Daniela Danz: V

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch Daniela Danz: V

Danz-V

BIENENVOLK ODER DER GUTE STAAT

Ein Morgen wie heute wird es sein wenn sie kommen:
staatenlose Schneebienen mit einer riesigen Gier
auf alles Süße ihre dicken Felle von der eisigen Reise
imprägniert kommen sie über die beschneiten
Solarfelder markieren am Winterhimmel ihre
Wege wieg mich schließ mir die Lider horch
ihre Klopfsprache hörst du schon in den Wänden
und hinter den Reden im Radio – niemals lässt sich
eine von ihnen nieder sie bringen die Tracht in
dafür konstruierte Maschinen sie lassen sich mieten
in schwierige Gebiete transportieren um Streiks
zu brechen und den Willen der alten sentimentalen
Staatenbienen die schon ein strenger Winter vernichtet

 

 

 

Daniela Danz’

2009 erschienener Gedichtband Pontus war eine Sensation, er wurde mit höchstem Lob bedacht und liegt mittlerweile in der vierten Auflage vor. So wie die Autorin dort den Blick auf die Grenzen Europas, besonders im Osten, richtete, so widmet sie sich in ihrem neuen Buch dem schwierigen und fast nur mit der Chiffre „V“ zu fassenden Thema Vaterland, das sie als transzendierte Heimat versteht.
Sprachmächtig und formbewusst fragt Daniela Danz dem nach, was unsere Gesellschaft, was Europa zusammenhält jenseits dessen, was leicht zu haben ist.

Wallstein Verlag, Klappentext, 2014

 

Lindenbaum, was ist von dir geblieben?

– Paradoxie. Die Thüringer Lyrikerin Daniela Danz versucht sich am heiklen Begriff des Vaterlands. –

Wenn du eine Wand einreißt, dann musst du den Raum vor Augen haben, den du damit schaffst, nicht den Dreck, der dabei entsteht.

Mit diesem Motto leitet Daniela Danz ihren dritten Gedichtband V ein. Man kann vermuten, dass die Autorin, die 1976 in Eisenach geboren wurde, diese Aufforderung weder rein topografisch noch rein metaphorisch verstanden wissen will, sondern auch im zeitgeschichtlichen Assoziationsraum vom Fall der Mauer, die Osten und Westen voneinander isoliert hat.
Daniela Danz’ Gedichte öffnen erstaunlich große sprach-, kultur- und literaturgeschichtliche Hallräume. Bereits der Titel des dritten Bandes der Autorin zeigt dies. V könnte man als Anspielung auf Thomas Pynchons gleichnamigen Roman oder auch auf den Brecht’schen V-Effekt verstehen. Doch auf der Verlagsseite liest man, dass der Buchstabe von der Autorin als eine Chiffre für das Wort Vaterland gewählt wurde, das Danz als „transzendierte Heimat“ verstehe.
Das mag zunächst rätselhaft klingen und auch ein klein wenig so aussehen, als schrecke die Autorin davor zurück, ihr lyrisches Kind beim Namen zu nennen, denn Vaterland ist ja nun kein unbelasteter Begriff. Was könnte es mit dieser transzendierten Heimat auf sich haben? Um dies herauszufinden, bietet sich fürs Erste das Zitat an, das in Danz’ Einleitung zum ersten Teil des Bandes steht und den Begriff Vaterland definiert. Das Zitat stammt aus Johann Heinrich Zedlers Großem Universallexikon, es ist etwas länger:

Vaterland heißt in eigentlichem und genauerm Verstande derjenige Ort, woselbst jemand gebohren worden und das Licht der Welt erblicket hat. Sonst aber und ausserdem wird dieses Wort auch gar öfters demjenigen Orte beygeleget, allwo jemand seine wesentliche Wohnung und das Bürger-Recht erlanget hat. Man hälts insgeheim dafür, dass dem Menschen von Natur eine Liebe gegen sein Vaterland eingepflanzet sey, und dass in Krafft solcher Liebe er seinem Vaterlande, da ihm zumahl die erste Lufft, Nahrung und Erziehung gegeben, mit gar besondern Pflichten verbunden sey.

Vaterland meint hier also neben der Liebe zum Ort, an dem man geboren ist, nicht zuletzt auch die Pflichten, die man ihm gegenüber hat.
Damit ist es etwas anderes als der Nahraum der Heimat, in den ein Mensch hineingeboren wird und in dem die frühesten Sozialisationserfahrungen stattfinden. Das Vaterland entsteht durch Codices und bestimmte Verhaltensformen. Der affektive Bezug zu ihm wird gerne instrumentalisiert. Vaterland ist längst zu einem Wort geworden, das man nicht gerne in den Mund nimmt und das doch eine Sehnsucht bezeichnet.
Wie Danz diese Paradoxien und Aporien, wie sie das komplexe Spannungsfeld der Begriffe Heimat und Vaterland in ihrem dichtenden Sprechen umkreist, zeigt sich etwa in „Stunde Null: Loop“, einem der Gedichte des Bandes.

Die Linde hat all ihre Blätter verloren
und vom Sommer blieb nichts als

der Wunsch dem alten Deutschland

noch einmal den Kopf zu kraulen

und zu versprechen dass seine Enkel

sich besser erinnern werden – was nützt

ein Gedicht, wo die anwachsenden

Berge der Dinge zum Jodeln zwingen.

Im Ton zugleich leicht und sorgenvoll, wird im Bild der blätterlosen Linde auf das Volkslied „In meines Vaters Garten, da steht ein Lindenbaum“ angespielt. Was im einst viel gesungenen Stück noch traulich-gemütvolle Geborgenheit verheißt, hat bei Danz mit dem Abwerfen der Fülle des Laubes seine Heimeligkeit schon verloren. Eine Kälte, die zum Innehalten zwingt, die zur Erinnerung ruft, wo das Verdrängen des Historischen noch immer an der Tagesordnung ist. Resignativ und anspielungsreich ist der zweite Teil des Gedichts, der von ferne an Paul Celans „Ein Blatt, baumlos / für Bertolt Brecht“ erinnert:

Was sind das für Zeiten
wo ein Gespräch

beinah ein Verbrechen ist, weil es soviel Gesagtes

mit einschließt?

Die blätterlose Linde bei Danz, so wird hier noch deutlicher, ist selbst schon ein Zitat, mit dem sich die Autorin in eine lyrische Tradition des Sprechens an der Grenze des Sagbaren bewegt, was bei „Stunde Null: Loop“ aber nicht zum Schweigen führt, sondern ein „Jodeln“ nahelegt, eine nichtsprachliche, musikalisch-ethnische Praxis, die beim Zuhörer immer noch eine Reaktion zwischen Staunen und Irritation hervorrufen kann.
Das Jodeln wirkt hier so befremdend wie das Gedicht selbst. Es behauptet sich, seiner randständigen Position in der Welt der Künste durchaus bewusst, dennoch als eine Schichtung und Überlagerung von Versen vorangegangener (und im Fall von Brecht und Celan höchst geschichtsbewusst agierender) Dichter. Danz’ Gedichte sprechen nicht nur an dieser Stelle von dem Wunsch, dass die „Enkel des alten Deutschland sich besser erinnern werden“. Sie verkörpern diesen Wunsch durch ihre mit Geschichte und von Bezügen getränkte Sprache und lösen ihn auf diskrete und subtile Weise ein.

Beate Tröger, Der freitag, 11.6.2014

V Gedichte

– Ihre neuen Gedichte greifen vor allem politische Themen und Fragen auf und beschäftigen sich unter anderem mit Putin, Ahmadinedschad und Berlusconi. Auch die Thüringer Landschaft spielt eine Rolle. Daniela Danz hat schon deutschlandweite Preise und Stipendien gewonnen. –

Sie schlägt in manchen Gedichten einen weiten Bogen, der von einem Grab aus der Steinzeit bis zu Tod und Sterben in unserer Zeit reicht. Fast ist man versucht zu sagen, bis in unsere moderne Steinzeit. Es ist ein Band mit sehr politischen Versen.

Landschaften und Räume
Daniela Danz geht mit dem Blick eines Kenners durch Landschaften und Räume. Der Leser spürt, hier hat er es mit einer Kunsthistorikerin zu tun, die den Begriff des „embedded poet“ gebraucht. Ähnlich wie ein „embedded journalist“ – also einem Reporter, der mit an die Front fährt.
So macht sie das als Autorin auch und versucht, dadurch Themen, „hervorzuziehen unter dem dicken Hintern der Zeit“. Als Lyrikerin ist sie „embedded“. Sie ist in der Zeit und betrachtet die Situationen.

Keine sperrigen politischen Themen
Daniela Danz ist es gelungen, keine Propaganda-Gedichte zu schreiben. Sie lädt vielmehr zum Nachdenken ein. Was ist das für eine Welt, in der wir leben und die wir lieben? Schließlich kommt sie auch auf das zu sprechen, was dem Band den Titel V gab – gemeint ist Vaterland.
Wo fängt das Vaterland an, wo hört es auf, wo sind wir zu Hause und wo die Flüchtlinge, die täglich vor Italiens Küste stranden? Der Band regt an, vertraute Fragen neu zu beantworten. Es sind Verse, die aus dem Innersten des Menschseins und der Menschheit kommen.

MDR, Bücherkiste, 25.3.2014

Im Versmaß quer durch die Weltgeschichte

– Was ist eigentlich aus der politischen Dichtung geworden? Daniela Danz geht in ihrem neuen Lyrikband V den Machtmechanismen in Vergangenheit und Gegenwart nach. –

Daniela Danz ist eine politische Autorin. Die 1976 in Eisenach geborene Autorin versteht es, den zeitlichen und räumlichen Bogen in Lyrik und Prosa weit zu spannen. Sowohl im Roman Türmer (2006) als auch in ihrem Gedichtband Pontus (2009) widmete sie sich dem Zusammenhang von Kulturgeschichte und Krieg, der Landschaft und ihrer Zerstörung. Die politischen Konflikte zwischen den Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres verband sie mit europäischen, orientalischen und asiatischen Mythen. Während die Lyrikerin hier Bruchstücke von Wahrnehmungen zu Metaphern zusammenzurrte, geht sie in ihrem neuen Band V dem Wesen einzelner Erscheinungen auf den Grund. Entflechtung statt Verdichtung. Der ausschweifenden Reiseroute in Pontus steht nun die Konzentration auf das im Regionalen verborgene Allgemeingültige gegenüber.
Das erste Kapitel „principium“ bietet Prosagedichte, die in absurder Verfremdung das Entstehen einer frühzeitlichen Menschengemeinschaft durch Mythenbildung durchspielen. Wie sich Grundmuster menschlichen Denkens, Handelns und Fühlens entwickeln, gestaltet Danz in Anlehnung an den Ethnologen Claude Lévi Strauss. Die Gedichte erzählen in einfachen Sätzen von der Ausprägung eines „Wir“ durch Jagd- und Opferrituale, schließlich von der Entwicklung von Sprache, von aufkommendem Streit, Misstrauen, Scham und der beginnenden Aufteilung in Geschlechterrollen – eine eigene Version der Vertreibung aus dem Paradies. Was liegt hier vor: eine in Verse gefasste Theorie? Eine Konstruktion? Eine Denkübung? So seltsam manche Spielsituationen auch erscheinen, führen sie doch vor, wie Machtstrukturen entstehen und wie Anpassung und Unterwerfung. Grotesk die „gegen sich selbst“ kämpfenden Helden, die „dreibeinigen Rüden“, die Gewöhnung an abwegigste Verhältnisse. Das hat etwas vom Vorführgestus brechtscher Parabeln, aber auch Elemente von albtraumhaften Fantasyfilmen.
Einem gesellschaftskritischen Realismus näher scheint das zweite Kapitel „patria“, in dem es vor allem um deutsche Gegenwart und jüngste (ost-)deutsche Geschichte geht. „Wie geht leben?“ „Wie geht sterben?“ „Wie geht anfangen?“ „Wie geht erinnern?“ fragen die Verse und gehen auf Spurensuche in ehemaligen Grenz- und Sperrgebieten. Danz porträtiert und stilisiert Menschentypen: der „gute“ Bürger, der Aussteiger, der traumatisierte Soldat. Leider gehen diese Porträts über Bekanntes nicht hinaus und erschöpfen sich in Stereotypen. Nicht alle Haus- und Gartenbesitzer sind Spießer, die nur bis zum eigenen Gartenzaun gucken. Sie moralisch gegen die an südeuropäischen Küsten strandenden Flüchtlinge auszuspielen, ist allzu simpel. Hier werden Klischees bedient und tatsächliche Widersprüche verflacht.
Wo Daniela Danz weltpolitische Akteure in den Mittelpunkt stellt, wird sie konkreter und daher überzeugender, weil sie eigene Emotionen zurücknimmt und die Dinge selbst sprechen lässt. So in ihrem Dreiteiler „The embedded poet“ über Berlusconi, Ahmadinedschad und Putin. Die Form der pindarischen Ode, das Regelmaß der Lobpreisungen nutzt Danz, um beißende Ironie und Sarkasmus zu versprühen. Diese Kabinettstückchen karikieren die Machthaber, aber auch deren staatstragende Poeten.
In der MDR-Sendung Bücherkiste war überraschenderweise zu hören, Daniela Danz sei „als Lyrikerin embedded“. Eben nicht! Der „embedded journalist“, der als Kriegsberichterstatter mit den Soldaten an die Front fährt, kann nicht objektiv sein, der „embedded poet“ ebenso wenig. Die Traditionslinie der lobhudelnden Staatsdichter ist lang; die Lyrikerin aber hält größtmögliche Distanz zum Dargestellten.
Wo Daniela Danz aber reine Denkspiele mit Modellcharakter anzettelt, überzeugen ihre Verse durch Anschaulichkeit in brechtscher Tradition. Sie beschreibt Verhaltensstrategien, die aus genauen Beobachtungen resultieren und die Palette der Möglichkeiten exakt benennen: Auf- oder Abrüstung, Treue oder Verrat, bestraft werden oder davonkommen. So reizvoll die psychologisch schlüssigen Kombinationen auch sein mögen – es bleibt die Frage nach der Entscheidungsfreiheit des Menschen. Das schönste Gedicht in diesem Band trägt den Titel „Links und rechts der Landschaft“ und kann auch als Liebesgedicht gelesen werden:

Wir sitzen nicht mehr im Zug
als Passagiere mit verschiedenen Routen
du hast mich an deiner Station
rausgezogen und ich dich an meiner
da stehen wir im Licht des anderen
und sind missverständlich

Dorothea von Törne, Die Welt, 9.8.2014

Daniela Danz

macht sich mit diesem Gedichtband auf, ein begriffliches Phänomen zu erkunden: Das „Vaterland“, für das die Titel-Chiffre V steht. Obwohl der Band mit mehreren Zyklen dicht gefügt ist, wirkt diese Erkundung niemals angestrengt-systematisch, sondern bleibt spielerisch. Eindrückliche Motivspiegelungen verbinden die Gedichte. Wie in ihren früheren Bänden bewegt sich Danz gelassen durch Geschichte und Mythos, ohne kulturgeschichtliches Wissen nur trocken auszustellen. Sie fragt vielmehr sehr zeitbewusst und politisch danach, was das ist oder sein kann: das „Vaterland“. Der zeitliche Bogen ist weit: Er beginnt mit wundersamen Prosagedichten, in denen wir Helden der Jungsteinzeit kämpfen sehen, und endet bei NATO-Einsätzen oder Flüchtlingen an der Außengrenze der EU. Der begriffliche Bogen ist ebenso weit: vom „Vaterland“, der Heimat, als des „Vaters Acker“, bis zum angstmachenden Staat in seiner nationalistischen Verkehrung. Trotz aller drängenden Aktualität geht es dabei nie platt-parolemäßig zu. Ganz im Gegenteil: Daniela Danz’ leise Gedichte gehen der selbstgestellten Frage mit einer poetischen Feinfühligkeit nach, die auf jeder Seite zum Staunen anhält.

Holger Pils, Lyrik-Empfehlung 2015

 

 

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Autorengespräch: Daniela Danz über ihre „Gedichte V“
Domradio, 7.7.2014

Holger Pils: V – Daniela Danz sucht das Vaterland im Gedicht
fixpoetry.com, 5.9.2014

Das Lyrische Quartett im Lyrik Kabinett München sprach am 26.3.2014 über dieses Buch und ist zu hören ab 0:38:13.

 

Das schwierige Wort Vaterland

– Daniela Danz im Gespräch mit Jens-Fietje Dwars über ihren neuen Gedichtband V. –

Jens-Fietje Dwars: Ihr neuer Gedichtband, der zur Buchmesse beim Wallstein Verlag erscheint, trägt einen einzigen Buchstaben als Titel: V. In der Verlagsankündigung heißt es, „V“ sei eine Chiffre für den schwierigen Begriff Vaterland. Warum gerade jetzt dieses Thema?

Daniela Danz: Vaterland ist eigentlich noch mehr als schwierig, das ist ein Begriff, den viele mit guten Gründen überhaupt nicht mehr verwenden wollen, gerade weil er von links und rechts gleichermaßen vereinnahmt wurde und vereinnahmt wird. Ich glaube aber, dass sich dieses Wort vor seiner Vereinnahmung nur schützen lässt, indem man seine Komplexität präsent hält. Der Begriff Heimat hat vor fünfzehn Jahren nur marginales Interesse gefunden, jetzt ist er allenthalben gefragt. Manche Dinge werden uns von rechts überholen, das meine ich jetzt nicht politisch, wenn wir sie links liegen lassen. Vaterland scheint uns im Moment entbehrlich, aber unter der Oberfläche kollidiert es mit dem Begriff Heimat wie Packeisschollen, und wechselweise wird eines von beiden nach oben getrieben, unter Verlust aller Manövrierfähigkeit. Darum auch habe ich das Buch geschrieben, um diese Begriffe beweglich zu halten.

Dwars: Was bringt uns denn das Vaterland mehr als der Begriff Heimat?

Danz: Es sind ganz verschiedene Dinge. Sprachgeschichtlich gesehen war Vaterland, also des Vaters Acker, das kleine Geschwister der Heimat, als welche man einen ganzen Landstrich bezeichnete. Nun ist es umgekehrt, die Heimat das Nahe, das Vaterland fern. Dazwischen lag die schwere Geburt Deutschlands aus dem Geiste der napoleonischen Fremdherrschaft; wir haben uns eine Idee für den modernen Vaterlandsbegriff vom lateinischen patria geliehen.

Dwars: … wie ja auch eines der Kapitel in ihrem Gedichtband heißt.

Danz: Genau, das Kapitel, das mehrheitlich politische Gedichte, zumal zur aktuellen Lage beinhaltet. Darüber hinaus bin ich aber durch das Buch, an dem ich fünf Jahre gearbeitet habe, zu dem Schluss gekommen, Vaterland als transzendierte Heimat anzusehen. Ich meine: Heimat ist uns geschenkt, damit wir an ihr das Vermögen entwickeln können, etwas Geschichtliches und damit Formbares zu erfahren. Geschichtlich, weil wir darin leben, und formbar durch die Veränderung, die das andere und wir selbst nehmen. Formbar und deshalb zugänglich. Vaterland ist abstrakt, es hat keine Grenze, es hat keine Sprache, es lässt unser Herz nicht schneller schlagen. Aber wir können es uns zu eigen machen, so wie Heimat uns eigen ist. Vaterland ist das, wogegen wir eine Pflicht haben, Heimat, worauf wir ein Recht haben.

Dwars: Das klingt in Zeiten allgemeiner Selbstbedienungsmentalität fast weltfremd oder utopisch?

Danz: Das mag sein, aber wir entkommen diesem Moment von Pflicht ja doch nie. Es ist eine Illusion, wenn wir die Beziehungen zu anderen Menschen, vor allem uns nahestehenden Menschen, und zu allen Dingen und Verhältnissen in unserem Leben nur unter dem Aspekt wahrnehmen, wie sie uns formen, was sie uns bringen. Natürlich tun sie das. Aber es gibt eben auch die andere Seite, sie nehmen uns in die Pflicht. Dieser Moment interessiert mich in V, es geht nicht um Identität, auch nicht um die Versuche, sie zu gewinnen – manch einer hatte überhaupt nicht die Gelegenheit, eine prägende Erfahrung mit Heimat zu machen, sondern eher mit Heimatlosigkeit. Mich interessiert, wie die Erfahrung von Heimat zugleich in die Pflicht nimmt, das Erworbene auf etwas weiter Gefasstes, Abstrakteres anzuwenden. Das leistet der Begriff Vaterland. Es geht um Identifizierung mit einer menschlichen Gemeinschaft. Vaterland ist demnach nie etwas, was ist, sondern ein Anspruch, den wir an uns tun. Es geht um Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, Verantwortung. Und wiederum nicht für eine selbst gewählte Gemeinschaft, sondern für die, der wir durch Zufall angehören.

Dwars: Hätte man den Band dann nicht auch „Vaterland“ nennen können, statt V?

Danz: Das wollte ich nicht, ich wollte, diesem Wort keine neue Griffigkeit geben. Und sei es nur für mich selbst, die ich durch Gewöhnung ja sehr selbstverständlich mit den Titeln meiner Bücher umgehe. Der Titel ist ja quasi der Griff eines Buches, irgendwo muss man es anpacken, Der Sinn des Titels V ist aber gerade, dass man immer wieder überlegen muss, wie packe ich es an. Das ist letzten Endes nichts anderes als der dichterische Umgang mit etwas, im Gegensatz etwa zum politischen. V hat außerdem auch noch einen Anklang an den Brechtschen „V-Effekt“: die Illusion soll uns verwehrt bleiben.

Dwars: Ich muss gestehen, dass ich an Thomas Pynchon gedacht habe, an seinen irrwitzigen V.-Roman, der eigentlich ein anarchischer Abgesang ans Vaterländische ist.

Danz: Die Assoziation liegt wegen des Titels natürlich nahe. Tatsächlich haben die beiden Bücher nicht viel miteinander gemeinsam. Die Tendenz, festzuzurren und zu verengen, wohnt dem Begriff Vaterland inne, und wenn man so will, kann man die beschriebenen Auswüchse als Aspekte dieser Tendenz sehen. Wobei das amerikanische „homeland“ und das deutsche „Vaterland“ wegen der geschichtlichen Dimension, die einem solchen Wort immer eingeschrieben ist, zwei völlig verschiedene Dinge sind.

Dwars: Für Volk und Vaterland zog man hierzulande auf die Schlachtfelder.

Danz: Ja, „Vaterland“ gehört ganz sicher zu den Worten, die Klemperer vergraben und nicht wieder ausgegraben wissen wollte. Aber wie es mit vergrabenen Dingen ist, weiß jeder, der einen Hund hat: Sie tauchen manchmal ungewollt wieder auf und dann können sie geradezu zu Wiedergängern werden. Besser man schaut immer mal nach ihnen.
Was die schmissige Formel „Volk und Vaterland“ betrifft, darauf spiele ich ja mit den „Fuchs und Vaterland“-Gedichten an: Auch hier ist wieder poetischer Widerstand gefragt, und zwar der, den schon Hölderlin mit der sogenannten harten Fügung erprobt hat. Man muss die Worte neu machen. Für Wortneuschöpfungen habe ich nicht viel übrig, aber jedes einzelne Wort muss im Gedicht unbedingt neu werden, das ist die Elle, an der ich es messe.

Dwars: Nun ist V kein reiner Gedichtband, es sind darin Prosatexte enthalten, gar so etwas wie spieltheoretische Versuchsanordnungen. Womit haben wir es also zu tun?

Danz: In erster Linie handelt es sich um einen Konzeptband, wie es auch Pontus und bereits mein erster Band Serimunt waren. Mich interessiert nicht das einzelne gelungene Gedicht, es nützt mir nichts, wenn es nicht in einen reflexiven Bogen eingespannt ist, in ein Textkollektiv sozusagen, wo jeder einzelne Text das Ganze auf seine Weise befördert. Und auf seine Weise heißt eben auch, dass das zu Sagende sich seine Form suchen darf. Es geht in meinen Gedichtbänden auch um die Grenzen literarischer Formen. Die Dystopien zum Beispiel, die den Band eröffnen, sind kein Thema für ein Gedicht. Die Gesellschaft, von der darin die Rede ist, hat das Dichterische verloren, weil im Totalitarismus eben kein Platz sein darf für Dichtung. Und doch gibt es sie, auch diese Dystopien haben ihre utopischen Momente. Das ist das Thema dieser Texte: wie aus dem festen schwankender Boden und aus dem schwankenden fester Boden wird. In meinen Augen zumindest, was natürlich auch nur eine Lesart ist.

Dwars: Das erklärt vielleicht auch meinen Leseeindruck: Sie heben Vergangenes und Heutiges zugleich ins poetisch Zeitlose auf und damit ins jederzeit Gegenwärtige. Vergegenwärtigen ist ja etwas anderes als Erinnern im Sinne von Zurückblicken auf etwas Vergangenes, es heißt: das Vergangene als etwas Gegenwärtiges wachzurufen, das nicht abgeschlossen ist. Wie die Beschwörungen von Schamanen. Es gibt die Distanz zwischen einst und heute nicht mehr, auch nicht den Schnörkelrahmen des Historismus, der Guckbühne. Vielleicht ist das das „Betriebsgeheimnis“, der Prüfstein wirklicher Verdichtung: Das Naherücken durch Ausblendung der perspektivischen Distanz.

Danz: Es wäre tatsächlich schön, wenn mir das gelungen wäre. Es entspricht meinem Weltbild, Vergangenes habe ich als Kind immer in meine Gegenwart eingebaut, ich kenne noch heute dieses Gefühl, auf einem frisch gepflügten Acker zu stehen wie auf Schichten von Leben, und ich weiß noch den Moment, als ich begriff, nicht verstandesmäßig, sondern mit der Seele, wie wir wieder zu Erde werden und als solche irgendwann umgepflügt. Erinnern habe ich als Wort immer nicht verstanden, etwas in sich hineinnehmen. Mir war mehr, als ob ich selbst im Inneren bin, der kleinste Teil von etwas sehr viel Größerem. Na ja, nun wird es etwas metaphysisch. Vielleicht lieber noch eine Frage?

Dwars: Ja, ein paar Fragen zur Tradition habe ich noch. Wie in Serimunt und in Pontus gibt es auch in V wieder ein Hölderlinzitat – ein Zeichen poetischer Verbundenheit?

Danz: Ja, das scheint ein Bund fürs Leben. Wobei Hölderlin auf den Begriff der Treue natürlich das größere Anrecht hat, weil er ihre bewahrende Notwendigkeit angesichts unserer Sehnsucht zum Ungebundenen, Chaotischen erkannt hat. Er hat vieles so klar festgehalten auf der Schwelle zwischen zwei Epochen, auf der er stand. Sein Vaterland war die Idee eines neuen Gemeinwesens von Brüderlichen, eines einigenden vaterländischen Geistes. Es kam dann anders. Und wie in Pontus habe ich Fragmente zitiert, die Themen anreißen und daran scheitern, sie auszuführen. „Und niemand weiß“ war der Anfang dessen, was er über Heimat sagen wollte.

Dwars: Sind Ihre Gedichte also „Vaterländische Gesänge“, die tastend nach Neuland suchen, wo es Hölderlin die Sprache verschlagen hat? Wo er im Hier und Heute keine Chance mehr sah für das Gemeinwesen der Brüderlichkeit?

Danz: „Vaterländische Gesänge“ können sie nimmermehr sein, aber sie suchen ein ähnliches Land. Eines, in dem sich Menschen immer wieder neu die Mühe machen, die Verhältnisse auszutarieren und auf den Prüfstein zu stellen, eines, das vor den partikularen Gewinn die Treue zum Gemeinsamen stellt. Ich bin nicht ganz hoffnungslos. Aber die Fallhöhe ist heute auch bei weitem geringer als nach der Französischen Revolution.

Volltext, Heft 1, 2014

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin + Thüringen
Porträtgalerie: Brigitte Friedrich Autorenfotos +
Dirk Skibas Autorenporträts
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Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Daniela Danz

 

In der Zwischenzeit: Poesie – mit Daniela Danz.

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