Eva Demski: Zu Ferdinand Hardekopfs Gedicht „Zwiegespräch“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ferdinand Hardekopfs Gedicht „Zwiegespräch“ aus Ferdinand Hardekopf: Gesammelte Dichtungen. –

 

 

 

 

FERDINAND HARDEKOPF

Zwiegespräch

Doctor Schein und Doctor Sinn
gingen ins Café;
Schein bestellte Doppel-Gin,
Sinn bestellte Tee.

Seitlich von dem Plauderzweck
Nahmen sie dabei:
Schein – verlognes Schaumgebäck;
Sinn – verlornes Ei.

Dialog ward Zaubertext,
Nekromantenspiel;
Zwieseits wurde hingehext,
Was dem Geist gefiel,

Was dem Sinn Erscheinung schien,
Was der Schein ersann.
Schein gab Sinn, und dieser ihn,
Und die Zeit verrann.

Und die Stunde kam herein
Leis’ des Dämmerlichts.
Schein verging zu Lampenschein,
Sinn verging zu Nichts.

 

Abschiedsgedicht

Ein Blick zurück, ein eher beiläufiger Blick über die Schulter in eine kleine Welt, die, zusammen mit der großen, fast unbemerkt versunken ist: das Caféhaus. Außer ein wenig pflichtschuldiger Trauer, verklärter Beschreibung und der Ahnung einer anregenden Mischung von geistiger und körperlicher Erfrischung ist nichts davon übriggeblieben. Hier aber öffnet es sich unverklärt, von seinem Untergang noch nichts ahnend; ein Gedicht wie ein Raum: Ferdinand Hardekopfs „Zwiegespräch“.
Die Szenerie verliert sich im Dunkel, der Text richtet sich wie eine Lampe auf einen Tisch, an dem zwei sitzen und reden. Der Raum kann nur das Caféhaus sein, der Inbegriff, die Idee aller Caféhäuser, sei es in Berlin oder in Wien, und die beiden, die vom Gedicht beleuchtet an diesem Tisch sitzen, sind die Idee des Caféhausgängers, das müßiggängerische, schwatzende, räsonnierende Ich samt seinem Gegen-Ich: Doctor Sinn und Doctor Schein.
Wir wissen: Hardekopf läßt uns einen Blick in einen Raum tun, der für immer verloren ist. Obwohl er ihn uns nicht zeigt, kennen wir alle seine Einzelheiten, die man nicht nachbauen kann – aber wie ist es mit den zwei Herren, die so schattenhaft dasitzen? Sind sie mit untergegangen, damals, als alles in Scherben fiel? Oder kann man ihre Nachfahren treffen, leise, leichte Speisen und scharfe Getränke zu sich nehmend und in einen Dialog versunken, von dem der Dichter uns den Inhalt nicht verrät, die Form aber neiderregend vorführt: „Zwieseits wurde hingehext / Was dem Geist gefiel“ – haben wir in letzter Zeit welche gesehen, bei denen uns solche Zeilen in den Sinn gekommen wären? Nicht wirklich: Das versunkene, ineinander versunkene Paar der Doctores Schein und Sinn bietet ein stilles, anmutiges Bild – „Und die Zeit verrann“.
Heutzutage sorgen ihre Nachfahren für Lautstärke, ob es sich nun um Schein oder Sinn handeln mag, Hörbarkeit und Sichtbarkeit sind wichtig, auch wenn Unsinn zum Vorschein kommt. Die Wahl der Speisen allerdings aus der zweiten Strophe mutet vertraut an und könnte auch heutigentags so getroffen werden.
Spät, aber um so dringlicher die Frage: Wer war der Dichter? „Leichtigkeit, Anmut und Ironie“ hat ihm Peter Panter alias Kurt Tucholsky attestiert, das sind in Deutschland verdächtige Tugenden und haben schon manchem den Weg in den innersten Kreis des literarischen Himmels verstellt. Gelebt hat Hardekopf von 1876 bis 1954, in Oldenburg ist er geboren, in Leipzig ging er zur Schule, Berlin wurde seine Stadt und Frankreich und die Schweiz sein Exil. Das ist exemplarisch für unser Jahrhundert und die Wege seiner Dichter. Er war ein Zeitungsschreiber und Essayist, einer, der die kleine Form gewählt hat – und heute kennt ihn keiner mehr. Das Leichte, Anmutige, das er verkörpert, hat die Eigenschaft, ebenso leicht und anmutig zu verwehen, weil nur wenige es festhalten mögen.
In diesem Zwiegespräch, mit dem Hardekopf hier ins Gespräch gebracht werden soll, läßt er seine Figuren zum Schluß sich auflösen wie eine Geistererscheinung – und das ist nicht nur ein zarter Hieb, ein fast schmerzloser Hieb gegen jene Art von Gesprächen, bei denen man sich später nur wenig an den Schein und gar nicht mehr an den Sinn erinnern kann, sondern auch eine fast E.Th.A. Hoffmannsche Vision. Wieder das Wort „leise“ – und heute gelesen, klingt es wie ein Abschiedsgedicht.

Eva Demskiaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Dreizehnter Band, Insel Verlag, 1990

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