Elisabeth Hoffmann: Zu Ursula Krechels Gedicht „Meine Mutter“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ursula Krechels Gedicht „Meine Mutter“ aus Ursula Krechel: Nach Mainz!. 

 

 

 

 

URSULA KRECHEL

Meine Mutter

1
Als meine Mutter ein Vierteljahrhundert lang
Mutter gewesen war und Frau, aber das konnte sie
vergessen mit der Zeit, als sie so geworden war
wie eine anständige Frau werden mußte
klüger als die Großmutter, ergebener als die Tanten
sparsamer in der Küche und in der Liebe als eine
der das Glück in den Schoß gefallen war
als sie genug Krümel von der Tischdecke geschnippt
als sie die Hoffnung begraben hatte, einmal eine Dame
im Pelz zu sein wie in den Modeheften vor dem Krieg
die sie immer noch hinten in der Speisekammer hütete
als sie anfing, den Töchtern ins Gesicht zu sehen
auf der Suche nach Spuren, die sie im eigenen Gesicht
nicht fand, als sie nicht mehr vor Angst aufwachte
weil sie vom Bügeleisen geträumt hatte
das nicht ausgeschaltet war, als sie schon manchmal
wagte, die Beine am frühen Nachmittag
übereinanderzuschlagen, fraß sich ein Krebs
in ihre Gebärmutter, wuchs und wucherte
und drängte meine Mutter langsam aus dem Leben.

2
Zehn Tage nach ihrem Tod war sie im Traum plötzlich
wieder da. Als hätte jemand gerufen, zog es mich
zum Fenster der früheren Wohnung. Auf der Straße
winkten vier Typen aus einem zerbeulten VW
einer drückte dabei auf die Hupe. So ungefähr
sahen die berliner Freunde vor fünf Jahren aus.
Da winkt vom Rücksitz auch eine Frau:
meine Mutter. Zuerst sehe ich sie
halb versteckt hinter ihren neuen Bekannten.
Dann sehe ich nur noch sie
ganz groß wie im Kino, dann ihren mageren weißen Arm
auf dem auch in Nahaufnahme kein einziges Härchen
zu sehen ist. Wenn sie eilig am Gasherd hantierte
hatten ihr die Flammen häufig die Haare versengt.
Am Handgelenk trägt sie den silbernen Armreif
den ihr mein Vater noch vor der Verlobung geschenkt hat.
Mir hat sie ihn vererbt. Ich die gebohnerten Treppen hinab.
An der Haustür höre ich schon ein Kichern: Mama!
rufe ich, der Nachsatz will mir nicht über die Lippen.
Meine Mutter sitzt eingeklemmt zwischen zwei
lachenden Jungen. So fröhlich war sie lange nicht mehr.
Willst du nicht mitfahren? fragt sie. Aber im Auto
ist doch kein Platz, sage ich und blicke
verlegen durch ihre seidige Bluse
so eine trug sie zu Lebzeiten nie
auf ihre junge, noch ganz spitze Mädchenbrust
und denke, ich muß den Vater rufen. Da heult schon
der Motor auf, die klapprige Tür wird von innen
zugeworfen. An der Haustür könnte ich mich ohrfeigen.
Nicht einmal die Autonummer habe ich mir gemerkt. 

 

Trauerarbeit

Einmal angenommen, jemand liest dieses Gedicht vor und hält nach dem ersten Teil ein: die Zuhörer werden, sofern ihnen der Text unbekannt war, wohl kaum eine Fortsetzung erwarten. Angesichts seiner Aussage wirkt dieser erste, eigens numerierte Abschnitt sogar erschreckend vollständig. Der Krebstod erscheint als grausam folgerichtiges Ende des Lebens, von dem hier berichtet wird. Eine Frau, die sich vollkommen mit dem traditionellen Rollenbild identifiziert hat, erkrankt an dem weiblich-mütterlichen Organ schlechthin. Ihre begrenzte, weil Grenzen nie in Frage stellende Lebensklugheit war das magere Ergebnis eines langen und gewiß mühsamen Anpassungsprozesses (3–7: „als sie so geworden war / wie eine anständige Frau werden mußte / klüger als die Großmutter, ergebener als die Tanten / sparsamer in der Küche und in der Liebe als eine / der das Glück in den Schoß gefallen war“), Doch dieser Verzicht wird ihr nicht honoriert. Im Gegenteil: von Zweifeln an ihrer bisherigen Identität bleibt sie nicht verschont, eine Chance zur Veränderung hat sie dagegen keinesfalls mehr. Denn „als sie anfing, den Töchtern ins Gesicht zu sehen / auf der Suche nach Spuren, die sie im eigenen Gesicht / nicht fand“ (12–14), war es bereits zu spät. Aus der Erkenntnis, etwas versäumt zu haben, konnte sie keine praktischen Konsequenzen ziehen. Selbst die kleinen Erleichterungen (14–16: „als sie nicht mehr vor Angst aufwachte / weil sie vom Bügeleisen geträumt hatte / das nicht ausgeschaltet war“) und minimalen Freiheiten (16–18: „als sie schon manchmal / wagte, die Beine am frühen Nachmittag / übereinanderzuschlagen“) vermag sie kaum mehr zu genießen. Denn eine unerbittliche Gleichzeitigkeit wird schon durch die beständige Wiederholung der Konjunktion „als“ angedeutet. Die Frau, von der hier die Rede ist, stirbt in dem Augenblick, da der Wunsch nach Veränderung und erste zögernde Schritte in dieser Richtung sich abzeichnen.
Vielleicht erkrankt sie sogar, weil sie ahnt, daß ein tiefgreifender Wandel gar nicht mehr möglich ist, weil Wut und Trauer über das Versäumte sonst übermächtig würden. So zynisch es klingen mag, man ist versucht zu sagen, sie stirbt, wie es sich für eine „anständige“ Frau gehört, nämlich passiv und ergeben: der „Krebs […] wuchs und wucherte / und drängte meine Mutter langsam aus dem Leben“ (18–20). Die Tragik dieses Schicksals, das dem hartnäckigen Vertrauen der meisten Menschen auf ausgleichende Gerechtigkeit hohnspricht, betont die Autorin durch die Art der Darstellung. Die Geschichte der Mutter wird in ein einziges monströses Satzgebilde gedrängt. Jeweils mit demselben Bindewort eingeleitete, epische Breite suggerierende Gliedsätze, denen meist noch ein untergeordneter Satz folgt, reihen sich aneinander, bis schließlich der übergeordnete Satz die entscheidende Information preisgibt. Diese ungewöhnliche syntaktische Konstruktion bewirkt zweierlei: zum einen wird die Spannung so kunstvoll gesteigert, daß der Schluß besonders kraß erscheint, zum anderen erhält die Entwicklung, wie bereits erwähnt, einen beinahe zwangsläufigen Charakter. Obwohl der Redefluß andauernd stockt, läuft er unaufhaltsam dem Ende zu. Die willkürliche Interpunktion erweckt sogar den Eindruck der Atemlosigkeit, da die eine Pause anzeigenden Kommata zum großen Teil fehlen.
Mit der eindringlichen Anklage einer empörenden Ungerechtigkeit, die ja nicht nur der einen, sondern vielen Frauen widerfahren ist, begnügt sich die Autorin nicht. Der zweite Teil, der sich von dem ersten auch durch den weniger komplizierten, parataktischen Satzbau unterscheidet, bringt mit und in seiner Traumhandlung ganz neue Dimensionen. Die Tochter, im ersten ,Kapitel‘ nur Berichterstatterin, wird jetzt aktive Mitspielerin und sieht sich im Traum mit der Vergangenheit konfrontiert:

Als hätte jemand gerufen, zog es mich
zum Fenster der früheren Wohnung.

Die „vier Typen aus einem zerbeulten VW“, die sich bald als die „neuen Bekannten“ der Mutter entpuppen, erinnern die Tochter an die „berliner Freunde vor fünf Jahren“. Die Assoziation zur Studentenbewegung ist naheliegend, und zweifellos soll dies ein Hinweis auf die Erlebnisse sein, die im Gesicht der Tochter jene „Spuren“ hinterlassen haben, die ihre Mutter „im eigenen Gesicht / nicht fand“. Wenn aber ihre „neuen Bekannten“ (29) im Traum den alten der Tochter ähnlich sehen, darf man annehmen, daß der Mutter nun auch vergleichbare Erfahrungen offenstehen. Überdies verkörpern die „vier Typen“ mit dem „zerbeulten VW“ (24) unbekümmerte jugendliche Lebensfreude. Es ist daher durchaus begreiflich, daß die Tochter ihre Mutter zunächst nur undeutlich, „halb versteckt hinter ihren neuen Bekannten“ wahrnimmt.
Wie die „Nahaufnahme“ (32) beweist, hat sich nicht nur der Umgang der Mutter, sondern auch ihr Äußeres verändert. Die glatte, mithin junge Haut (32: „kein einziges Härchen“) evoziert den Gedanken an ihre reale Jugend, die Zeit „vor der Verlobung“ (36). Nicht nur der Altersunterschied ist gleichsam geschrumpft, die Tochter begibt sich auch räumlich auf die Ebene der Mutter:

Ich die gebohnerten Treppen hinab.
An der Haustür höre ich schon ein Kichern: Mama!
rufe ich, der Nachsatz will mir nicht über die Lippen
(37–39).

Die letzte Zeile bildet eine deutliche Zäsur und läßt den Eindruck von Irritation und Zwielichtigkeit aufkommen. Da der geheimnisvolle „Nachsatz“ unausgesprochen bleibt, ist es ungewiß, ob der vorhergehende Ausruf freudig erregt oder vielmehr erschrocken klingen soll. Wenn jedoch sogar im Traum ein Einfall „nicht über die Lippen“ will, wird er eher angsteinflößend als angenehm sein. Für den Träumenden ist wohl die Erscheinung eines Verstorbenen, der ihm nahestand, dann besonders unheimlich, wenn ihm noch im Traum selbst bewußt ist, daß die betreffende Person nicht mehr lebt. Die Scheu der Tochter, den Ausruf zu vollenden, könnte also aus ihrer Desorientierung beim Anblick der Mutter, von deren Tod sie anscheinend überzeugt ist, resultieren. Schließlich gibt es keinen Grund zu der Annahme, ihre Erinnerungen an Ereignisse „zu Lebzeiten“ oder der Einfall, daß die Mutter ihr den „Armreif / […] vererbt“ (35/37) hat, gehörten nicht zu der Traumhandlung.
In dem Abschnitt, der auf den unausgesprochenen Gedanken folgt, macht die Verwandlung der Mutter in den Augen der Tochter weitere Fortschritte. Sie „sitzt eingeklemmt zwischen zwei / lachenden Jungen. So fröhlich war sie lange nicht mehr“ (40f.). Ihr unbefangenes Angebot mitzufahren findet bei der Tochter ein sehr zwiespältiges Echo:

Aber im Auto
ist doch kein Platz, sage ich und blicke
verlegen durch ihre seidige Bluse
so eine trug sie zu Lebzeiten nie
auf ihre junge, noch ganz spitze Mädchenbrust
und denke, ich muß den Vater rufen
(42–47).

Sicherlich gilt es gerade an dieser Stelle mit psychologischen Deutungen behutsam umzugehen. Dennoch wird man fragen dürfen, ob dort für die Tochter „kein Platz“ ist, wo die Mutter als Konkurrentin erscheint, weil sie ihre Sexualität nicht „vergessen“ hat. Warum hält die Tochter die Anwesenheit des Vaters, der bisher nur an einer Stelle flüchtig erwähnt wurde, auf einmal für dringend erforderlich? Etwa damit er sich am Anblick dieser verjüngten attraktiven Person erfreut? Soll er sich nicht vielmehr – gemeinsam mit der Tochter – über das Treiben seiner gar nicht mehr so „anständigen Frau“ empören und womöglich die Mutter zur Räson bringen? Offene Fragen – gewiß. Aber wem dieses ödipale Dreieck zu konstruiert erscheint, der möge bedenken, daß eine wesentliche Funktion des Traums darin besteht, unbewußte Wünsche und Ängste zu Wort kommen zu lassen.
In diesem Zusammenhang nicht unwichtig ist auch die Tatsache, daß die Mutter gerade in dem Moment verschwindet, als der Gedanke an den Vater heraufbeschworen wird. Das erinnert ein wenig an die aus Märchen und Sage bekannte Situation, in der ein verbotener Ausspruch, beispielsweise die Namensnennung, den unwiderruflichen Verlust der geliebten Person nach sich zieht. In dem Gedicht wird dem Schuldgefühl desjenigen, der zurückbleibt, ganz unpathetisch Ausdruck gegeben:

An der Haustür könnte ich mich ohrfeigen.
Nicht einmal die Autonummer habe ich mir gemerkt.

Mit dieser lakonischen selbstkritischen Bemerkung endet nicht nur die Traumsequenz, sondern der Text insgesamt. Die Mutter ist endgültig unerreichbar, das Versäumte nicht wiedergutzumachen. Der Schluß des Traums verweist also wieder auf die Realitätsebene, indem der Gedanke an die Endgültigkeit des Todes realisiert wird. Will man nun die Beziehung zwischen den beiden Teilen des Gedichts genauer untersuchen, gilt es die formalen und inhaltlichen Entsprechungen, die der Verknüpfung dienen, zu analysieren. Die im Traum erfolgreiche Suche der Mutter nach einer neuen Identität, wozu sie gewissermaßen Erlebnisse der Tochter benutzt, wurde bereits erwähnt. Eine weitere subtile Äquivalenz zwischen Realitäts- und Traumebene ergibt sich aus der Art und Weise, wie die „Hoffnung […] / einmal eine Dame im Pelz zu sein“ (9f.) auf ihren eigentlichen Kern zurückgeführt und eingelöst wird. Im Traum trägt die Mutter nämlich eine „seidige Bluse“ (44), ein Kleidungsstück also, mit dem man eher Schmiegsamkeit und fließende, lässige Bewegung assoziiert als damenhafte Eleganz. Das ursprüngliche, aus „Modeheften vor dem Krieg“ (10) stammende Idealbild wird dadurch zwar indirekt kritisiert, seine Gültigkeit in Frage gestellt; der sich dahinter verbergende Wunsch der Mutter nach einem schöneren, unbeschwerten Dasein, nach ein wenig Glanz und Überfluß kann hingegen auch von der Tochter akzeptiert werden. Die „seidige Bluse“ wäre demnach als die ,wahre‘ Erfüllung eines legitimen und authentischen Anspruchs, der sich eben nur mit Hilfe des Klischees von der „Dame im Pelz“ artikulieren konnte, zu verstehen.
Diese utopischen Elemente der Traumebene sind allerdings kaum dazu angetan, mit dem Schicksal der Mutter versöhnlich zu stimmen. Eher im Gegenteil: wenn nämlich die Mutter früher wirklich so aktiv und lebensfroh gewesen sein sollte, wie sie im Traum erscheint, wäre ihr Leben erst recht als verfehlt zu bezeichnen. Denn das hieße, daß vorhandene Ansätze einer befriedigenderen Entwicklung in den fünfundzwanzig Jahren seit der Familiengründung fast restlos vernichtet wurden. Eine optimistischere Deutung könnte sich hingegen allein auf die bloße Vermutung stützen, das Porträt des ersten Teils sei völlig einseitig und verzerrt. Die Tochter wisse eben nicht, die Befriedigung, die der Mutter aus der Aufzucht der Kinder, der Sorge für das leibliche und seelische Wohl der Familie und nicht zuletzt aus der Anerkennung ihrer Leistung erwachsen sei, angemessen zu würdigen. Eine solche Argumentation kann sich jedoch kaum auf den Text, sondern im Grunde nur auf den begreiflichen Wunsch, dem Leben und Sterben der Mutter eine tröstliche Perspektive abzugewinnen, berufen. Die dem Gedicht selbst zu entnehmende Botschaft, daß der mehr oder minder freiwillige Verzicht auf Selbstverwirklichung längst nicht in jedem Fall honoriert wird, ist zwar pessimistischer, aber auch weniger illusionär.
Andererseits wäre es völlig verfehlt, die starke versöhnliche Tendenz des Textes zu ignorieren. Wie läßt sich dieser Widerspruch lösen? Ich glaube: dialektisch; oder bescheidener formuliert: im Hinblick auf die Tochter. Denn für sie hat das Bild einer selbstbewußten, aktiven und vitalen Mutter vermutlich durchaus eine tröstende und Hoffnung spendende Funktion. Während ihr das im ersten Teil geschilderte Leben nur als negatives Beispiel dienen kann, vermag sie sich mit den im Traum wahrgenommenen Seiten der Mutter, die ja möglicherweise im Keim vorhanden waren, sich aber nie voll entfalten durften, zu identifizieren. Das Dilemma, entweder so zu werden wie die Mutter oder sie ablehnen und jede Ähnlichkeit mit ihr leugnen zu müssen, bleibt der Tochter erspart.
Ebendieser Aspekt sollte verdeutlichen, worin der besondere Wert des Gedichts liegt. Ganz abgesehen von der ästhetischen Qualität, die sich vor allem in der gelungenen Kontrastierung und Verknüpfung der Traum- und der Realitätsebene erweist, wird hier ein überzeugender Ansatz zu erfolgversprechender Trauerarbeit präsentiert. Die Autorin führt uns eine produktive Form der Auseinandersetzung mit der elterlichen Biographie vor, die ohne Idealisierung, aber auch ohne Denunzierung auskommt.
Während Ursula Krechel in dem hier besprochenen Gedicht ihr Anliegen sehr subtil und behutsam vorträgt, erscheint die Aussage in anderen Texten des Lyrikbandes Nach Mainz! oft allzu plakativ (vgl. „Unruh“, S. 89). Vor allem in dem Titelgedicht preist die Autorin in „hymnischer Naivität“ (Stephan, S. 494) eine Form der Befreiung, die zur Pseudoemanzipation gerät. Es heißt dort:

Angela Davis, die Jungfrau Maria und ich
liegen in klammen weißen Betten
in einem Krankenhaus, dritte Klasse.
Wir reden nicht viel. Im Nebenraum
plärren die Säuglinge, die man uns abgepreßt hat.

Als die jungen Mütter erfahren, daß „alle Sozialisten nach Süddeutschland verbannt“ sind, stürzen sie sich frohgemut und ohne ihre Babys – „Die Nachkommen gehen eigene Wege“ – in den Rhein:

Obwohl wir gegen den Strom schwimmen, kommen wir
gut voran.

Von der „Roten Hilfe begrüßt“, landen die drei wohlbehalten in „Mainz“. (Dort gab es schließlich einmal eine richtige Jakobinerrepublik!) Mehr als ein „liebenswert versponnener Utopismus, der besser nicht auf seinen ernsthaften politischen Gehalt abgeklopft werden sollte“ (Stephan, S. 495), ist da nicht zu entdecken.
Ein Gedicht wie „Meine Mutter“ ist dem oben erwähnten Text nicht etwa deswegen vorzuziehen, weil es sich auf private Leiden und Konflikte konzentriert, sondern weil es in dem besonderen Schicksal allgemeine Strukturen erkennbar macht, weil es die ökonomischen, sozialen und ideologischen Zwänge keineswegs verschweigt und weil es auf eine in leuchtenden Farben geschilderte Utopie, die jede schlimme oder auch nur schwierige Realität schlicht überspringt, verzichtet. 

1

Elisabeth Hoffmann, aus Walter Hinck (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Band 6 Gegenwart, Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1982

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