2. Februar

Um halb sieben in der Früh sind die hiesigen Tageszeitungen da, die Lektüre – alle Rubriken zwischen Titelseite und Börse und Sport gehören dazu – verbinde ich meist mit dem Frühstück und mit dem musikalischen Frühprogramm von Espace 2. Beschallung aus dem Hintergrund? Anregende Begleitmusik? Dass bildende Künstler – Maler, Zeichner, Plastiker – beim Arbeiten im Atelier oft Musik hören und sich bei ihrer Arbeit direkt darauf einstellen … sich direkt davon inspirieren und leiten lassen können, hat mich schon immer ein bisschen neidisch gemacht. Die Vorstellung, bei laufender Musik einen Text abzufassen, kommt mir abstrus vor, empfinde ich nicht nur als fahrlässig, sondern als unzumutbar. Musikbegleitung würde mich beim Schreiben taub machen für den ganz anders gearteten Sprachklang, den Satz- oder Versrhythmus, der seine eigene … der doch eine ganz andere Quelle hat als instrumental erzeugte Melodien. Nun stelle ich aber seit kurzem fest, dass mich Musikbegleitung zumindest beim Übersetzen … dass mich Musik beim Nachdichten zu beschwingen, zu beatmen vermag. Ich habe heute – erster Versuch dieser Art – ein erotisches Gedicht von Iwan Barkow ins Deutsche gebracht. Geht doch! – Ich erinnere mich an einen Besuch mit meiner Primarschulklasse in einem sogenannten Fischergalgen am Kleinbasler Rheinufer. Der würfelförmige Holzverschlag mit einer Grundfläche von vielleicht fünf mal fünf Metern steht auf vier Metallstelzen überm Wasser und ist mit einem Kranarm versehen, an dem ein quadratisches, sehr flaches Netz hängt. Dieses straff gespannte Netz lässt der Fischer mit einer großen Kurbelwinde senkrecht in die Uferströmung hinab, und jedes Mal, wenn er es nach einer Weile wieder hochzieht, sehen wir in den triefenden Maschen die Fische zappeln, sehen, wie sie springen, hochschnellen, nach Luft schnappen. Einige der Fische schlagen so wild um sich, dass sie gerade noch rechtzeitig über den Netzrand wieder ins Wasser platschen. Das Netz mit dem Fang wird dann mit der Kurbel bis auf Kniehöhe hochgezogen und der Kranarm zum Ufer geschwenkt. Der Fischer geht zum Wasser hinunter, watet mit seinen kniehohen Stiefeln ein paar Schritte in die Uferströmung und klaubt die halbtoten Tiere aus dem Netz, um sie in den bereitgestellten Kübel zu werfen. Das Spektakel widert mich an – widerlich ist mir der leutselige Fischer, den ich als zynischen Killer wahrnehme, widerlich die Technik dieser Fangmaschine, widerlich die in klatschenden Klüngeln sich windenden Fische, widerlich der rostige Kübel, in dem sie langsam verenden. – Auf dem Rückweg im Bus erfahre ich unerwartet, dass ich der Preisträger bin … bin einer von mehreren Preisträgern und werde nun gleich zusammen mit Alain Claude Sulzer und Peter Waterhouse zum Podium geführt, auf dem die Kulissen einer spießigen Wohnung aufgebaut sind. Ich sitze auf dem Sofa, links und rechts von mir die Kollegen. In Kürze wird die Verleihung der Preise stattfinden, aber ich habe keine Ahnung, wofür ich ausgezeichnet werden sollte … wofür ich ausgezeichnet werden könnte, habe keine Ahnung, was ich sagen müsste, falls ich den Preis zu tragen bekäme. Bin erleichtert, dass es hier keine Mikrofone gibt, dass man mich also ohnehin nicht verstehen würde. Ich möchte diskret verschwinden, ziehe mich unterm Vorwand, ein Medikament einnehmen zu müssen zurück, suche meinen Pavillon in Hotelnähe auf, um an meiner alten Hermes Baby weiterzuklappern, bringe allerdings überhaupt nichts zustande. Unauffällig geh ich zum Festsaal zurück, schiebe den schweren Vorhang ein wenig zur Seite, sehe grade noch, wie meine ausgezeichneten Kollegen den Juryvorsitzenden über Bord werfen. Der gibt – nun schon hinter den Kulissen – bloß noch einen schwachen Hilferuf und ein paar Spritzer zum Besten.

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