27. August

Der Sommer steigert sich zu seinem Ende hin, seit Wochen bringt er die Hitze täglich auf fast dreißig Grad, die wabernde Luft steht fast unbewegt in den Lichtungen, ist befrachtet mit dem würzigen Duft von Kräutern, Wachs, geschlagenem Holz und dem Abgas der Forstfahrzeuge. Die sogenannte Erderwärmung wird in diesem überhitzten Monat deutlich wahrnehmbar, ist mir aber weniger der Wärme wegen unangenehm als wegen der brutalen Helligkeit, die sich als milchiger Schein mehr und mehr ausbreitet und nur noch graue konturlose Schatten aufkommen lässt. Krisen-, Katastrophenlicht! So stelle ich mir den Lichtschein nach der atomaren Verheerung der Erde vor oder … oder nach dem Eintreffen des nächsten gewaltigen Meteoriten. – Einer der gängigsten, zugleich aber stärksten Sprüche ist der von der Hitze und vom Wissen: Was ich nicht weiß, macht mir (oder mich?) nicht heiß. Abgesehen von der rhythmischen und klanglichen Stringenz des Satzes (der auch ein Vers sein könnte) wird hier eine alltägliche, doch weit über den Tag hinaus wirkende Erfahrung benannt, die jeder kennt und keiner ändern kann – solang ich vom anrückenden Gegner, vom morgigen Schneesturm, von meiner künftigen Entlassung, von der rasch um sich greifenden Seuche, von den Machenschaften und Erfolgen meiner Konkurrenten, vom Losglück des verhassten Nachbarn, von meiner tödlichen Krankheit, von meinem größten Glück und überhaupt von der verborgenen Wahrheit nichts weiß, kann mir alles gleichgültig sein und – ist es ja auch. Neid, Furcht, Triumph, Skepsis, Schadenfreude, Rachegefühle treten nur … treten erst im Wissen um die Gründe und Hintergründe auf, von denen dieses oder jenes Ereignis tatsächlich, vielleicht auch bloß vermeintlich bestimmt ist. Ohne solches Wissen hätten die meisten, vor allem die schlechten Gefühle keine Nahrung. Was ebenso logisch wie natürlich ist. Dennoch ist neugieriges Wissenwollen – nicht anders als gieriges Habenwollen – bei allen Völkern und in allen Epochen gang und gäbe. Und heute, da man so gut wie alles eruieren und wissen kann, gehört’s zur tristen Normalität. – Uwe Wirth schickt mir sein Sammelwerk über Impfen, Pfropfen, Transplantieren; ich gewinne daraus zusätzliche, zum Teil neue Anregungen zur Frage nach dem Autor: Um zu pfropfen (um Neues zu generieren), muss viel vom Alten, Gewachsenen, Bewährten eliminiert werden. Autorschaft ist nicht nur Mehrung, sondern auch – und noch viel mehr – Minderung, Ausschließung, Spezialisierung. Vorbilder, Vorgaben, Einflüsse, allgemein auch Traditionen und Trends müssen begradigt, bisweilen auch abgebrochen werden, damit sich Anderes … damit sich Neues entfalten kann. – Nach langer Zeit hat sich nun doch wieder ein Gedicht ergeben. Nichts geht mir, in literarischen Dingen, über das Gedicht. Zum Gedicht kann ich als Autor sicherlich am meisten beitragen … am meisten von meinem Eigentlichen. Authentischer und vernehmlicher als im Gedicht komme ich nicht zum Reden; so tolle ich und lege: Gîmel. – Mach Mehl aus Lehm und
aaaaaoder umgekehrt. Es ist
aaaaaein Walken und ein Bröseln. Löst auf
aaaaawas sich von selbst versteht.
aaaaaErwischt schön kalt was vorlaut schmatzt.
aaaaaVerfehlt den Zwist der zwischen
aaaaaSchen und Men halt ist.

Bêth. – Dies ist der bessere Beginn.
aaaaaZwar gibt’s die Schleifspur
aaaaaschon. Doch sie ist fast wie neu
aaaaaund führt. Und führt wohin kein Hiesiger
aaaaaje will. Je weiß. Und viel
aaaaazu weit bis. Bis der erste Schmerz
aaaaaverlernt wär und das letzte
aaaaaLächeln leicht genug.

Aleph. – Noch besser mit dem Fehler
aaaaaanzufangen. Das Ende nie
aaaaanicht zuerst. So steht das Falsche schon immer
aaaaaund will nur Entstehung. Will
aaaaaBlüte und Duft. Will Frucht. Furchtbarer noch
aaaaaist aber (denen die’s wissen)
aaaaadas Wahre. Dass keine Reife rund
aaaaagelingt. Auch die äußerste
aaaaaSüße – ob Liebesschwur ob Nachtmusik –
aaaaareicht nicht ans Kluge. So bleibt’s
aaaaabeim Betrug. Weit gefehlt
aaaaawas stimmt und endlich gilt’s. – Je mehr ich gelesen habe … je mehr ich an Gelesenem habe, desto klarer wird mir, dass ich nicht auch noch schreiben müsste; aber weiterschreiben schon.

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