Edwin Wolfram Dahl: Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Keine Delikatessen“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Keine Delikatessen“ aus Ingeborg Bachmann: Anrufung des Großen Bären. 

 

 

 

 

INGEBORG BACHMANN

Keine Delikatessen

Nichts mehr gefällt mir.

Soll ich
eine Metapher ausstaffieren
mit einer Mandelblüte?
die Syntax kreuzigen
auf einen Lichteffekt?
Wer wird sich den Schädel zerbrechen
über so überflüssige Dinge –

Ich habe ein Einsehn gelernt
mit den Worten,
die da sind
(für die unterste Klasse)

Hunger
Schande
Tränen
und
Finsternis.

Mit dem ungereinigten Schluchzen,
mit der Verzweiflung
(und ich verzweifle noch vor Verzweiflung)
über das viele Elend,
den Krankenstand, die Lebenskosten,
werde ich auskommen.

Ich vernachlässige nicht die Schrift,
sondern mich.
Die andern wissen sich
weißgott
mit den Worten zu helfen.
Ich bin nicht mein Assistent.

Soll ich
einen Gedanken gefangennehmen,
abführen in eine erleuchtete Satzzelle?
Aug und Ohr verköstigen
mit Worthappen erster Güte?
erforschen die Libido eines Vokals,
ermitteln die Liebhaberwerte unserer Konsonanten?

Muß ich
mit dem verhagelten Kopf,
mit dem Schreibkrampf in dieser Hand,
unter dreihundertnächtigem Druck
einreißen das Papier,
wegfegen die angezettelten Wortopern,
vernichtend so: ich du und er sie es

wie ihr?

(Soll doch. Sollen die andern.)
Mein Teil, es soll verloren gehen.

 

Vom Einsehen mit den Worten

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Es war der 15. März 1961 abends im Kölner Gürzenich. Die 25jährige Ingeborg Bachmann hatte im überbesetzten Saal gelesen. Aus ihrem zweiten und zugleich letzten Gedichtband Anrufung des Großen Bären die „Lieder auf der Flucht“ und aus dem gerade erschienenen Erzählband Das dreißigste Jahr das Stück „Undine geht“. Wie somnambul verließ sie das Podium. Und flüchtete vor dem Applaus und flüchtete vor ihrer Stimme, vor ihren Worten dem Ausgang zu. In die falsche Richtung. Wo keine Tür war.
Zwölf Jahre später starb sie. Drei Jahre nach Paul Celan. Beide haben urelementar gedichtet. Beide sind urelementar umgekommen. Der eine durch Wasser. Die andere durch Feuer. Jenseits von Triumph und Scheitern. In einer für uns unerreichbaren Dimension. Von Paul Celan gibt es in einer Dankesrede zum Georg-Büchner-Preis die Stelle:,

wer auf dem Kopf geht, der hat den Himmel als Abgrund unter sich…

Dieser Satz gilt für beide. Das lyrische Werk Ingeborg Bachmanns ist schmal geblieben, jedoch um so dauerhafter, um so überholbarer. Gäbe es eine Göttin der Sprache, der Gerechtig-, Wahrhaftigkeit, die zählte. Und sie zählte mit den Fingern nur einer Hand. Ousia oder das Bleibende. Und die Bachmann wäre dabei. Es gibt keine solche Göttin. Es gibt keinen Mythos der Gezählten. Aber es gibt Ingeborg Bachmann.
Würde an mich die Frage gestellt, welches ihrer Gedichte ich favorisiere – soweit ich solch einem An-Sinnen überhaupt nachzukommen, nachzuzögern bereit und fähig wäre – ich müßte aus der Intuition heraus das Gedicht „Keine Delikatessen“ nennen, weil es in seiner Glaub-Würdigkeit, in seiner Kompromißlosigkeit mir mehr noch als alle die anderen Gedichte unter der Haut brennt, unter der Haut friert. Ganze Bibliotheken setzt dieses paradigmatische Gedicht in Frage und wollte doch nichts anderes als die Ab-Sage an die Schreibe von heute, von gestern, von morgen für hier, für jetzt, für nichts.
„Keine Delikatessen“ ist das letzte zu ihren Lebzeiten, im November 1968 veröffentlichte Gedicht von Ingeborg Bachmann, das sie vermutlich 1963 geschrieben hat. Es hätte auch zehn Jahre danach entstanden sein können: 1973, zwischen der Reise nach Polen mit den Aufenthalten in Auschwitz/Birkenau und ihrem tragischen wie zugleich symptomatischen Tod. Adornoische (überstrapazierte) Worte steigen unwillkürlich, assoziativ auf; hier sollen sie ungerufen bleiben.
Nichts mehr gefällt ihr. Nicht das metaphorische Ausstaffieren, das Überflüssige der Dinge, das Libidinöse eines Vokals, gefangengenommener Gedanke in einer erleuchteten Satzzelle. Ihr ist ein entschiedenes, seinsentscheidendes Einsehen mit den Worten widerfahren. Schräg gesetztes, zuletzt mit einem „und“ verdeutlichtes Leiden, Erleiden, Mit-Leiden:

Hunger
Schande
Tränen
und
Finsternis

Alles Elend, nicht nur ihr eigenes: in Klammern gehalten mit ihrem nach innen dringenden Schrei:

(und ich verzweifle noch vor Verzweiflung).

Der Satz von der „ungeheuerlichen Kränkung, die das Leben ist“ war schon in Das dreißigste Jahr unüberlesbar. Es sind die Auf-der-Flucht-Gedanken (oder wie sie es schon früh dichtete: ihr „Immerzu-ans-Sterben-Denken“), das ihr gesamtes Œuvre leitmotivisch durchzieht bis hin zu den beiden letzten Fragmente gebliebenen Romanen der „Todesarten“.
Dann im zweiten Gedichtblock der Anfang „Ich vernachlässige nicht die Schrift, / sondern mich“. Sie, die wahrhaftig niemals Sprache vernachlässigte, während sie sich bis zum Geschundensein nicht schonte. Denke ich an die „Lieder auf der Flucht“ („…Ich aber liege allein / im Eisverhau voller Wunden…“) oder an den Monolog des Fürsten Myschkin („… Wo ich hinkam, fand ich mich unter Steinen…“) oder an „Curriculum Vitae“ („hätt ich nicht Disteln im Herz, / schlüg ich die Sonne aus“).
Sie „mit dem verhagelten Kopf, / mit dem Schreibkrampf in dieser Hand, / unter dreihundertnächtigem Druck…“. Sie, jenseits der anderen, die „sich weißgott / mit den Worten zu helfen“ wissen: Assistenten ihrerselbst. Sie, die ausbrechen mußte in bleibende Sprache. Und mußte vorbei an den vielen, ihr fremden, ja überflüssigen, weil nur scheinbar poetischen Worten. „(Soll doch. Sollen die andern.)“
Und am Ende:

Mein Teil, es soll verloren gehen.

Hier erinnere ich mich an einen Satz von Sören Kierkegaard: „Periissem nisi periissem“ (Ich wäre verloren gewesen, wenn ich nicht verloren gewesen wäre). Oder aber die Affinität jener Zeile in dem 1964 entstandenen Gedicht „Böhmen liegt am Meer“:

Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich bin verloren.

Sie, die sie es durchgestanden hat. Noch unter Flammen und Feuerwunden zuletzt. Ob man will oder nicht will: unvermutet, blitzartig springen einem die letzten vier Zeilen des Gedichts „Erklär mir, Liebe“ vors Auge:

Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn…
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.

Edwin Wolfram Dahl, aus Neue Deutsche Hefte, Heft 199, 3. Quartal 1988

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00