7. Juni

Die Schweiz spielt bei der Fußball WM gegen die weit überlegende Mannschaft von Spanien einen Sieg heraus, erstmals seit einem halben Jahrhundert – allgemeiner Taumel, weltweite Überraschung: David triumphiert über Goliath. Tatsache ist – ich hab’s am TV mitverfolgt –, dass sich Spanien auch mit exzellentem Fußball nicht gegen den ungeschlacht auftretenden Gegner durchzusetzen vermochte, trotz präziser, strategisch souverän angelegter und ästhetisch ansprechender Spielführung. Der Siegestreffer der Schweizer ergab sich aus einem wüsten Gerangel vor dem spanischen Tor und war als Zufallstreffer klar erkennbar. Auch auf diesem Feld kann sich Qualität offenbar nicht behaupten, wenn es bloß um den Sieg, bloß um den Punkt geht. Bei Freundschaftsspielen kommt die Ästhetik … kommt der Stil des Auftritts meist sehr viel besser zur Geltung, weil der Druck des Ratings ausbleibt und die Artistik gegenüber dem Powerplay Vorrang hat. – Wir – alle miteinander bekannt, aber nicht eigentlich befreundet – sitzen zusammen mit andern Leuten in einer Kneipe, es ist ein hoher Raum unter Neonlicht, mit abgewetzten Wände, mit langen Sitzbänken ohne Lehne, einen Tisch gibt es hier nicht, also keinerlei Gemütlichkeit oder gar Stil. Ich kenne meine vielen Begleiter, mag sie, weiß, ich kann auf sie zählen, aber ich habe für sie keine Namen. Da ist ein bulliger Typ mit Kraushaar und Bart (Patrick F.?), da – ein schneidiger Beau mit sorgfältig aufgefönter Frisur (Jaime S.?), eine junge, sehr schmale Frau mit rundem Gesicht, deren dünne Arme von den Schulterkuppen her aus einem engen weißen Kleidchen baumeln (Sonja S.?). Es wird ein wenig geredet, Konversation kommt nicht auf, jeder von uns hängt seinen eigenen Gedanken und Wünschen nach. Mein Wunsch, zumindest mein Interesse geht zu jener mädchenhaften Frau, aber vermutlich hat denselben Wunsch auch der träge Rübezahl. Da sitzen wir ohne Bewirtung im viel zu grellen Kunstlicht, sitzen und warten, verlassen endlich den Raum, um uns im Freien umzutun. Die Frau (also doch Sonja?!) hat offenbar die eine oder andre Sympathie für mich, aber es gibt … sie gibt keine eindeutigen Winke. Mit einem bequemen Kastenwagen fahren wir stadtauswärts. Wir fahren in Richtung Meer. Am Steuer bemüht sich der Mann mit dem tiefschwarzen pomadisierten Haar, er ist heiter gestimmt, er will uns »unbedingt etwas zeigen«, fährt nun schon wie ein Berseker, wir preschen und schlittern über löchrige Quartierstraßen, sind ständig in Gefahr, in den Gegenverkehr zu geraten, doch unser Fahrer weicht im letzten Moment noch jedes Mal aus. Hinter einem Hügel, dessen Kuppe wir nun erreichen, tut sich der Blick auf eine Meeresbucht auf – ob wir dort unten, fragt der unbekannte Schwarze, den wir in den Fond des Wagens gebettet haben, nicht gemeinsam etwas trinken sollten, »wir haben doch«, sagt er, »manches auszubaden«. Wir kurven weiter talwärts, im Parkhaus stellen wir den Wagen ab, gehen zu zwölft zu Fuß durch die Innenstadt, treffen auf ein ähnliches Lokal wie jenes, das wir vor Stunden verlassen haben. Der Fahrer offeriert einen Drink und erklärt, er habe nun »die Führung übernommen«, doch es kommt keine Freude auf, nein, ja, eher schon herrscht grimmige Nachdenklichkeit. Ich habe es diesmal aus purer Langeweile auf ein ältliches Mädchen abgesehen, das einem der unzähligen platonischen Körper ähnlich sieht, glaube auch, sie werde gleich mitkommen, will bezahlen, doch stellt sich heraus, dass hier eine andere Währung im Umlauf ist, und von der hab ich keine müde Münze in der Hosentasche. Anstandslos übernimmt der Elegante die Zeche, ich erweise ihm dafür den Gruß des Verlierers, ziehe mit dem Mädchen ab. Doch wohin? Und hat sie nicht vielleicht zu Hause einen Vater, der auf sie wartet? Der Weg ist jedenfalls viel weiter als gedacht und gehofft, auf einem moosbewachsenen Treppenabsatz legen wir uns hin, rücken eng zusammen, gehen aufeinander ein, derweil die Passanten hastig über uns hinwegsteigen. Bei aller Ruhelosigkeit und Ablenkung kann ich die ungewöhnliche sexuelle Energie dieser durchaus nicht schönen, aber äußerst anziehenden Frau langsam in mich aufnehmen. Da uns für den Akt der Raum fehlt, begnügen wir uns mit der knappen verbleibenden Zeit. Die Frau kommt federleicht über mich, berührt mich kaum und bekommt mich doch ganz. Mit allem, was sie tut, bedeutet sie den Orgasmus, und den Orgasmus zu bedeuten, ist alles, was sie tut. Ich denke mir … ich fürchte schon, sie macht nichts anderes als das, sie nimmt, was kommt, sie gibt, was geht, sie ist für immer die Beliebige. – Der eigentliche (gefühlte) Sommerbeginn war gestern – ein Tag, der bis in den frühen Abend nicht aus dem Strahlen herauskam, von einer Bläue überwölbt, in der sämtliche Blautöne ineinander schwangen, keinerlei Beimischung von Weiß oder Wolken, nur die frischgrün belaubten Baumwipfel wischten kaum merklich hin und her am untern Rand des Himmels. Die Luft stand unbewegt zwischen den Häusern und Hecken, Vögel und Schmetterlinge und leise sirrendes Ungeziefer hingen schaukelnd über meiner duftenden Wiese, alle Geräusche schienen sich in einem wogenden Summen und Sausen zusammenzufinden. Usf. Schau! (So hab ich’s für Krys notiert und als Mail auf den Weg gebracht:) dort in der dröhnenden Wiese
aaaaadort das Kauern – ein Ja
aaaaadas schützt. Darüber duften die bessern
aaaaaGründe. Stünde still im Hier
aaaaadas Jetzt. Doch da kommt plötzlich
aaaaaTanz in die Welt. Da ist er schon – schau! –
aaaaaund scheut. Kein
aaaaaSchritt. Bloß Atem alles. Doch
aaaaawessen Himmel spiegelt sich in diesem
aaaaaFlügelpaar. Wenn nicht – schau! –
aaaaadein Gesicht.
Usf. Für mich selbst halte ich ein Gleiches etwas anders fest; und zwar so: Welcher von den Himmeln ist’s der die hiesige
aaaaaWiese eskortiert und
aaaaasich in ihren Wogen spiegelt. Als
aaaaawäre Blau der Name von …
aaaaa… von Grün und umso bunter. Klug
aaaaawird aber aus den vielen
aaaaaFarben keiner. Und keiner stellt
aaaaadie kinderleichte Frage
aaaaawarum gerade hier (wo alles herrlich
aaaaaist wie Asche) der Narziss
aaaaa– verzückter Spinner! –
aaaaaals Narzisse aufersteht.
– Und heute Schnee! Heute eine schüttere Schneeschicht über der gestrigen Buntheit, alles ist plötzlich daneben, ist tatsächlich verrückt, ist seltsam ins Ungehörige verfremdet … sieht aus wie ein grobkörniges Schwarzweißbild im Verhältnis eins zu eins zur Natur. Frostige Grisaille! Kann das die Schafskälte sein?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00