Eckart Kleßmann: Zu Günter Eichs Gedicht „Königin Hortense“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Günter Eichs Gedicht „Königin Hortense“ aus Günter Eich: Botschaften des Regens. –

 

 

 

 

GÜNTER EICH

Königin Hortense

Alles in Blau, obwohl du kein Blau siehst:
Königin Hortense,
der Sommerhut breitrandig,
die vielen Bänder.

In Verbannung hinter der Hecke, – wie lange schon?
Niemand hat es gewußt, Majestät.
Ein Handschuhwinken: Geste aus Blütenstaub,
die Huld eines Mundes in Wespenflügeln.
Leicht zu vertauschen mit einer Blume, ach Königin.

Wer wart ihr andern im Garten, schreckliche Seelen?
Gebt Ruh, ihr, verborgen hinter der Schönheit!
Wo fängt eure Stille an? Es klirrt
von Geschmeide, von Ketten,
von Schaufeln, von Schwertern.
Es schreit.

 

Das schöne Exil als Stilfigur

Westlich von Konstanz, auf einer Anhöhe über dem Untersee, liegt Schloß Arenenberg, eher Landhaus denn Schlößchen.
Hortense de Beauharnais, 1815 auf Lebenszeit aus Frankreich verbannt, erwarb es 1817 und bewohnte es ständig von 1823 bis zu ihrem Tode 1837. Als Ehefrau von Napoleons Bruder Louis war Hortense von 1806 bis 1810 Königin von Holland gewesen; nach 1815 führte sie den Titel Herzogin von St. Leu.
Königin Hortense, wie sie die Zeitgenossen nannten, machte aus Arenenberg eine Weihestätte des Napoleon-Kults und pflegte dort einen kleinen Musenhof. Sie selbst zeichnete und komponierte recht artig, gab musikalische Soireen und empfing Dichter: Chateaubriand, Dumas d. Ä., Charles Sealsfield und Heinrich Zschokke sprachen vor, dazu die ganze verblichene Pracht der napoleonischen Generalität. Hortense schrieb ihre Memoiren, vergoldete die Erinnerung an ihren Adoptivvater Napoleon und spann heimlich politische Fäden, wiewohl sie sich in der Öffentlichkeit als völlig unpolitische, bös verfolgte Unschuld stilisierte.
Als ich vor zwanzig Jahren Arenenberg besuchte (Eichs Gedicht lernte ich erst viel später kennen), fiel mir dies auf: die eigentümliche Mischung aus verinnerlichtem Müßiggang bei Harfenklang und Selbstmitleid, daneben das napoleonische „Kanonengebrüll und wiehernder Rosse Getrabe“ in einer der Verehrung des Kaisers geweihten Kultstätte.
Hortenses Salon ist sogar als napoleonisches Gezelt eingerichtet mit weiß-blauen Streifen, und dem Staubblau dieser Streifen entspricht das Staubblau der Hortensien im Garten, denen die Königin ihren Namen dankt. Im Haus sieht man mehrfach ihr Porträt: das schmale Gesicht unterm breitrandigen Hut, die schmalen Hände in schwarz-weißen Handschuhen. Stille Schönheit, introvertiertes Exil, mit viel Larmoyanz und prononciertem Feinsinn geschickt zur Stilfigur erhoben, indes ihr Sohn, der spätere Napoleon III., seine Putschpläne schmiedete.
Arenenberg, das ist Sommeratmosphäre durchaus: „Alles in Blau“. Stichworte des Sommers: Hecke, Blütenstaub, Wespenflügel, Blume. Die ironisch-respektvolle Anrede „Majestät“ für ganze vier Jahre Königinnen-Dasein. Die fragile Schöne, den Wespenstachel hinter sanftem Augenaufschlag versteckt. „Verborgen hinter der Schönheit“ aber die vermögende Großsiegelbewahrerin eines Regimes „von Geschmeide, von Ketten, von Schaufeln, von Schwertern“. Die Gartenidylle „in Verbannung hinter der Hecke“ gründete sich auf das in Arenenberg still, aber intensiv vergötterte Reich napoleonischer Gewalt, dessen glänzende Nutznießerin Hortense gewesen ist.
„Leicht zu vertauschen mit einer Blume, ach Königin“. Als blumenhafte Unschuld, ja, so hat sie sich zeitlebens gern gesehen, und nichts stand ihr so gut, sie wußte es, wie das sanfte Leid: in ihrer gescheiterten Ehe, in ihrem eleganten Exil. Dessen hartes Los: Wir sehen es heute aus der Perspektive verfolgter Opfer, nicht mondäner Majestäten. Gewiß, auch Hortense wurde ein wenig verfolgt.
Sie war nicht unschuldig, aber auch nicht unbedingt schuldig. Sie lebte gut, hatte nichts dazugelernt, spann ihre politischen Fäden und tarnte sie mit Harfenklang. Ja: „Es schreit“.
Günter Eichs Gedicht, geschrieben am 23. September 1954, wirkt auf den allerersten Blick wie eine Sommer-Idylle. Aber die Widerhaken liegen im arglos Schönen verborgen, das sich fast duftig gibt wie ein Aquarell Hortenses. Der Weg vom „Geschmeide“ („es klirrt“, denn es wird geschmiedet wie Fesseln und Waffen) bis zu den Ketten und Schwertern („es schreit“) ist der denkbar kürzeste. Statt Qual und Blut nur „Sommerhut“ und „Geste aus Blütenstaub“,
Im schwebenden Beiseitesprechen wird das Wichtigste zum reinen Bild. „Es schreit.“ Die so musikalische Königin Hortense hätte das nicht verstanden. Für dieses Schreien waren ihre sonst so sensiblen Ohren taub.

Eckart Kleßmann, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechster Band, Insel Verlag, 1982

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