Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Bildwerk und Sprachwerk (Teil 8)

Bildwerk und Sprachwerk

Teil 7 siehe hier

Wenn Gerhard Richter eben diese Frage in Bezug auf seine Malerei nachdrücklich ins Gespräch bringt, ist damit etwas Wesentliches, nicht aber etwas Neues gesagt. Denn schon im mittleren 19. Jahrhundert hat der deutsche Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge experimentell nachgewiesen, dass es natürliche Stoffe (Salze, Säuren) gibt, aus deren Mischung auf geeigneter Unterlage «Bilder» erwachsen, die ihrer Form und Farbe nach als eigenständige, naturhaft sich konstituierende «Kunstwerke» gelten können. Der Bildungstrieb der Stoffe, veranschaulicht in selbstständig gewachsenen Bildern – unter diesem Titel legte Runge 1855 die Ergebnisse seiner Versuche, dokumentiert durch zahlreiche Abbildungen, in Buchform vor (Nachdruck 2014), um seine Behauptung zu beweisen, dass er «im Stande» sei, «Bilder wachsen zu lassen!»
Die so – durch Tröpfeln vermischter Flüssigkeiten auf saugfähiges Papier – gewonnenen «Bilder» sind von bemerkenswerter Schönheit und Komplexität, stets zentralsymmetrisch ausgeformt erinnern sie bisweilen an vielfarbige Blüten, ohne ansonsten irgendetwas darzustellen; sie repräsentieren nicht, sie präsentieren sich als das, was sie sind: Produkte des natürlichen «Bildungstriebs der Stoffe», entstanden unabhängig von menschlichem Wollen und Können. Runge unterstreicht: «Indem sich die Farbe, d.h. die gefärbte Verbindung aus den chemisch entgegengesetzten Stoffen bildet, gestaltet sich das Bild.» Doch er konzediert auch, seine Entstehung sei ihm «unerklärlich, aber sie geschieht nach einem nothwendigen Gesetz».

Fortsetzung hier …

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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