Lesung Papenfuß, Anderson, Falkner nach Filmpräsentation KLING KOPF SCHWINGEN

Ulkiges zum Schluß

Aus aktuellem Anlaß noch ein letztes: Auf der von Egmont Hesse betriebenen Internetseite „planet lyrik“ finde ich dieser Tage den Videomitschnitt einer im vergangenen Jahr durchgeführten Kneipenlesung von Bert Papenfuß, Sascha Anderson und Gerhard Falkner. Um meinen Eindruck gleich vorwegzunehmen: Mit soviel veteranenhafter Selbstgefälligkeit, wie sie von den ersten beiden Kollegen auf der kleinen Lesebühne der, Papenfuß gehörenden, Kneipe vorgeführt wurde, war zwar zu rechnen gewesen, aber dann trotzdem unangenehm interessant. Vor allem der Gedichtevortrag des seit alten Galrevtagen nicht mehr gehörten Anderson ließ mich wider Erwarten nicht kalt, sondern eher frösteln. Er hatte, wie sich bereits nach wenigen Zeilen herausstellte, tatsächlich noch immer die alte, unklar pathetisch verstrickte Masche, fischte mit ihr im Trüben nach wer weiß was, wahrscheinlich nach erlesenen Kunden, die es ihm abnehmen würden, daß seine „Hier-stehe-ich-und-kann-nicht-anders“-Pose das Zeugnis eines heroischen Durchhaltevermögens und nicht nur Ausdruck einer gespenstisch dauerhaften Selbstverstocktheit ist. Es hat mich anschließend noch fast ergebnislos ins Grübeln darüber gebracht, wozu Worte bei manchen so alles herhalten müssen: Dichtkunst als Charakterpanzer. Poesie als immerwährendes Mysterium der Kränkung, daß einer nicht derjenige sein durfte, der zu sein er vorgab. – Ich bin der Held der Tragödie, ich werde sie überleben, so wie ich auch die eigene Wahrheit überleben werde, und zwar, indem ich sie nicht zulasse. Es ist schließlich meine Wahrheit, also kann ich auch mit ihr machen, was ich will. Diejenigen, die das dürftig finden, sind nur Menschen, die mir ans Bein pinkeln wollen. Mich interessieren deren Namen ebenso wenig, wie mich Namen interessieren, die Menschen ihren Hunden geben. –  Mit paradoxen Sätzen wie diesen ließe sich, unter Verwendung einiger weniger Originaltonsplitter aus einem der zum besten gegebenen Gedichte, mein Eindruck vom Subtext der Botschaft kommentieren, die Anderson auf das (auf dem Video nicht zu sehende) Publikum richtete. Auf der kleinen Lesebühne schien eine vor fünfundzwanzig Jahren zu Ende gegangene Zeit eingefroren worden zu sein. Die Kollegen agierten hinter der virtuellen Eiswand wie kostümierte Puppen in einem Selbstbespiegelungsspiel. Die P-Puppe trug einen brettartigen Heavy-Metal-Bart, der ihren verschmitzt verklausulierten Szenewitzen eine zusätzliche Erhabenheit über jede Kritik verlieh; die A-Puppe, ganz in grau, mit pelziger Schiffchenmütze und einem Janker angetan, changierte in ihrer aparten Anmutung irgendwo zwischen „unser kleiner  Trompeter“ und „der standhafte Zinnsoldat“; und die F-Puppe, als die ich den eigentlich verehrten Gerhard Falkner in das psycho-poetische Selbstverspielungstheater mit einzubeziehen nicht umhin kann, weil er halt mit einbezogen war, hielt sich vornehm zur Seite und paßte auf, daß sie weder genau in die Darbietung der beiden anderen paßte, noch ganz aus dieser herausfiel. Kann aber auch sein, das Auftreten der drei verstand sich als eine Art von Gipfeltreffen, als ein Stelldichein dreier einsamer Spitzen aus dem unübersichtlichen Wald der nicht überall so hochstehenden dichterischen Lebensgrößen. Normalerweise gebe ich nicht vor mir selber damit an, daß mein Bedürfnis nach etwas mehr wirklichem, d. h. den Verstand erhellenden und das Herz erwärmenden Licht bei dergleichen Ritualen des anspruchsvoll maskierten Eigendünkels völlig fehl am Platz wäre. Doch nun habe ich in fahrlässiger Laune dieses Video aufgerufen und stehe nach vielen Jahren der wohltuenden Enthaltsamkeit von jederlei poesierlichem Budenzauber für ganz harte und mittlerweile auch ziemlich alte Jungs plötzlich wieder im Wald, dem Wald der feinsprachlichen Holzereien um den Käfig mit der interessantesten Sprachmeise. Aber das ergab sich nur durch einen Mausklick auf ein Video. Und jetzt bin ich platt, wie einer nur sein kann, der ausgerechnet das Faß aufmachen wollte, von dem er gerade überrollt wurde. Doch ganz offen und ehrlich, sozusagen von Mensch zu Faß gesagt: Mach dich ohne mich auf. Roll mir aus der Sonne. …  – – –  … Möge der Närrischste den Käfig erringen. Möge der Verlorenste gewinnen. … Friede allen gesprungenen Spiegeln. Krieg den Selbstverblendungen. … Und, Sascha Anderson, nimm es mir nicht krumm, daß ich dich kurz als Puppe hinter einer Eiswand auf den Arm genommen habe. Wenn es dich in deinem Grimm auf jene, die dich nie begreifen werden, bestärkte, nähme ich die herablassende Verniedlichungsgeste zurück. Friede dem Konjunktiv. Salve dem wunden Punkt.

Andreas Koziol, Ausschnitt aus seinem Essay „Lügen und Wahrheiten.“

 

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