Gut lachen? 

Der Smileylook ist längst zum Standard geworden. Die Werbung kommt ohne zähnefletschendes Lachen und mechanisches Lächeln ebenso wenig aus wie die Politik oder der Sport. Selbst nach gescheiterten Verhandlungen schütteln sich Regierungs- oder Firmenchefs lachend die Hand. Auf Wahlplakaten ist für Kandidatinnen, für Kandidaten der lachende Mund obligatorisch. Siege wie Niederlagen werden in aller Regel mit souverän sein wollendem Lachen quittiert. Die Anzahl der lachenden Emojis auf dem Smartphone wächst unentwegt. Das Lachen ist der Lächerlichkeit verfallen.
Ich selbst hab das Lachen nie schön finden können, empfinde es seit je als eine Grimasse, die das Gesicht für Momente zur grotesken Maske macht. Ein Grinsen, ein Lächeln mag differenzierter und interessanter sein, doch am besten gefällt mir das Gesicht als Antlitz. Als etwas, das grade nicht in vorbestimmter Weise gesehen werden will, sich vielmehr − als ein Selbst − zu sehen gibt, dabei verschlossen und bewahrt bleibt.
Ich ziehe das nachdenkliche Gesicht vor, das staunende, in sich gekehrte. Das Gesicht der übers Buch gebeugten Leserin in der Strassenbahn, die gespannte Miene des Experimentators im Labor, den Ernst des kundigen Zuhörers im Konzert, der Betrachterin vor einem Bildwerk in der Antikensammlung. Das aufmerksame, aufnahmebereite Gesicht, das sich hier und jetzt dem Eindruck öffnet, statt bloss klischee- und maskenhafter Ausdruck zu sein.
Das wahre Gesicht, das eigentlich schöne Gesicht, wie der alte Tolstoj, der späte Bartók, die späte Clarice Lispector es hochgehalten haben.

 

aus Felix Philipp Ingold: Endnoten
Versprengte Lebens- und Lesespäne

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