31. März

Im Kalender fehlt ein dreizehnter Monat – der Märzember. Tatsächlich hat sich der März bisher durchweg in novemberlicher … in dezemberlicher Aufmachung gezeigt. Heute hängt eine Witterung über der Gegend, die eher an einen Dezember-, einen Novembertag als an diesen letzten Märztag gemahnt. Ein kalt frotzelnder Landregen hält sich seit zwölf Stunden bei einer Temperatur von knapp über Null Grad, die nächtliche Finsternis ist auch jetzt, um Mittag, noch nicht ganz abgezogen, der filzgraue Himmel liegt wie feuchtes Füllmaterial zwischen den Hügeln von Envy und Moiry – sieht ganz so aus, als würde sich daran nie wieder etwas ändern. – Bin eben dabei, mich via Internet über einen TV-Beitrag auf 3sat genauer zu informieren, stoße dabei auf das Dossier der Zuschauerkommentare, klicke mich ein, scrolle mich durch, bin erstaunt … bin erschüttert von der Hemmungslosigkeit, mit der hier unbedarfte Geschmacksurteile, perverse Bedürfnisse, niedrigste Häme dutzendfach vorgetragen werden. Zur jeweiligen Sache, um die es in dieser oder jener Sendung gegangen sein mag, lässt sich kaum jemand vernehmen, um so mehr sind offenbar Moderatoren, Ansager, Interviewer – vor allem die weiblichen – Gegenstand breiterer Aufmerksamkeit. Kommentiert werden Lidschatten, Muttermale, Körbchengrößen, Stimmhöhe, Aussprache, Lachfältchen, Schläfenrunzeln, Frisuren, Krawatten, Schweißperlen, Hals- oder Armschmuck usf., meist mit obszönem, oft auch allgemein verächtlichem Unterton oder gar mit der expliziten Anmaßung, die eine oder andere Moderatorin flachlegen oder sie wenigstens in scharfen Dessous sehen zu wollen, den einen oder andern Ansager auf dem Mond aussetzen zu wollen und ihn dort »vor Null Publikum weiterschnorren« zu lassen. Mir ist schon klar, dass es sich bei denen, die sich hinsetzen und solchen Stuss in die Tastatur tippen, um eine kleine Minderheit handelt, klar aber auch, dass diese Minderheit für eine Mehrheit steht, die auf vergleichbarem Niveau empfindet, sich ausspricht und wohl auch handelt. Ich weiß nicht recht, warum ich auf menschenverachtende Anwürfe und Querelen dieser Art besonders unwillig reagiere, aber der ganze anonym abgesonderte Dreck, der in solchen Kommentaren verbreitet wird, ist für mich so etwas wie die komprimierte Volksmeinung … ist Beleg dafür, was und wie »der Mensch« in unsern Breiten heute mehrheitlich gestimmt und veranlagt ist. Und eben dieser Mensch ist in den zeitgenössischen Demokratien, wo immer auf der Welt, an der Macht – er hält die Diktatur der Mehrheit aufrecht, an ihm, der das umworbene Elektorat vertritt, orientieren sich Wirtschaft und Politik. Für mich ist das eine sublimierte Erscheinungsform des Faschismus: Bündelung der mehrheitlichen Meinung, der mehrheitlichen Bedürfnisse, der mehrheitlichen Vorurteile und Animositäten im Interesse der Machtergreifung des kollektiven Spießers. Bruder Cham ist da.

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