbehaltlos ernst nehme, verkennend, dass eigentlich niemand ernst genommen werden will – zu anstrengend, zu anspruchsvoll; ich erwarte von allen andern ja nur, dass sie – als Minimalprogramm – das tun, was sie können, und das ist in aller Regel weit mehr, als was sie zu erkennen geben. Oder täusche ich mich da? Und bin deshalb so oft enttäuscht! – Romainmôtier ist neuerdings mit neuen Hausnummern ausgestattet, blau eingebrannt auf weißem blattförmigem Steingut mit leicht erhabenem Rand – Kitsch, von der Kommune angeordnet mit der unverblümten Warnung des Bürgermeisters, dass jede Beschädigung oder gar Entfernung der Nummern strafrechtlich verfolgt werde. Merkwürdig nur, dass ich offenbar der einzige Hiesige bin, dem man keine derartige Nummer verpasst hat – es müsste die 2 sein. Dennoch wurde mein altes Schild demontiert, und ich merke schon, dass ich ohne Nummer nicht mehr ganz dazugehöre; aber ich komme ganz gut zurecht in der so entstandenen Nullposition. – Man reicht mir aus dem Off ein Tabloid, auf dessen Touchscreen elf schwarze quadratische Sensoren zur Verfügung stehen, von denen jeder den Zugang zu einem Traum eröffnet – ich soll also selbst wählen, was ich träumen will, ohne zu wissen, was der jeweilige Traum bringen wird. Merkwürdige Traumvorgabe im Traum! Multioptionalität mit »Option« und »Multi«, doch wohl keine echte Wahl, da hier ja nur zwischen Unbekanntem gewählt werden kann. Die Wahlmöglichkeit soll wohl den Zufall kaschieren. – Jeder Superlativ klingt pathetisch und ist eigentlich eine Zumutung. Doch heute kann ich …

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