Eva Demski: Zu Johannes Bobrowskis Gedicht „Roter Mohn“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Johannes Bobrowskis Gedicht „Roter Mohn“ aus Johannes Bobrowski: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2: Gedichte aus dem Nachlaß. –

 

 

 

 

JOHANNES BOBROWSKI

Roter Mohn

Leuchtender! Die wilden Winde
übersteht dein Leuchten nicht,
aber leih’ mir, daß ich’s binde,
dein Erglühen zum Gedicht.

Nicht daß davon je geblieben
wär dein Bild, das Rot darin!
Immer, was wir herzlich lieben,
geht dahin, wie Rauch dahin.

 

Die leeren Stengel der Poesie

Viele Mohnblumen wachsen im Garten der Poesie bei Gustav Falke und Paul Celan, bei Ludwig Uhland, Richard Dehmel und eben auch bei Johannes Bobrowski. Aber der erzählt uns wenig über die rote Blume, sondern schreibt in seinen knappen, klassisch klingenden zwei Strophen ein Gedicht, das er dann nicht schreibt, nicht schreiben kann.
„Leuchtender!“ So spricht man eigentlich einen Gott an, und wer dieses Gedicht liest, wird aufgefordert, das Rot des Mohns vor seinem inneren Auge aufscheinen zu lassen. Es ist das reinste Rot, mit keiner anderen Farbe zu vergleichen. Selbst die kümmerlichen Mohnblumen an der Autobahn fangen im Vorbeirasen unsere Blicke ein mit ihrem Rot und halten sie einen Moment fest. Bobrowski, der 1917 in Tilsit geboren wurde, hat an der Memel, an der Weichsel und dann in Masuren, wo die Familie später lebte, weite, leuchtend mohnblumenübersäte Felder sehen können, wie sie es bei uns schon lange nicht mehr gibt. Was er als Dichter aber mit sich getragen haben könnte – vielleicht schon bevor er Brechts „An die Nachgeborenen“ kannte –, dass ein „Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen“ sei. Wie viel mehr noch eines über Blumen? Bobrowski gehörte der Bekennenden Kirche an, war als Soldat, als Gefreiter, an verschiedenen Kriegsschauplätzen eingesetzt und musste dann als Kriegsgefangener in einem russischen Bergwerk arbeiten. Nach dem Krieg entschied er sich für den Osten Deutschlands. Er war aber auch im Westen bekannt und Mitglied der Gruppe 47.
Nicht nur das Gespräch über Bäume geriet in Verdacht. Gedichte über Blumen werden auch ohne politische Begründung oft als etwas den ernstzunehmenden poetischen Sujets Ausweichendes empfunden, als eine Art Dichtererholung, Divertimento, Nebenwerk. Dabei haben sie es ganz schön in sich, Goethes Veilchen, Rilkes Hortensien, Benns Astern und Brechts Rosen.
Mit dem Mohn aber hat es eine besondere Bewandtnis, und die macht Bobrowski sich zunutze. Bestimmt war ihm bewusst, was die schöne Blume so einzigartig macht: ihre Verbindung zum Rausch, zum Schlaf, zum Vergessen. Ein Windhauch schon trägt die Blütenblätter davon, und wenn man doch versucht, einen Strauß Mohnblumen zu pflücken, wenn man doch versucht, das unglaubliche Rot nach Hause zu tragen – man wird mit leeren Stengeln daheim ankommen. Von den leeren Stengeln der Poesie erzählt uns Bobrowski, der so wunderbar genau der Natur zuschauen konnte: Der Mohn soll seinem Gedicht das „Erglühen“ leihen. Aber die ersten zwei Zeilen der zweiten Strophe resignieren: Man kann sie nicht aufheben, die Farbe der Liebe, das Rot, das Lebendige. In Wahrheit kann man gar nichts aufheben.
Auch die vielen Maler, von Huysum bis van Gogh oder Monet, die sich in den Mohn verliebt hatten, sind dieses Rots nicht Herr geworden, so schön ihre Bilder sein mögen. Und so fliegt Bobrowskis Gedicht sich gleichsam selber davon, ohne dass wir Nachgeborenen erfahren, um was der Dichter hier trauert. Er entlässt uns ein bisschen ratlos, mit der Melodie eines uralten Schlagers im Ohr, den er wahrscheinlich gekannt hat: „Roter Mohn, warum welkst du denn schon…“ – aber berührt von der Anmut dieser acht Zeilen, die um die ewigen Themenschwestern Vergänglichkeit und Vergeblichkeit schweben. Mohnblütenblätter in ihrer zerknitterten Seidigkeit zaubern sie uns vor Augen. So dass Bobrowski sicher einverstanden wäre, wenn wir dem Dichter Ludwig Uhland das letzte Wort geben:

Die Schatten, die ich sehe,
Sie sind, wie Sterne, klar.
O Mohn der Dichtung! Wehe
Ums Haupt mir immerdar!

Eva Demskiaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfunddreißigster Band, Insel Verlag, 2012

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