2. April

meine Nutte mach ich zu einer toskanischen Gräfin.« Michael Klett – wie er beim Verlagsbankett im Hessischen Hof kleinlaut gesteht: »Wir haben das Preußenjahr verpasst. Das wird uns Herr Koselleck nie verzeihen.« Bazon Brock – wie er seinen gestiefelten Fuß auf den Säulenstumpf hebt, sich mit dem Ellenbogen aufs Knie, mit dem Kinn auf die Faust stützt und in die Runde dröhnt: »Das, ihr Hergelaufenen, ist Gott.« Monique Schwitter – wie sie, endlos traurig, von unten herauf sagt: »Man macht, was man kann.« Michael Krüger – wie er mir die Ablehnung meines Manuskripts plausibel zu machen versucht mit dem schnaubenden Hinweis: »Ich bin nun mal ein Publikumsverlag – entweder liegt dein Buch bei Hugendubel und bei der Rachel auf dem Stapel neben der Kasse oder es kann kein Hanserbuch sein.« Pierre-Alain Clavien – wie er mich angrinst, als ich ihm mit einem heftigen Händedruck für seine (also meine) wunderschönen Operationsnarben danke. Freddy Lutz – wie er beim Teigwalken in der Früh mit dem Kinn zum rötlich sich einfärbenden Himmel weist und völlig ironiefrei feststellt: »Das Schönste am Bäckerberuf ist die Rosenfingrige.« Denise Zimmermann – wie sie, bald fünfundneunzigjährig, über »all diese alten Leute« lästert, »die sich gehen lassen, bis sie nicht mehr wissen, warum und wozu sie wer sind«. Pavel Kohout – wie er sich vom Kopfende meines Spitalbetts unerwartet über mich beugt und mir (»mitten in der Pestzeit«) einen schönen Gruß von Jelena zuflüstert. Paul Wühr – wie er, absolut nüchtern, auf Lautstärke 23 eine Orgeltoccata von Max Reger abspielt und auf dem fadenscheinigen Teppich ein paar Mal (als wollte er tanzen) dazu aufstampft mit dem Ruf: »Wär der Papst ich! Wär der Papst ich!« Cees Noteboom – wie er im Solothurner Museumsgarten, mit leicht angehobenen Armen elegant balancierend, über den Randstein des Teichs tänzelt; und wie er, als ich ihn grüße, prompt antwortet: »Ich bin ein Soloturner.« Emmanuel Levinas – wie er mich prüfend, doch sichtlich desinteressiert mustert und zu seinen russischen Lektüren nur kurz sagen mag: »Ja doch. Puschkin und Lermontow. Ja. Dostojewskij und die Achmatowa. Ja, das alles kenne ich seit meiner Jugend im Originaltext.« Und wie er dann recht prosaisch ein paar Verse von Michail Lermontow rezitiert, seinem Lieblingsdichter. Gerhard Schröder – wie er, flankiert von Günter Grass und Franziska von Almsick, seine Zigarre ansteckt und durch die flüchtige Rauchfahne hindurch mit dem noch brennenden Streichholz auf seinen politischen Gegner zeigt. Joseph Brodsky – wie er bei Bindella, zwischen Georges Nivat und Eleonore Frey sitzend, in der linken Hand sein Mistkratzerli hält, in der rechten seine Zigarette und abwechselnd kaut und inhaliert, hin und wieder an seinem kalten Espresso nippt, schließlich die x-te Zigarette im Teller mit den Knochenresten ausdrückt, wobei er ein paarmal hintereinander, als wollte … als müsste er sich Mut machen, in seine vor dem Mund geballte Faust murmelt: »Miau! miau! miii…« Peter von Matt – wie er vor großem Publikum (»Kulturzeit«, 3sat) wortreich dartut, was Liebe ist … was Liebe in der Literatur ist: »Das brodelt … das schäumt … das kocht hoch … das macht … das ist … das hat … das ist eben schwer zu beschreiben.« E. M. Cioran – wie er mich durch den Korridor seiner finstern Mansarde an Bücher- und Zeitungsstapeln vorbei in die winzige Wohnküche führt … vorbei an einer schweren, reglos im Türrahmen verharrenden Frau, der er kurz zunickt, während er gleichzeitig mit gerecktem Finger auf seinen halb geöffneten Mund zeigt: »Bald gibt’s was zu essen.« Alex Silber – wie er halb beleidigt, halb belustigt auf meinen eben erschienenen Roman zeigt: »Aber hör mal, Alias, das ist mein Thema, das war schon immer mein Thema, das ist doch mein Name, das bin doch ich. Was willst du damit eigentlich sagen?« Felix Philipp Ingold – wie er mal wieder (diesmal im Hôtel Saint-Simon) im Spiegel steht und sich, mit dem unausgepackten Koffer bei Fuß, eher unwahrscheinlich vorkommt: »Ich? Hic?« H. C. Artmann – wie er bei meiner Lesung in Lana, unmittelbar vorm Podium sitzend, seinem Nachbarn zuflüstert: »Der tickt ja aber wie ein jurassischer Uhrmacher!« Christian von Üetz – wie er in der Badeanstalt am Letten mit nacktem Oberkörper vor Marica Bodrožić auf den Planken kniet und ihr (noch ein Liebesbeweis!) auswendig einen langen Passus aus ›Sein und Zeit‹ vorträgt. Elke Erb – wie sie mir in der Eisdiele am Alten Markt durch die Blume gesteht, sie habe mich auf einem (»auf irgendeinem«) Gemälde von Poussin entdeckt und sei nun doch sehr enttäuscht von meiner Falschheit. Res Ingold – wie er bei der Jahrespressekonferenz die Firmenphilosophie seiner Airline zusammenfasst: »Man fliegt ja nicht nur, weil man keine Lust dazu hat, sondern durchaus auch deshalb, weil man ebenso gut nicht fliegen könnte.« Christiaan Lucas Hart Nibbrig – wie er mir beim Stehapero nach seiner Abschiedsparty mit bekenntnishaftem Ernst zuflüstert: »Aber sterben möchte ich nachgerade schon, wie ich’s gewohnt bin.« Manfred Papst – wie er sich in der vollbesetzten Straßenbahn mit erhobenen Armen zum Ausgang durcharbeitet und leise vor sich hin zischt: »Ich muss hier raus. Eigentlich bin ich ja Orientalist. Rauslassen. Bitte.« Engeler Editor – wie er einem Junglyriker mit einer raschen Kopfwendung seinen Unseldnacken zeigt und ihm zu verstehen gibt: »Mit mir nicht!« Annelies Štrba – wie sie mir («aus der Sicht einer Fotografin«) liebevoll vorwirft, ich gliche am wenigsten mir selbst: »Du gleichst ja überhaupt keinem.« Alain Claude Sulzer – wie er sich das Haar vom Scheitel her in die Stirn streicht und, dennoch geblendet vom Scheinwerferlicht, durch die schwarze Strähne suchend ins Publikum schaut, bevor er mit seiner Lesung beginnt. Paulina Wogau – wie sie meine so oft wiederholte Bitte um Nachsicht zum x-ten Mal mit eifrigem Kopfnicken zurückweist.

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