Eckart Kleßmann: Zu Franz Werfels Gedicht „Der schöne strahlende Mensch“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Franz Werfels Gedicht „Der schöne strahlende Mensch“ aus Franz Werfel: Das lyrische Werk. –

 

 

 

 

FRANZ WERFEL

Der schöne strahlende Mensch

Die Freunde, die mit mir sich unterhalten,
Sonst oft mißmutig, leuchten vor Vergnügen,
Lustwandeln sie in meinen schönen Zügen
Wohl Arm in Arm, veredelte Gestalten.

Ach, mein Gesicht kann niemals Würde halten,
Und Ernst und Gleichmut will ihm nicht genügen,
Weil tausend Lächeln in erneuten Flügen
Sich ewig seinem Himmelsbild entfalten.

Ich bin ein Korso auf besonnten Plätzen,
Ein Sommerfest mit Frauen und Bazaren,
Mein Auge bricht von allzuviel Erhelltsein.

Ich will mich auf den Rasen niedersetzen,
Und mit der Erde in den Abend fahren.
O Erde, Abend, Glück, o auf der Welt sein!!

 

 

Aus einer heilen Welt

Die Stimme Franz Werfels, 1944 in Kalifornien aufgenommen, liefert fast schon einen Teil der Deutung. „Der schöne strahlende Mensch spricht“, so heißt da der Titel. Und dann hebt es an in jenem Pathos, wie es um 1911, als Werfels erster Gedichtband Der Weltfreund erschien, wohl auf der Bühne des Burgtheaters geklungen haben mag und mit dem auch Hofmannsthal seine Gedichte rezitierte. Ich habe Werfels Schallplatte inzwischen so oft gehört, daß ich dieses Gedicht nicht mehr vortragen könnte, ohne in des Rezitators Werfel Überschwang zu verfallen. Er spricht seine Verse fast mit wachsender, wenn auch kalkulierter Erregung, die bei der dritten Strophe anfängt zu vibrieren und sich dann zu einem mächtigen Crescendo steigert bis zum Aufschrei im letzten Vers mit der zweimaligen Zäsur vor und hinter dem „o“.
Längst kann ich dieses Sonett auswendig, und wenn ich von der ganz außerordentlichen Faszination durch Werfels Stimme absehe, dann frage ich mich, warum gerade dieses Versgebilde mich so anzieht. Es ist wohl der Ausdruck des seligen Glücksgefühls, wie es so nie wieder formuliert worden ist. Dieses „O Erde, Abend, Glück, o auf der Welt sein“ wurde schon wenige Jahre später in einem militärischen Inferno begraben, nach dem es den schönen strahlenden Menschen nicht mehr gab, es sei denn verhunzt zur Propagandafigur der Rechten wie der Linken, die „tausend Lächeln“ ersetzt durch das einfältig-martialische Feixen der Visagen auf den Plakaten.
Der jubelnde Kosmopolitismus des Weltfreunds im Anfang eines Jahrhunderts, das sich in die Geschichte einschrieb als die Epoche einer so monströsen wie beispiellosen Ausrottung des Menschen im Zeichen linker wie rechter Ideologien: das macht wieder und wieder nachdenklich.
Werfels Sonett bezieht sein Glück aus einer noch ungebrochenen Harmonie von Menschen und Natur, in der es – Jahrzehnte vor Tschernobyl – noch nicht zweifelhaft sein konnte, wie der „strahlende“ Mensch zu verstehen ist. Aber so reagiert heute eine verkehrte Welt, daß jeder, der von einer „heilen“ spricht, sofort verhöhnt wird, als wäre nicht eine heile Welt genau das, was wir uns alle ersehnen. Werfels Welt in diesen Versen ist noch ganz heil und durch nichts in Frage gestellt – drei Jahre vor dem blutigen Triumph der Materialschlachten, als der schöne strahlende Mensch zum Menschenmaterial verkam.
Werfels glückverheißende Hymne erfüllt uns heute eher mit Trauer. Nicht einmal fünfzig Jahre hat es gebraucht, bis wir über seinen Jubelschrei „o auf der Welt sein!“ nur noch gequält lachen können. Einen schönen strahlenden Menschen fragen wir heute – wenn er sich denn so vorstellt –, welche Ideologie er uns wohl verkündet, damit nicht nur die Freunde „leuchten vor Vergnügen“, als hätte ein Wort wie „Vergnügen“ je Eingang gefunden in ein Parteiprogramm.
Der Ausdruck und das Empfinden glückseliger Gegenwart, die eine lichte Zukunft verheißt und ein durch nichts in Frage zu stellendes Welteinverständnis – nur noch trostlose Makulatur, nur die Einfalt eines weltfremden Poeten? Aber Franz Werfel hat gerade dieses Gedicht 1944, ein Jahr vor seinem Tode, zur Rezitation ausgewählt für den Rundfunk, als ganz Europa in Flammen stand.

Eckart Kleßmannaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Vierzehnter Band, Insel Verlag, 1991

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