Felix Philipp Ingolds Übersetzung von Benjamin Fondanes „Préface en Prose“

Schon 2009

Mashup von Juliane Duda zu der Kategorie „adhoc“

adhoc

hat Felix Philipp Ingold auf den „moldawischen Odysseus“ Benjamin Fondane in einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung hingewiesen. Jetzt folgt als „Ouvertüre“  die Übersetzung „Vorwort in Prosa“ (Das französische Originalgedicht findet man hier). Auf welche Fortführungen dürfen wir noch hoffen?

 

BENJAMIN FONDANE

Vorwort in Prosa 

Zu euch, Leute von den Antipoden, rede ich,
ich rede von Mensch zu Mensch, rede
mit dem Wenigen, das in mir vom Menschen bleibt,
mit dem Wenigen, das mir im Rachen von der Stimme bleibt,
mein Blut auf den Strassen – könnte es bloss, könnte es bloss
nicht nach Rache schreien!
Das Halali ist ausgerufen, die Tiere werden gejagt,
lasst mich mit den gleichen Worten reden,
die wir einst gemeinsam hatten –
nur noch wenige davon sind zu begreifen!

Sicherlich wird es einen Tag des gelinderten Durstes geben,
wir werden jenseits der Erinnerung sein, der Tod
wird die Werke des Hasses mehr als vollendet haben,
ich werde unter euren Füssen ein Strauss von Brennesseln sein
‒ nun denn, ihr sollt wissen, ich hatte ein Gesicht
wie ihr. Einen Mund mit dem selben Gebet wie ihr.

Wenn ein wenig Staub oder ein Traum ins Auge
drang, tränte aus dem Auge Salz. Und wenn
ein übler Dorn meine Haut aufriss,
schoss Blut hervor, so rot wie das eure!
Gewiss, ich war genau so grausam wie ihr, ich dürstete
nach Zärtlichkeit, nach Macht,
nach Gold, nach Genuss und nach Schmerz.
So wie ihr war ich ein mieser verängstigter Mensch,
gefestigt im Frieden, enthemmt im Sieg,
entgeistert und wankend zur Stunde des Scheiterns!

Ja, ich war ein Mensch wie alle andern,
mit Brot, mit Traum, mit Verzweiflung gesättigt. O ja,
ich habe geliebt, habe geweint, habe gehasst, habe gelitten,
ich habe Blumen gekauft und nicht immer
die Miete bezahlt. Sonntags fuhr ich aufs Land
um unterm Auge Gottes unwirkliche Fische zu angeln,
ich nahm mein Bad im Bach,
der im Röhricht sang, und abends verspeiste ich
Pommes. Und dann, und dann ging ich müde
zum Schlafen nach Haus, lax das Herz und voller Einsamkeit,
voller Mitleid für mich selbst,
voller Mitleid für den Mann, der auf einem Weiberbauch
vergebens den unmöglichen Frieden suchte, den Frieden
suchte, den wir vor Zeiten verloren hatten
in einem grossen Garten, in dessen Mitte
der Baum des Lebens prangte …

Ich habe, wir ihr auch, alle Zeitungen gelesen, alle Bücher,
und hab doch nichts verstanden von der Welt
und nichts verstanden vom Menschen,
auch wenn ich noch so oft das Gegenteil
behauptet haben sollte.
Und als der Tod kam, der Tod, da hatte ich
womöglich vorgegeben zu wissen, was er wirklich war,
ich kann’s euch zu dieser Stunde sagen,
er ist zur Gänze eingetreten in meine erstaunten Augen,
erstaunt darüber, wie wenig zu verstehen ist –
habt ihr denn besser verstanden als ich?

Und dennoch, nein!
Ich war kein Mensch wie ihr.
Ihr seid ja nicht unterwegs geboren, niemand
hat eure Jungen wie blindäugige Katzen im Abwasser entsorgt,
ihr seid nicht von Stadt zu Stadt geirrt,
gejagt von Polizisten,
ihr habt den Unstern in der Morgenfrühe nicht gekannt,
die Waggons für die Tiertransporte,
noch den bitteren Seufzer der Erniedrigung,
angeklagt eines nicht begangenen Verbrechens,
eines Totschlags, zu dem noch der Leichnam fehlt,
habt nicht den Namen und das Gesicht gewechselt,
um nicht einen verpönten Namen zu tragen
und nicht ein Gesicht, das jedem Beliebigen
als Spucknapf diente!

Zweifellos wird der Tag kommen, da das gelesene Gedicht
vor euren Augen steht. Es fordert
nichts! Vergesst es, vergesst es! Es ist ja
nur ein Schrei, den man nicht in ein vollkommenes Gedicht
tun kann, hatte ich denn die Zeit, es abzuschliessen?
Doch beim Zertrampeln des Brennesselbuketts,
das einst ich gewesen bin, ich in einem andern Jahrhundert,
ich in einer Geschichte, die für euch erledigt sein wird,
dann denkt bloss daran, dass ich unschuldig war
und dass ich, genau wie ihr, die Sterblichen jenes Tags,
ein Gesicht trug, das gezeichnet war
von Zorn, von Mitleid und Frohsinn,

ganz einfach ein Menschengesicht!

1942

aus dem Französischen von Felix Philipp Ingold

 

Benjamin Fondane,

geboren 1898 in Iaşi (Rumänien), ermordet 1944 in Auschwitz. Schriftsteller, Essayist, Übersetzer; lebte lange Jahre als Emigrant in Paris, wo er in französischer Sprache eine reiche Publikationstätigkeit entfaltete. Affinität zu den Surrealisten, Freundschaft mit dem exilrussischen Philosophen Léon Chestov (Lew Schestow), kollegiale Nähe zu Jacques Maritain und Jean Wahl. Filmprojekte in der Schweiz und in Argentinien. Im Frühjahr 1944 Internierung im Gefangenenlager von Drancy, anschliessend zusammen mit seiner Schwester aus dem besetzten Frankreich nach Deutschland deportiert. ‒ Das hier erstmals übersetzte Gedicht „Vorwort in Prosa“ entstammt der Lyriksammlung L’exode (Der Auszug), die in den von Henri Meschonnic herausgeberisch betreuten Band La mal des fantômes (Éditions Verdier, Paris 2006) eingegangen ist.

Id.

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