6. April

Alles ist besser jetzt … alles scheint ein wenig besser zu sein – es gibt (gefühlt) noch mehr Frühling, mehr Luft, mehr Raum. Gestern beim Konzert mit Patrick Montan im Arc. Totentänze englischer Komponisten aus dem Kreis um John Bull, leidlich »virtuos« vorgetragen auf einem Muselaar und einem Spinett. Neben mir Krys, die schwer hustet und immer wieder zur Musik nickt, nicht weil sie mitgeht, sondern weil diese Musik nie nicht eintreten lässt, was zu erwarten ist. Schräg vor mir ein riesiger Mensch, der schwer … der schräg im Stuhl hängt, die Arme nach hinten über die Lehne gespreizt; auf dem Kopf trägt er einen zerbeulten Filz, er hört mit geschlossenen Augen reglos zu, in seinem halboffenen Mund schimmern ein paar zusammengewürfelte braune Zähne. Die Musik bleibt flach, ist eher unterhaltsam denn besinnlich, dem Tanz der Toten jedenfalls nicht angepasst – man könnte sich diese Stücke auch als Hintergrundmusik in einem Supermarkt vorstellen. Seichte Musik enerviert mich genau so wie seichte Literatur und flache Malerei. Wieso eigentlich? Warum sollte Mediokrität – mithin das Normale, das Mehrheitliche – aufregend sein? Ja! Warum? Ich weiß es nicht, weiß nur, das es bei mir so ist. Meine Aufregung bei Gesualdo, bei Schütz ist eine ganz andre! – Vorabdruck aus dem dritten Tagebuch von Max Frisch in der NZZ. In einem seiner Notate hält er fest, man könne … man solle nicht mehr für später schreiben, denn nichts von unsern Texten werde uns selbst überdauern. Literatur sei bloß noch »ein Gespräch unter Zeitgenossen«, und dafür (füge ich hinzu) sind das Smartphone und das E-Book die adäquaten Medien. – Wie nicht reden? Wie nicht schweigen? Verschweigen ist beides – man schweigt über etwas, indem man »mit andern Worten« darüber redet. Eine Rede verdrängt somit eine andere, wobei die verdrängte Rede die eigentliche, die relevante Aussage ist und die verdrängende – die beliebige, die angepasste. Für die Rhetorik des Verschweigens gibt es einen weitläufigen Anwendungsbereich; sie ist unerlässlich für den Verschwörer, den Verräter, den Schmeichler, den Lügner, den Diplomaten, auch für den Despoten und den Dichter. – Als kritischer Beobachter der nationalsozialistischen, durch Zensur und Propaganda geprägten Medienpolitik ließ der aus Deutschland stammende Politologe Leo Strauss 1941 in New York einen Aufsatz über ›Verfolgung und die Kunst des Schreibens‹ erscheinen, der damals wie eine aktuelle Gebrauchsanleitung zu rhetorischer Subversion im Dritten Reich gelesen werden konnte, der aber auch – noch heute und heute wieder – als generell anwendbare Schreibtaktik unter diktatorischen Regimen von Interesse ist. In dem knapp gefassten, mit diskreter Ironie imprägnierten Text entwirft Strauss eine Poetik für häretische Autoren, denen er statt frontaler Provokation und Anklage eine dem Hermetismus verpflichtete Schreibweise empfiehlt. Diese Schreibweise kommt ohne Worte aus, will heißen: Was zu sagen ist, aber nicht gesagt werden darf, bleibt bewusst ungesagt, wird also einerseits verschwiegen und anderseits – im Akt des »Zwischen-den-Zeilen-Schreibens« – ex negativo erst recht hervorgehoben. Unter diesem Gesichtspunkt können Repression und Verfolgung das An- oder Aussprechen unerwünschter Wahrheiten nicht nur nicht unterbinden, sie sind gar, meint Strauss, die Voraussetzung dafür, dass eine hermetische, mithin subversive »Kunst des Schreibens« überhaupt sich entwickeln kann. Die Zensur, so ließe sich daraus folgern, kann demnach nur schwachen Autoren Anlass zur Klage geben, derweil sie für starke Talente – namentlich für die Dichter – eine willkommene Einschränkung darstellt, aus der notgedrungen neue, vor allem formale Qualitäten der Vers- und Erzählkunst gewonnen werden. »Verfolgung kann also unabhängiges Denken nicht verhindern«, stellt Strauss kurz und bündig fest: »Verfolgung kann nicht einmal die öffentliche Äußerung einer heterodoxen Wahrheit verhindern, da ein selbstständig denkender Mensch, sofern er umsichtig vorgeht, seine Ansichten in aller Öffentlichkeit unbehelligt äußern kann. Er kann sie sogar drucken lassen, ohne sich in Gefahr zu begeben, sofern er zwischen den Zeilen zu schreiben versteht.« Zu relativieren wäre diese allzu optimistische Aussage durch den Hinweis, dass die Verfolgung unter totalitären Regimen nicht bloß dem heterodoxen Textkörper gilt, sondern in aller Regel auch dem als Dissident oder Ketzer oder Abweichler inkriminierten Autor, der naturgemäß nur dann »selbstständig denken« und »öffentlich sich äußern« kann, wenn er nicht selbst, als Person, der Verfolgung und Unterdrückung zum Opfer fällt.

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