Eugen Gomringer: Zu Eugen Gomringers Gedicht „einanderzudrehen“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Eugen Gomringers Gedicht „einanderzudrehen“. –

 

 

 

 

EUGEN GOMRINGER

einanderzudrehen und
aufeinandereinstellen

ineinandergreifen und
einandermitteilen

miteinanderdrehen und
voneinanderlösen

auseinanderkreisen und
einanderzudrehen

aufeinandereinstellen und
ineinandergreifen

einandermitteilen und
miteinanderdrehen

voneinanderlösen und
auseinanderkreisen

einanderzudrehen und

 

einanderzudrehen

zu den charakteristiken konkreter gedichte zählt der enge thematische bezug. durch wiederholung ganzer wörter oder einzelner wortteile in permutationen bleibt das bewusstsein und auch die das lesen oder hören verfolgende sinneswahrnehmung begrenzt. man will es auf kleinem raum, in kleiner szene wissen. konzentration bedeutet ernstes befassen mit einem gegenstand. der gegenstand dieses gedichts EINANDERZUDREHEN ist im lebensbezug sicherlich üppig ausgestattet, im gedicht ist er asketisch dargestellt, auf immer gleiche buchstabenfolgen beschränkt, pragmatisch.
es ist als würde man zwei zahnräder beobachten, das eine vielleicht etwas grösser als das andere, so dass eines auf das andere zukommt, es drehend bewegt. es greift das erste mit seinen zähnen in die zähne des zweiten. vielleicht ist es im leben hin und wieder ebenso. der beobachter der beiden zahnräder sieht aber auch nach deren ineinandergreifen ihr „auseinanderkreisen“, nachdem sie sich etwas mitgeteilt haben. menschliches verhalten scheint sich abzubilden in zwei zahnrädern. und natürlich kommen sie wieder aufeinander zu und das gemeinsame beginnt erneut, immer wieder. wie von selbst ergibt sich jedoch trotz der immer gleichen abfolge des vorgangs ein wechsel in der ordnung des ganzen, so dass zum beispiel das „einanderzudrehen“, das den anfang bildet, nun in der vierten doppelzeile an zweiter stelle steht und damit das „aufeinandereinstellen“ des fünften doppelpaares einleitet. das zeigt an, wie differenziert der vorgang trotz immer gleicher abfolge sich darstellen kann. dazu ist die schriftlichkeit der sprache besonders geeignet.
es ist verständlich, dass dieses gedicht gerne als choreographie aufgefasst und verwendet wird. ich habe gelegentlich von meinen konkreten gedichten als von blaupausen – blueprints – gesprochen. das heisst, ihr geistiger gehalt kann übernommen werden in andere bereiche. vor allem bildet er reale beziehungen ab, von denen sie wahrscheinlich ja auch grösstenteils konkret sprachlich herrühren. die oft gestellte frage: „woher nehmen sie oder haben sie diesen oder jenen stoff?“ erschliesst sich von selbst bei einem seitenblick auf gelebtes leben.

Eugen Gomringer, aus Eugen Gomringer: poema. Gedichte und Essays. Nimbus, 2018

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