Eva Zeller: Zu Bernd Jentzschs Gedicht „Sommer“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Bernd Jentzschs Gedicht „Sommer“ aus Bernd Jentzsch: Quartiermachen.

 

 

 

 

BERND JENTZSCH

Sommer

Hier in den Mulden, in den schäumenden Wiesen,
Im Regen, der uns segnet und sonderbar singt,
Auf dem offenen Feld, im Hafer, der uns jetzt sticht,
Im Tollkraut, im Tollkraut, dunkel und licht,
Liebste, hier wolln wir machen, was den Tod
Zu Tode erschrickt, hier, im singenden Regen,
Damit es aufgehe in deinem Leib wie ein Brot,
Auf dem roten Acker, mein ein und mein alles,
Im Regen, Liebste, und nicht unterm Dach,
Hier, wo wir singen, in den schäumenden Wiesen.

 

Der Ernstfall Liebe

Gefühl, so hat Hölderlin gesagt, sei die beste Nüchternheit des Dichters, vorausgesetzt, dieses Gefühl sei richtig, warm, klar, kräftig.
Selten habe ich ein Gedicht gelesen, in dem ein richtiges, warmes, klares, kräftiges Gefühl vom ersten bis zum letzten Wort in übereinstimmender Fülle so zur Sprache gekommen ist wie in dem Gedicht „Sommer“ von Bernd Jentzsch.
Dieses Liebesgedicht ist der äußerste Gegensatz zur konkreten Poesie mit ihrem ausgeworfenen Silbenschutt. Kein kühles Operieren im Wortelabor, kein Spielen auf Mallarmés Worteklavier, kein Abbau des personalen, poetischen Bewußtseins, keine vorsätzlichen produktiven Dunkelheiten – und wie immer die aus ernsthafter künstlerischer Not durchexperimentierten Stilmittel heißen, die erprobt werden mußten, weil immer ungültiger werdende Lebensgewißheiten die Poeten dazu zwangen. Das Erstaunliche an den Gedichten von Bernd Jentzsch – und an dem hier vorgestellten insbesonders – ist die Tatsache, daß hier einer ohne alle artistischen Raffinements auskommt, daß keine Zeile dieses Gedichts sich ins hochpoetische Nichts zurückzieht.
Mit welchen Stilmitteln, wenn nicht mit den modernen oder modernistischen der Verfremdung und Irritation erreicht Bernd Jentzsch die Dichtigkeit und Triftigkeit seiner Verse?
Das einstrophige Gedicht beginnt mit dem Wort „hier“, und dieses „Hier“ steht viermal in zehn Verszeilen und leitet jeweils eine eindringliche, beschwörende Ortsbestimmung ein, als müsse das Wo um so genauer beschrieben werden, weil das Was durch ein einziges falsches Wort verdorben werden könnte.
„Hier“ bezeichnet den Ort (nicht den Schauplatz) eines unaussprechlichen Glücks. Unaussprechlich? „Im Regen, der uns segnet.“ Bernd Jentzsch scheut einen solchen Satz nicht. Als falle er sich aber rasch selbst ins Wort nach dieser hymnischen Zeile heißt es fast spitzbübisch in der Manier Anakreons weiter: „Im Hafer der uns jetzt“ (ganz drastisch) „sticht“! Und nun folgt das zweifache „Im Tollkraut, im Tollkraut“. Ein Wort, ein botanischer Terminus, leiht wortwörtlich der Liebesverzückung seinen Rausch und Taumel. In einer Zeit, in der Sexualität zum Konsumartikel geworden ist, spricht ein Dichter von der Liebe mit Worten, die keine Schwüle aufkommen lassen und schon gar keine Kälte.
„Damit es aufgehe in deinem Leib wie ein Brot!“ Diese Zeile offenbart vollends, daß es sich hier um den Ernstfall Liebe handelt. Diesem „Wie ein Brot“ folgt die Zeile, in der es Jentzsch gelingt, der abgegriffenen, verkitschten Redewendung „mein ein und alles“, diesem „Gartenlaube“-Jargon, ihren ursprünglichen innigen Wortsinn zurückzugeben, indem er lediglich das Wörtchen „mein“ einschiebt:

Mein ein und mein alles.

Wenn es so etwas wie die Auferstehung gestorbener Worte gibt, hier hat sie sich ereignet: in diesen Versen voller vitaler Wärme.

Eva Zelleraus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfter Band, Insel Verlag, 1980

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