9. August

Um vier in der Früh, dann wieder um halb sechs Uhr wach. Der Tag erhebt sich aus leichtem Dunst bis hinauf in die äußerste Klarheit. Die Klarheit macht das Schreckliche wahrnehmbar, der Dunst wendet den Schrecken ins Schöne, entrückt ihn ins Ungefähre. War’s nicht schon am allerersten Morgen so? Dass das Schöne mit dem Horror begann! Und keiner sah hin. – Gustave Flaubert hat das Aufzählen als besondere Erzähltechnik praktiziert, am offenkundigsten sicherlich in ›Bouvard und Pécuchet‹ und den ›Versuchungen des Heiligen Antonius‹, stark auch in ›Herodias‹, etwas diskreter, aber nicht weniger effizient in der späten Meistererzählung ›Ein einfältiges Wesen‹. Hier gewinnt die Aufzählung als solche eine metaphorische Qualität, wenn die unbedarfte Dienstmagd Félicité (deren Name, von Flaubert ohne jede Ironie eingesetzt, als stilles Lob auf ihre edle Einfalt zu deuten ist) zusammen mit anderm Hausrat gleichsam inventarisiert und damit auf den Status eines Gebrauchsgegenstands reduziert wird. Das Auf- und Abzählen wird aber auch mit Blick auf die Außenwelt (Garten, Landschaft) und sogar die erzählte Zeit praktiziert: »Fast immer …«, »jedes Mal, wenn …«, »jeden Donnerstag …«, »in gewissen Abständen …«, »jeweils bei schönem Wetter …« usf. Als eine Art Liste werden auch die Objekte von Félicités Zuneigungen vorgeführt; Flaubert selbst zählt sie in einem Brief an Madame Roger des Genettes auf: »Nacheinander liebt sie einen Mann, die Kinder ihrer Brotherrin, einen Neffen, einen Greis, den sie pflegt, dann ihren Papagei; als der Papagei gestorben ist, lässt sie ihn ausstopfen, und, als sie ihrerseits stirbt, verwechselt sie den Papagei mit dem Heiligen Geist.« Und so fort – die laufenden, meist zufälligen, dennoch in ähnlicher Konstellation stets wiederkehrenden Ereignisse und deren grundsätzlich offenes Ende – das ist die gleichbleibende Perspektive von Flauberts Erzählkunst, die das Alltägliche, Gewöhnliche, Gemeine und dessen monotone Vielfalt dem Plötzlichen, dem Unerhörten, dem Grandiosen durchweg vorzieht. –– Wer – oder was – schreibt? Die Frage nach der Autorschaft stellt sich … lässt sich unter immer wieder neuen Gesichtspunkten stellen, die Entwicklung neuer Medien und Methoden der Texterzeugung, Textverarbeitung, Textübertragung hält die Fragestellung aktuell. Anderseits wird erkennbar, dass die jüngsten Neuerungen (wie übrigens auch die jüngsten Debatten über Copy-and-paste, Rewriting, Plagiat usf.) eher dazu geeignet sind, althergebrachte Vorstellungen von literarischer Kreativität zu bestätigen, als sie zu überbieten und … oder auszublenden. Trotz vielfacher Anfechtung …

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