Felix Philipp Ingold: Ausgesungen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Felix Philipp Ingold: Ausgesungen

Ingold-Ausgesungen

Ich gilt als Versprechen. Du ist
der erste Verrat.
Für die
die es wissen. Von wir an
braucht’s kein Wort. Meer genügt.
Wir sind
ohne Vergleich. Wie das Bild.
Etwa so.

 

 

 

Vorm Wort

Dieses große Gedicht beginnt, wenn man später sich daran erinnert, hörbar zu werden als ein ganz bestimmter, „unwiederholbarer“ Rumor.
So hören wir auch, selbst außerhalb des Wortzusammenhangs, den wie am Tag der Welterschaffung sich hochtürmenden Berg der Zwetajewa oder die „Wolke in Hosen“ des zweiundzwanzigjährigen Majakowskij.
Der erwähnte (ich wiederhole – ein ganz und gar „spezifischer“) Rumor nämlich ist’s, welcher, gleichsam „in der Schwebe“, die kompakte, zugleich schwingende Stimmigkeit dieses Werks aufrechterhält – das keine Verserzählung ist, vielmehr ein eigentliches Poem-als-Monolog.
„Die Wahrheit in der Kunst ist – Glut“, – dies notierte ich einst, für mich selbst, als „Arbeits“-Definition.
Rumor und Glut… Diese Eigenwerte tiefer Bekenntnishaftigkeit (verwandt, meiner Ansicht nach, der „russischen“ Entblößtheit – obscenitas eines Lermontow, eines Majakowskij…) werden in Felix Philipp Ingolds Dichtwerk nicht nur kraft anhaltender Nachdenklichkeit reguliert, sondern auch durch ruhige moralisch-erkenntnishafte Furchtlosigkeit.
Wagemutig ist der Dichter auch, wie ich es sehe, in seiner schmerzlichen Fühlungnahme mit einer Art von „vorgeschichtlicher“ Naturhaftigkeit (für uns ist „Geschichte“ fast schon bis zur Banalität identisch geworden mit Tragik, und der Dichter verweist uns auf die gefährlichen Gegebenheiten eines Anfangs der Anfänge; wir haben unsre „Tränen mit Brot verzehrt“, doch Wagemut braucht es nicht allein für das „gesellschaftliche“ Leben, sondern auch dafür, daß wir die uns auferlegte Pflicht, „überhaupt“ in dieser Welt zu verweilen, erfüllen können: „die Ehre, gewesen zu sein“).
Gar nicht so einfach ist hier auch „die Wiederholbarkeit Gottes in allen Namen“, die – uns – gewisse „unsrer“ Grundfesten entzieht; und auch nicht einfach ist die Aktualität des „Sexuellen“ (in jedwedem Augenblick der „Gegenwart“ wird „darin“ möglich der Hieb des „antiken“ Stachels der Spaltung), – und ebenso braucht es Mut, um die verschlossene Botschaft verstehen und anerkennen zu können, wonach allein „das Schweigen ist / was sich gehört“ (das heißt wohl eher, der Tod wird „geräuschvoller“ sein – ist es nicht so?), –
und diese schwierigen, schmerzlichen Schriftseiten des Dichters werden nicht bloß eine Generation von Lesern benötigen, damit die „einfachste Sache“ gelernt werde – nämlich zu „hören auf das / was nie spricht,“ – und zu glauben – sogar an einen Sinn der Antwortlosigkeit…

– und es ist ja auch keineswegs wenig, daß mit uns Dichter sind, – „Schmerz und Wort in einem“, – und daß auch wir, Menschen, „in einem“ sind. Und auch dieses Gedicht erinnert rechtens an Würde und Wert unsres „unumsichtigen“ Lebens – trotz allem.

Gennadij Ajgi, Nachwort 7.4.1993

 

6 Photo-Arbeiten nach „Ausgesungen“ von Felix Philipp Ingold mit Motiven aus Carskoe Selo.

 

 

Jan Kuhlbrodt: Versuch über Ingold
poetenladen.de, 28.10.2012

Jan Kuhlbrodt: Vom Abtragen der Monumente oder das Wesen der Chronologie

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Ulrich M. Schmidt: Das Leben als Werk
Neue Zürcher Zeitung, 25.7.2012

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Magnus Wieland: Der Autor, der die Autorschaft hinterfragt
Berner Zeitung, 25.7.2022

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