Eugen Gomringer und Franz Hohler: Zu Eugen Gomringers Konstellation „das schwarze geheimnis“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Eugen Gomringers Konstellation „das schwarze geheimnis“. –

 

 

 

 

EUGEN GOMRINGER

 

 

Gedicht von Eugen Gomringer: „das schwarze geheimnis“ als Kunstwerk

 

 

das schwarze geheimnis

konstellationen der konkreten poesie fallen vielleicht zuerst durch unterschiedliche textbilder auf. aber eigentlich versteht sich das von selbst. ein gedicht über oder mit WIND kann nicht die gleiche gestalt aufweisen wie ein permutatives gedicht über straßen mit blumen und frauen. die inhalte der konkreten poesie fordern mittelbare visuelle darstellung. als ferne vorbilder darf an die figurengedichte der dichter des barockzeitalters erinnert werden.
es kann der kurze satz das schwarze geheimnis ist hier in einer zeile geschrieben werden. ist damit die „sache“ erledigt? sicherlich macht der satz so oder so nachdenklich. wie in anderen zusammenhängen schon erwähnt, ist für mich die kunst der schrift eine schwarze kunst, eine schattenwerfende kunst. ich wollte den satz, der sich seit langem in mir herausgebildet hatte, so präsentieren, dass er wie bei mir im leser stehen bleibt, nachdenklich macht durch seine formale figur. also will ich deutlich machen, dass das schwarze geheimnis unmittelbar hier ist, hier wo das schreiben und setzen stattfindet, fast unter der hand. und ich bin selbst nicht sicher, ob diese aussage stimmt oder ob sie in frage gestellt werden sollte. simultan ergeben sich mehr als eine überlegung. ich will aber vor allem nicht, dass mir der kleine satz entweicht, denn die unmittelbarkeit der erkenntnis vom hiersein des geheimnisses ist mir grund und motiv. um etwas mit dem blick festzuhalten, eignet sich die figur des quadrats wie wenig andere. der kreis ist mir in diesem fall zu fern oder zu sonnenhaft, zu abgeklärt. das quadrat oder das rechteck mit seinen winkeln bleibt eher aneckend. es ist die figur, die in vielen kulturen anfang und schluss von denkvorgängen ist. so auch der kubus, der aus sechs quadraten besteht.
fast alles konnte ich im textbild des rechtecks wie auch in seiner meisterform, dem quadrat, zu vereinigen versuchen. ich schreibe also: das schwarze geheimis in einer zeile als unumstößliche wahrheit. ich schreibe in zweiter zeile ist hier so weit auseinander, dass zeilenbeginn und -ende meine erkenntnis bilden. gleichzeitig entdecke ich, dass ich den ganzen satz auch senkrecht schreiben kann, wenn ich links beginne. und ich kann mit der vierten zeile den ganzen satz wiederholen, damit er sicher bleibt. das quadrat erlaubt mir in fortsetzung zu schreiben: ist hier das schwarze geheimnis (ohne fragezeichen); und gewohnt, textbilder in jeder richtung zu lesen, kann ich auch mit der vierten zeile beginnen und rechts am zeilenende aufwärts lesen zur vervollständigung meines satzes. die darstellung meines satzes mit der quadratfigur lässt mich erstens den satz, meine grundaussage, als feste fügung darstellen, zweitens als infragestellung, drittens als bestätigung (ja, das schwarze geheimnis ist hier). ich komme nicht aus dem dilemma heraus, ich muss DAS SCHWARZE GEHEIMNIS gerade hier in den blick nehmen und nichts weiter. eine solche fixierung dank der darstellungsform kann vor allem durch das verständnis der konkreten poesie erreicht werden. wenn verse früherer poesien uns in erinnerung bleiben, so bleibt hier ein bild mit seiner innerlichen reflexion haften. kein zweifel auch, dass das geheimnis-quadrat fast überall seinen platz finden kann. auch figurbilder bleiben in erinnerung.

Eugen Gomringer, aus Eugen Gomringer: poema. Gedichte und Essays, Nimbus, 2018

Das schwarze Geheimnis

In seinen Träumen tauchten immer wieder Frauen in langen schwarzen Mänteln und schwarzen Hüten auf. Langsam kamen sie auf ihn zu, stellten einen schwarzen Koffer vor ihn hin, und die vorderste von ihnen, die eine schwarze Sonnenbrille trug, hielt ihm ihre Hand hin und sagte:

Gib uns den Schlüssel.

Er wühlte in seinen Hosentaschen, fand aber keinen Schlüssel und wachte auf.
Die Träume begannen ihn zu ängstigen, und er suchte Hilfe bei einer Therapeutin.
„Gibt es in Ihrem Leben vielleicht ein Geheimnis?“ fragte ihn diese, nachdem er ihr den Traum erzählt hatte.
Er dachte nach und schüttelte den Kopf.

Auch kein schwarzes Geheimnis?

Er dachte nochmals nach und sagte dann:

Nein, auch kein schwarzes Geheimnis.

Sind Sie sicher?

Ja, er war sicher. Was sollte das für ein Geheimnis sein?
Mit der Empfehlung, einmal alle seine Koffer zu öffnen, konnte er nicht viel anfangen und ging ratlos nach Hause.
In der Nacht waren die schwarzen Frauen wieder da.
Um sich zu erholen, fuhr er für ein paar Tage in die Winterferien und nahm seine Schneeschuhe mit.
Als er auf einer langen Wanderung in einem abgelegenen Tal einen Steilhang überquerte und die Lawine kommen sah, schoss es ihm durch den Kopf:

Das Geheimnis ist weiss!

Dann wurde ihm schwarz vor den Augen.

Franz Hohler, aus Eugen Gomringer: poema. Gedichte und Essays, Nimbus, 2018

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