Eugen Gomringer und Martin Krampen: Zu Eugen Gomringers Gedicht „das erste grün“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Eugen Gomringers Gedicht „das erste grüne“. –

 

 

 

 

EUGEN GOMRINGER

 

Das erste grün
das erste rot
das erste gelb
das erste weiss
das erste grün

 

das erste grün

von den 5 zeilen ist die fünfte die Wiederholung der ersten, man versteht das kleine gedicht, wenn man den fast gewohnten ausruf im frühling erkennt: das erste grün, es ist ausdruck der freude, wenn nach schnee- und eisbedeckten wiesen endlich wieder etwas spriesst, das erste rot ist für die begegnung mit der pracht des sommers reserviert, das erste gelb deutet den herbst an. bald schneit es dann zum ersten mal und lässt uns das erste weiss hinnehmen – für die einen fröhlich, für die anderen mit bedenken.
martin krampen, mit dem ich die besten jahre an der hochschule für gestaltung in ulm in freundschaft und sprachlust verbrachte, hatte sich als einer der ersten für meine konstellationen begeistert, für die lehre der visuellen kommunikation verwendete er mehrere meiner arbeiten, die ich bei ihm stets gut aufgehoben wusste.
dass er die vier zeilen der farben konkret farbig umsetzte für einen 5-jahres-kalender, war seine folgerichtige idee. was für den kalender- gebrauch richtig ist, muss aber nicht dazu verführen, dem einfachen text in schwarzem druck tautologisch dem an sich farblosen gedanken die assoziationsfähigkeit weg zu konsumieren.

Eugen Gomringer, aus Eugen Gomringer: poema. Gedichte und Essays, Nimbus, 2018

Die Garderobe der Erde

1954. Die wichtigsten frühen Gedichte von Eugen Gomringer. Ein weisses Bändchen. Ich lese sie einfach, mehrfach. Sie sind farbig, klangvoll. Das sind die Gedichte, die genau in die Zeitläufe passen. Und ich konnte sie diskutieren, mit dem Dichter, mit Eugen Gomringer, Sekretär des damaligen Rektors der eben gegründeten Ulmer Hochschule für Gestaltung. Ich, einer der ersten Studierenden dieses Wahrzeichens des Fortschritts, das sich damals am Bauhaus ausrichtete und aus den kulturellen Trümmern hervorstach. Die Ulmer Hochschule für Gestaltung war übrigens die erste deutsche Schule vom Rang einer Universität, in der im Nachkriegs-Deutschland Semiotik gelehrt wurde – Semiotik, die Lehre von den Zeichen.
DAS ERSTE GRÜN
Eines der Gedichte Gomringers aus den frühen Jahren hat mich besonders bewegt. Es hat sich auch in den letzten Jahren immer weiter erschlossen und zu Ausstellungen und Farbgebungen angeregt. Das Gedicht lautet:

das erste grün
das erste rot
das erste gelb
das erste weiss
das erste grün

Ich habe diese Zeilen von Anfang an spontan auf die „vier“ Jahreszeiten bezogen. Warum? Die Farbworte weckten in mir immer wieder den Eindruck der farbigen Veränderung der Erdoberfläche – aus grosser Höhe betrachtet. Nicht als normale fotografische Ansichten, sondern als globale, monochrome Flächen in den Farben verschiedener Jahreszeiten.
„das erste grün“ erinnerte mich an die Frühlingsverse Paul Gerhardts:

Die Bäume stehen voller Laub.
Das Erdreich decket seinen Staub
Mit einem grünen Kleide…

Paul Gerhard geht in der Beschreibung der Frühlingsfläche weiter ins Detail:

Narcissen und die Tulipan
Sie ziehen sich viel schöner an
Als Salomonis Seide.

Offenbar hat sich durch die Zeile „das erste grün“ des gomringerschen Gedichts mir die Bedeutung der im Frühling alltäglich geäusserten Floskel (Hinweis auf das erste Grün im sichtbaren Umfeld) zur Metapher auf „Bekleidung des Erdreiches“ erweitert.
„das erste rot“ besitzt nicht diesen allgemein sprachlichen Hof einer Floskel. Dennoch reizt der Ausdruck die Suche nach Verallgemeinerung der Bedeutung übet direkte Gegenstände hinaus. Rot ist in zu viele Kontexte verstrickt (politisch, medizinisch u.a.) und kann erst durch die Nachbarschaft zu grün in Gomringers Gedicht mit jahreszeitlicher Metaphorik in Verbindung gebracht werden. In unserer Suche nach flächigem rot aus der Perspektive des Flugzeuges, war es schwierig, grosse rote Felder zu orten. Weite Ausdehnungen von Mohnfeldern waren selten und die holländischen roten Tulpenfelder muteten wenig „natürlich“ an. Ob „rot“ vielleicht nicht zur „Garderobe des Erdreiches“ gehört?
„das erste gelb“ ist zwar als Floskel für Jahreszeiten nicht geeignet. Aber gelb färben sich im Herbst grosse Flächen der zu erntenden und geernteten Erde. Gelb und rot wirken bei der herbstlichen Färbung des „indian summer“ harmonisch zusammen. Ein Flug über herbstliche Wälder öffnet überzeugende Proben der wechselnden Bekleidung des Erdreiches.
„das erste weiss“ wird am Ende unseres Kalenderjahres als wichtiger Anteil der Garderobe des Erdreiches sichtbar. Es erwirbt einen ähnlichen floskelhaften Status wie „das erste grün“ als Refrain angefügt. Dem Weiss des strengen Winters folgt die Hoffnung auf das erste grün des Frühjahres.
Die Farben der Jahreszeiten lassen sich aber nicht gleichmässig auf die zwölf Monate des Jahres verteilen. Das Jahr fängt im Dezember mit Weiss an und das Grün des Frühjahrs beginnt im März. Die endlose Kälte des Winters erstreckt sich über Januar und Februar. Und das Grün setzt sich unterschwellig bis in den Oktober fort. Der Kleiderwechsel des Erdreiches ist voller Überraschungen.
So begnügt sich Gomringer auch nicht mit der jahreszeitlichen Metapher aus sprachlichen Floskeln, sondern zelebriert in einem anderen Gedicht ein farbiges Gebet, das sich allerdings als metaphorische Invokation einer geliebten Person entschlüsselt:

du blau
du rot
du gelb
du schwarz
du weiss
du

Martin Krampen, aus Eugen Gomringer: poema. Gedichte und Essays, Nimbus, 2018

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