2005-12-08

Beim Frühstück kurz den Blick von der Zeitung gehoben, und vorm Fenster steht – wie immer, aber nun doch wie zum ersten Mal – der Üetliberg; der sonst unansehnliche, fast bis zur Kuppe überbaute Hügelzug scheint von innen zu leuchten, er schimmert rötlich gelb unterm stahlgrauen Himmel, seine seeseitige Flanke ist überzogen von leichten tüllartigen Schwaden, Rauch und Nebel gemischt, was eine zusätzliche Aura erzeugt und ihm, dem trivialen geologischen Faktum, den stumpfen Glanz eines heiligen Bergs verleiht. Nach wenigen Minuten ist der Einfall der Morgendämmerung vorbei und der wieder nebelgrau melierte Hügel nichts als eine stumpfe Erhebung, geeignet als Sockel für den regelmässig blinkenden Fernsehmast.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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