2018-10-26

Als gestern vor laufenden Kameras beim Auktionshaus Christie’s in New York erstmals ein durch künstliche Intelligenz geschaffenes Bildkunstwerk versteigert und verkauft wurde, war es vorab der dabei erzielte Preis, der weltweit für Aufmerksamkeit sorgte: Das Werk, betitelt als „Portrait of Edmond Belamy“, ging für US$ 432.500 an einen anonymen Bieter und erbrachte damit ein Vielfaches des ursprünglichen Schätzpreises von US$ 7.000 bis 10.000.
Man mag den Ertrag – ob angemessen oder nicht – für „sensationell“ halten, von weit grösserem Interesse ist aber die Frage nach dem Status des Werks als Kunst und des Schöpfers als Autor. Die Hersteller und Verkäufer des von einem Algorithmus generierten Portraits, die unter der Bezeichnung „Obvious“ als Kollektiv in Paris arbeiten, haben sich dazu nur beiläufig vernehmen lassen. Für sie scheint vorrangig gewesen zu sein, ein Produkt künstlicher Intelligenz als künstlerische Leistung auszuweisen und es solchermassen auf dem Markt zu etablieren. Das akronymische Kürzel ihres Unternehmens, GAN, steht für „generative adversarial network“.
Was gemeinhin als „kreativ“ herausgestellt wird, heisst hier also, frei von Schöpferpathos, bloss noch „generativ“, ist aber gleichwohl mit dem Anspruch authentischen künstlerischen Schaffens verbunden. Ein Sprecher der Gruppe „Obvious“ erklärte denn auch explizit, mit dem Belamy-Portrait liege nun der Nachweis vor, dass ein Algorithmus in der Lage sei, künstlerische Kreativität vollumfänglich zu simulieren; und er fügte hinzu: „Wir möchten auf die Parallele hinweisen, die es zwischen dem Programmieren eines Algorithmus gibt, und der Expertise, die das Handwerk und den Stil eines Künstlers ausmachen.“
Der Käufer des Portraits scheint sich dieser obsoleten Einschätzung angeschlossen zu haben und davon überzeugt zu sein, es handle sich bei seiner kostspieligen Neuerwerbung um ein Originalkunstwerk mit unverwechselbarer individueller Autorschaft. Zumindest äusserlich soll dies glaubhaft gemacht werden durch die Applikation einer Signatur, die identisch ist mit der algebraischen Formel des von „Obvious“ verwendeten Algorithmus. Da mit derselben Formel allerdings, je nach Programmierung, unterschiedliche Bildwerke erzeugt werden können, ist diese Signatur in bezug auf die Originalität und Autorschaft des Belamy-Portraits (mithin als Beleg für dessen Kunstcharakter) ohne Belang. Auch „handwerklich“ und „stilistisch“ ist das Werk in keiner Weise markiert – es finden sich daran keinerlei Spuren individueller Arbeit und Gestaltung, die Machart des Werks hat hier keinen integralen authentischen Anteil am Werk.
Das GAN-Verfahren bestand im aktuellen Fall darin, dass zunächst rund 15.000 Bildnisse europäischer Malerei aus dem 14. bis zum 20. Jahrhundert gescannt, wechselseitig überblendet, schliesslich in einem daraus gewonnenen Bildwerk synthetisiert wurden, das nun als „Original“ gelten sollte, „hervorgebracht in ästhetischer Absicht durch eine künstliche Intelligenz“. Der bei Christie’s zuständige Sachbearbeiter für Computerkunst, Richard Lloyd, kommentierte dies mit den Worten: „Auch wenn das Belamy-Portrait nicht von einem Menschen in gepuderter Perücke angefertigt worden ist, so entspricht es doch exakt der Art von Kunst, wie sie seit 250 Jahren zum Verkauf steht.“
Dem könnte man beifügen, dass seit jeher alle Künste, auch ohne artificial intelligence, einerseits aus dem Fundus der Kunst selbst hervorgegangen sind, anderseits aus dem schöpferischen Willen oder Tun einzelner Künstlerpersönlichkeiten. Dem vorliegenden Werk aber fehlt ein erkennbarer Personal- und Epochenstil, seine Materialität und seine Faktur bleiben gänzlich unausgeprägt, sind mithin irrelevant für seine Wahrnehmung. Das künstlerische Handwerk verflacht zu einem neutralen, rein maschinellen Produktionsverfahren, das sich durch seine fehlerfreie Präzision von originärer individueller Formgebung abhebt.
Statt von einem Original wäre wohl in diesem Fall eher von einem Modell oder einer Projektion als von einem „Werk“ zu reden. Tatsache bleibt, dass das computergenerierte, impressionistisch anmutende, dabei ausdrucksschwache Bildnis des Edmond Belamy (ein fiktiver Name) im Ergebnis nichts anderes ist als ein technischer Schmiereffekt, der beliebig vervielfältigt und variiert werden könnte.
Dass im Übrigen bei der Herstellung dieses maschinellen Machwerks das Menschenbild als Sujet gewählt wurde (warum nicht die Landschaft, das Stillleben oder ein abstraktes Sujet?) und dass man sich dabei auf die reiche Tradition der Bildnismalerei gestützt hat, lässt auf ein zutiefst konservatives Kunstverständnis der fortschrittsbewussten Programmierer schliessen – diese scheinen dem Vorbild des Roboterdesigns zu folgen, das den Maschinencharakter der Automaten durch menschenähnliche physiognomische Formgebung kamoufliert, um ihn vom Horror des Dämonischen zu befreien.
Offen, mithin diskutabel bleibt die Frage nach der Autorschaft: Wer kann, wenn schon nicht als „Schöpfer“, so doch als Urheber des Belamy-Portraits oder auch anderer, durch künstliche Intelligenz erzeugter Bildwerke gelten? Sind es die Programmierer der Software? Ist es die Software als solche? Ist es die eingesetzte Computeranlage insgesamt? Oder ist es vielleicht die Gesamtheit der jeweils verwendeten bildnerischen Vorlagen, durch die das „neue“ Werk via künstliche Intelligenz generiert wurde? – Das alles sind Grundsatzfragen, deren Lösung sich allein deshalb aufdrängt, weil ohne sie das Urheberrecht im Kunstbereich schon bald gänzlich aus den Fugen geriete.

 

aus Felix Philipp Ingold: Endnoten
Versprengte Lebens- und Lesespäne

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