Palindrom

Ich raste wie immer bei meinem morgendlichen Waldgang auf einer Bank am Ufer des Nozon, halte für eine Weile die Augen geschlossen, die Beine ausgestreckt, die Arme nach hinten über die Lehne gehängt, und plötzlich ist da, ganz nah, ein Hecheln, ich hebe den Blick, unmittelbar vor mir bebt in der Hocke ein schöner gefleckter Jagdhund, krümmt sich wie in Krämpfen zusammen, um gleich zwischen meinen Füssen zu scheissen, zu pissen, das geht sehr schnell, der Hund dreht sich ein paar Mal um sich selbst, schleudert mir dann mit den schmalen Hinterläufen Spritzer von feuchtem Dreck und kleine Steine in den Schoss, ins Gesicht, ich bin erschrocken, fluche laut vor mich hin, während gleichzeitig eine sehr junge Frau mit Baseballmütze tänzerisch aus dem Wald tritt und, laut in ihr Handy redend, auf mich zukommt, als hätte ich sie gerufen; ich hebe ziemlich ratlos die Schultern, verwünsche den Hund und wische nun, bis die Frau vor meiner Bank Halt macht, den Dreck von den Knien, vom Hals, und aber gleich beginnt sie, unentwegt ins Handy quasselnd und frech durch mich hindurch gaffend, zu lästern, du Arschloch, alter Mann, warum so aggressiv, du bist ja krank, ein Unglücklicher bist du, hast keine Ahnung mehr von dieser Welt, das ist doch wahnsinnig traurig, wenn man so blöd sein muss, so total weg vom Fenster, sie spricht, als spreche sie übers Telephon mit mir, und sie gestikuliert dabei, als hätte sie ein Orchester vor sich, doch nun geht sie hüpfend weiter, hebt im Gehn den schneeweissen linken Arm hoch übern Kopf, dreht und wendet sich leichtfüssig, als würde sie im Walzertakt von unsichtbaren Armen geführt und getragen, wie in der Schwebe entfernt sie sich, derweil sie schimpfend weiterquasselt, scharf pfeift sie den Hund zu sich, presst das Handy jetzt ans andre Ohr und ist bald, noch immer schreiend, verschwunden im Morgendunst zwischen den rötlichbraunen Stämmen.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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